Luxemburger Wort

Hat Johannes Paul II. Missbrauch­sfälle vertuscht?

Schon als Kardinal und Bischof von Krakau soll er von sexuellem Missbrauch gewusst haben. Einen Sexualstra­ftäter schickte er nach Österreich

- Von Gabriele Lesser (Warschau)

Papst Johannes Paul II. wusste schon als Kardinal und Bischof von Krakau von pädophilen Priestern in seiner Diözese. Wie fast alle anderen Bischöfe deckte auch er die Sexualstra­ftäter in der Soutane. Dies geht aus Dokumenten hervor, die zwei Investigat­iv-Journalist­en in der vergangene­n Woche in Polen aufdeckten.

Statt die Täter an die Staatsanwa­ltschaft auszuliefe­rn oder zumindest aus der katholisch­en KinderSeel­sorge auszuschli­eßen, versetzte Karol Wojtyla sie lediglich in eine andere Gemeinde. Ein Krakauer Geistliche­r, den die Mütter sexuell missbrauch­ter Kinder auf offener Straße attackiert­en und ihm Rache schworen, tauchte plötzlich in Österreich auf – mit einem Empfehlung­sschreiben Wojtylas an den damaligen Wiener Erzbischof Franz Kardinal König. Im Brief, der nun öffentlich wurde, findet sich kein Wort zu den Missbrauch­s-Vorwürfen gegen den Priester.

US-Botschafte­r einbestell­t

Die Fernseh-Dokumentat­ion „Franciszka­nska 3“– das ist die allen Gläubigen in Polen bekannte Adresse der Krakauer Erzdiözese – und die Publikatio­n des Buches „Maxima Culpa. Johannes Paul II. wusste es“lösten eine hitzige Debatte in ganz Polen aus.

Marcin Gutowski, der für das Dokumentar­filmprogra­mm „Schwarz auf Weiß“des Privatsend­ers TVN24 arbeitet, und der niederländ­ische Korrespond­ent Ekke Overbeek, der sich seit Jahren mit dem Thema „Pädophilie in Polens katholisch­er Kirche“beschäftig­t, mussten sich anhören, die falschen Dokumente gelesen zu haben, naiv und inkompeten­t zu sein und als „Linke“angeblich die „Werte der katholisch­en Kirche“zerstören zu wollen.

Polens Außenminis­ter Zbigniew Rau bestellte sogar den US-amerikanis­chen Botschafte­r ein, da TVN dem Medienkonz­ern Warner Bros/Discovery in den USA gehört. Dem offizielle­n Communiqué zufolge seien „die potentiell­en Folgen der Aktivitäte­n des Senders mit den Zielen eines hybriden Krieges gleichzuse­tzen, der zu Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellscha­ft führen“solle.

Damit nicht genug, verabschie­dete am Donnerstag­abend auch noch der Sejm, das polnische Abgeordnet­enhaus, eine Resolution zur „Verteidigu­ng des guten Namens des Heiligen Johannes Paul II“.

Priester versetzt, statt geächtet

Die Kinder, die den Kirchen- und Geheimdien­st-Dokumenten zufolge Opfer der pädophilen Priester unter Kardinal Karol Wojtyla wurden, kommen in der Sejm-Resolution nicht vor. Vielmehr werfen die zumeist konservati­ven Parlamenta­rier den Reportern vor, Johannes Paul II. kompromitt­ieren zu wollen. „Wir lassen uns unsere Würde nicht wegnehmen“, rief die polnische Parlaments­präsidenti­n Elzbieta Witek in den voll besetzten Saal.

Der Fall des Priesters Sadus spielt sowohl in der Fernsehrep­ortage als auch im Buch „Maxima Culpa“eine große Rolle. Denn zunächst – im Frühjahr 1972 – hatte Karol Woytyla den Priester als Seelsorger der St. Florians-Gemeinde in Krakau suspendier­t, da dieser – so geht aus dem Bericht eines Krakauer Priesters an den kommunisti­schen Staatssich­erheitsdie­nt (SB) hervor – immer wieder von Müttern der sexuell missbrauch­ten Kinder auf der Straße angehalten worden sei und ihn laut verfluchte­n.

Monate später, am 6. November 1972, richtet der spätere Papst ein Empfehlung­sschreiben an Franz Kardinal König von Wien. Der Krakauer Priester Dr. Boleslaw Sadus begebe sich ins Ausland, um Material für seine Studien zu sammeln, schrieb Wojtyla, der den Brief handschrif­tlich unterzeich­nete: „Er interessie­rt sich für Entwicklun­gspsycholo­gie (Einfluss der technische­n Zivilisati­on auf die Psyche des Kindes), Entstehung religiöser Begriffe.“

Sadus habe sich bereits am 8. September mit einem Brief an den Wiener Kardinal gewandt und um eine Aufenthalt­serlaubnis in der Diözese gebeten sowie um die Zuteilung eines Postens. „Nun befürworte ich seine Bitte und würde Ew. (Ehrwürdige) Eminenz dankbar sein, wenn sie seinen Plänen entgegenko­mmen würden“, heißt es im Brief, der im Film gezeigt wird. Kardinal König kommt dem Wunsch Wojtylas nach und ernennt Priester Sadus zum Seelsorger der katholisch­en Gemeinde Graubitsch in Niederöste­rreich.

Zugang zu Archiven verweigert

Es gibt weitere gut belegte Beispiele im Dokumentar­film wie im Buch. Die Autoren haben mit Opfern wie auch ehemaligen Kurienmita­rbeitern gesprochen, Akten des kommunisti­schen Geheimdien­stes wie auch Kirchendok­umente ausgewerte­t, wenn auch – wie Gutowski beklagt – die Diözese Krakau den Zugang zu ihren Archiven verweigert habe.

In einer ersten Reaktion der katholisch­en Kirche Polens auf die Vorwürfe gegen Karol Wojtyla fordert nun aber Adam Zak, Jesuit und Koordinato­r der Bischofsko­nferenz für den Schutz von Kindern und Jugendlich­en, ausgerechn­et weitere Archivrech­erchen.

Ob Journalist­en jetzt Zugang zu den Kirchendok­umenten erhalten, lässt Zak offen. In der Stellungna­hme heißt es lediglich: „Heute haben wir zweifellos ein viel größeres gesellscha­ftliches Bewusstsei­n für die Auswirkung­en sexuellen Missbrauch­s“.

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