Hat Johannes Paul II. Missbrauchsfälle vertuscht?
Schon als Kardinal und Bischof von Krakau soll er von sexuellem Missbrauch gewusst haben. Einen Sexualstraftäter schickte er nach Österreich
Papst Johannes Paul II. wusste schon als Kardinal und Bischof von Krakau von pädophilen Priestern in seiner Diözese. Wie fast alle anderen Bischöfe deckte auch er die Sexualstraftäter in der Soutane. Dies geht aus Dokumenten hervor, die zwei Investigativ-Journalisten in der vergangenen Woche in Polen aufdeckten.
Statt die Täter an die Staatsanwaltschaft auszuliefern oder zumindest aus der katholischen KinderSeelsorge auszuschließen, versetzte Karol Wojtyla sie lediglich in eine andere Gemeinde. Ein Krakauer Geistlicher, den die Mütter sexuell missbrauchter Kinder auf offener Straße attackierten und ihm Rache schworen, tauchte plötzlich in Österreich auf – mit einem Empfehlungsschreiben Wojtylas an den damaligen Wiener Erzbischof Franz Kardinal König. Im Brief, der nun öffentlich wurde, findet sich kein Wort zu den Missbrauchs-Vorwürfen gegen den Priester.
US-Botschafter einbestellt
Die Fernseh-Dokumentation „Franciszkanska 3“– das ist die allen Gläubigen in Polen bekannte Adresse der Krakauer Erzdiözese – und die Publikation des Buches „Maxima Culpa. Johannes Paul II. wusste es“lösten eine hitzige Debatte in ganz Polen aus.
Marcin Gutowski, der für das Dokumentarfilmprogramm „Schwarz auf Weiß“des Privatsenders TVN24 arbeitet, und der niederländische Korrespondent Ekke Overbeek, der sich seit Jahren mit dem Thema „Pädophilie in Polens katholischer Kirche“beschäftigt, mussten sich anhören, die falschen Dokumente gelesen zu haben, naiv und inkompetent zu sein und als „Linke“angeblich die „Werte der katholischen Kirche“zerstören zu wollen.
Polens Außenminister Zbigniew Rau bestellte sogar den US-amerikanischen Botschafter ein, da TVN dem Medienkonzern Warner Bros/Discovery in den USA gehört. Dem offiziellen Communiqué zufolge seien „die potentiellen Folgen der Aktivitäten des Senders mit den Zielen eines hybriden Krieges gleichzusetzen, der zu Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft führen“solle.
Damit nicht genug, verabschiedete am Donnerstagabend auch noch der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, eine Resolution zur „Verteidigung des guten Namens des Heiligen Johannes Paul II“.
Priester versetzt, statt geächtet
Die Kinder, die den Kirchen- und Geheimdienst-Dokumenten zufolge Opfer der pädophilen Priester unter Kardinal Karol Wojtyla wurden, kommen in der Sejm-Resolution nicht vor. Vielmehr werfen die zumeist konservativen Parlamentarier den Reportern vor, Johannes Paul II. kompromittieren zu wollen. „Wir lassen uns unsere Würde nicht wegnehmen“, rief die polnische Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek in den voll besetzten Saal.
Der Fall des Priesters Sadus spielt sowohl in der Fernsehreportage als auch im Buch „Maxima Culpa“eine große Rolle. Denn zunächst – im Frühjahr 1972 – hatte Karol Woytyla den Priester als Seelsorger der St. Florians-Gemeinde in Krakau suspendiert, da dieser – so geht aus dem Bericht eines Krakauer Priesters an den kommunistischen Staatssicherheitsdient (SB) hervor – immer wieder von Müttern der sexuell missbrauchten Kinder auf der Straße angehalten worden sei und ihn laut verfluchten.
Monate später, am 6. November 1972, richtet der spätere Papst ein Empfehlungsschreiben an Franz Kardinal König von Wien. Der Krakauer Priester Dr. Boleslaw Sadus begebe sich ins Ausland, um Material für seine Studien zu sammeln, schrieb Wojtyla, der den Brief handschriftlich unterzeichnete: „Er interessiert sich für Entwicklungspsychologie (Einfluss der technischen Zivilisation auf die Psyche des Kindes), Entstehung religiöser Begriffe.“
Sadus habe sich bereits am 8. September mit einem Brief an den Wiener Kardinal gewandt und um eine Aufenthaltserlaubnis in der Diözese gebeten sowie um die Zuteilung eines Postens. „Nun befürworte ich seine Bitte und würde Ew. (Ehrwürdige) Eminenz dankbar sein, wenn sie seinen Plänen entgegenkommen würden“, heißt es im Brief, der im Film gezeigt wird. Kardinal König kommt dem Wunsch Wojtylas nach und ernennt Priester Sadus zum Seelsorger der katholischen Gemeinde Graubitsch in Niederösterreich.
Zugang zu Archiven verweigert
Es gibt weitere gut belegte Beispiele im Dokumentarfilm wie im Buch. Die Autoren haben mit Opfern wie auch ehemaligen Kurienmitarbeitern gesprochen, Akten des kommunistischen Geheimdienstes wie auch Kirchendokumente ausgewertet, wenn auch – wie Gutowski beklagt – die Diözese Krakau den Zugang zu ihren Archiven verweigert habe.
In einer ersten Reaktion der katholischen Kirche Polens auf die Vorwürfe gegen Karol Wojtyla fordert nun aber Adam Zak, Jesuit und Koordinator der Bischofskonferenz für den Schutz von Kindern und Jugendlichen, ausgerechnet weitere Archivrecherchen.
Ob Journalisten jetzt Zugang zu den Kirchendokumenten erhalten, lässt Zak offen. In der Stellungnahme heißt es lediglich: „Heute haben wir zweifellos ein viel größeres gesellschaftliches Bewusstsein für die Auswirkungen sexuellen Missbrauchs“.