Der Papst muss mehr Macht nach unten abgeben
Es waren für Millionen Gläubige ermutigende Momente, als der Argentinier Jorge Mario Bergoglio am Abend des 13. März 2013 auf dem Balkon des Petersplatzes erschien und die Menschenmenge lächelnd mit „Buona sera“begrüßte. Schnell war klar, dass im Vatikan eine neue Zeit anbrechen würde: Dafür sprachen das schlichte Auftreten, der Verzicht auf das Residieren in den prunkvollen Gemächern des Papstes sowie die Namensgebung: Franziskus, das war eine Referenz an den armen Bettelmönch aus Assisi.
Eine arme Kirche für die Armen – diese Vision sprach Franziskus denn auch wenige Monate später in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“aus. Einige Zitate daraus erlangten in progressiven Kirchenkreisen schnell Kultstatus, etwa: „Mir ist eine 'verbeulte' Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“
Derartige Aussagen haben der katholischen Reformbewegung viel Schub gegeben, haben vor allem in westlichen Gesellschaften große Resonanz gefunden. Denn dort dominieren unter Katholiken progressive Einstellungen zur Frauenfrage und zum Umgang mit der LGBTIQ-Szene. Doch es hat sich über die Jahre auch Ernüchterung in dieser Klientel breit gemacht. Denn obwohl der Papst dem Vatikan und der Weltkirche viel frischen Wind zugeführt hat, ist er in Glaubensfragen kein Revolutionär.
In knapp zehn Jahren hat Franziskus immerhin die Kurie entschlackt, ihre Ämter effizienter strukturiert und hohe Verwaltungsposten auch für Laien (und damit Frauen) geöffnet. Das sind für Vatikanverhältnisse große Pflöcke. Doch der Argentinier darf nun nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Wo sich viele Katholikinnen und Katholiken etwa in Luxemburg radikale Schritte wie ein Frauenpriestertum und die Abschaffung des Pflichtzölibats wünschen, da darf Franziskus nicht auf der Bremse stehen.
Gerade erst ist im Nachbarland Deutschland der „Synodale Weg“zu Ende gegangen, der mit riesigen Erwartungen gestartet war. Doch der jahrelange Gesprächsprozess wurde vom Vatikan zusammengestutzt, weshalb er letztlich mit ein paar winzigen Reförmchen endete. Die großen Fragen – allesamt tabu für die Länderkirchen.
Der Pflichtzölibat steht im Vatikan nicht wirklich zur Debatte. Und für die Frauen ist allenfalls ein Diakonat vorstellbar; bis es dazu kommt, wird aber wohl noch viel Wasser den Tiber herunterfließen. Hier ist Franziskus gefragt: Er muss durchsetzen, dass die Kirchen vor Ort in zentralen kirchenpolitischen Fragen wirkliche Entscheidungsrechte bekommen. Dann könnten progressive Länder wie Luxemburg und seine Nachbarstaaten progressive Reformen zur Not auch im Alleingang durchsetzen. Existenziell wichtig ist zudem, dass der Papst mit Nachdruck durchsetzt, dass sexueller Missbrauch überall viel konsequenter aufgearbeitet wird.
Franziskus darf nicht auf halbem Weg stehenbleiben.
Kontakt: michael.merten@wort.lu