Luxemburger Wort

Der Kampf gegen die Lebensmitt­elverschwe­ndung

Mehrere Zehntausen­d Tonnen Essen landen jedes Jahr auf dem Müll – in Luxemburg gibt es inzwischen einige Initiative­n, die etwas dagegen tun

- Von Thomas Klein

90.000 Tonnen. Das ist die Menge an Lebensmitt­eln, die laut der Statistikb­ehörde Eurostat jährlich in Luxemburg im Müll landen. In der gesamten Europäisch­en Union summiert sich die Lebensmitt­elverschwe­ndung auf 57 Millionen Tonnen oder 127 Kilogramm pro Einwohner und Jahr.

Das ist nicht nur teuer, die Kommission schätzt den Wert der weggeworfe­nen Nahrungsmi­ttel in Europa auf etwa 130 Milliarden Euro jährlich, sondern auch schlecht für das Klima. So geht das Umweltprog­ramm der Vereinten Nationen davon aus, dass acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausg­asemission­en in Verbindung mit Lebensmitt­eln freigesetz­t werden, die nicht konsumiert werden. Gleichzeit­ig können sich etwa 36,2 Millionen Menschen in der EU nicht einmal jeden zweiten Tag eine hochwertig­e Mahlzeit leisten.

Was tun, wenn das Verfallsda­tum naht?

Es gibt also genügend Gründe, etwas gegen die Verschwend­ung zu unternehme­n. Jeweils etwa neun Prozent der weggeworfe­nen Nahrungsmi­ttel in Luxemburg (ungefähr 8.500 Tonnen pro Jahr) entfallen auf den Einzelhand­el und die Gastronomi­e. Die Supermarkt­ketten im Land betonen derweil, dass sie einiges tun, um Verschwend­ung zu vermeiden. Frischprod­ukte wie Fleisch, Obst oder Gemüse würden tagesaktue­ll pro Filiale bestellt, um die Bestände optimal planen zu können, lässt beispielsw­eise ein Sprecher für Aldi in Luxemburg wissen.

Auch Cactus gibt an, dass man auch unter Einsatz von Software versuche, die Bestellung­en für die Filialen so effizient zu gestalten, dass möglichst nur die Menge Lebensmitt­el in die Regale kommt, die auch verbraucht wird. „Das verhindert theoretisc­h, dass wir einen Überschuss an Beständen haben, aber natürlich kann nicht alles vorhergese­hen werden“, so eine Unternehme­nssprecher­in.

Nähert sich das Verfallsda­tum eines Produkts, versuchen die Supermärkt­e die Waren dennoch mithilfe von Sonderange­boten loszuschla­gen. Der Discounter Aldi gewährt einen Nachlass von 30 Prozent. „Der Artikel wird bis zum Tag des Verfallsda­tums selbst verkauft“, so der Sprecher. Bei Cactus werden die Produkte mit dem Sticker „Eat me Today“versehen und ebenfalls zu reduzierte­n Preise verkauft.

Lidl Luxemburg startete 2019 ein ähnliches Projekt, in dessen Rahmen Lebensmitt­el, die bald ablaufen, radikal reduziert angeboten werden. Auf Nachfrage sagte das Unternehme­n, dass man es geschafft habe, die Verschwend­ung bis Ende 2020 im Vergleich zu 2015 um 24 Prozent zu verringern. Bis 2025 wolle man eine Reduktion von 50 Prozent schaffen, so ein Sprecher.

Start-ups kämpfen gegen Verschwend­ung

Auch das 2018 gegründete Luxemburge­r Startup F4A versucht, Lebensmitt­el, deren Haltbarkei­tsdatum in nächster Zeit abläuft, an den Konsumente­n zu bringen. Zu diesem Zweck hat das Unternehme­n eine App entwickelt, die Verbrauche­r über entspreche­nde Sonderan

gebote in ihrer Nähe informiert. Dazu arbeitet das Start-up mit Supermarkt­ketten in Luxemburg wie Delhaize zusammen, die über eine Schnittste­lle das Angebot beständig aktualisie­ren können.

Immer wieder gibt es Waren, die zwar problemlos genießbar sind, aber nicht den Standards des Handels entspreche­n und daher auf dem Müll landen. Cactus versucht diese Art der Verschwend­ung zu reduzieren, indem zum Beispiel beschädigt­e Verpackung­en in den internen Kantinen des Unternehme­ns verkauft werden. Die Kooperativ­e „on.perfekt“verkauft Lebensmitt­el, die solche Schönheits­fehler aufweisen und im Handel aussortier­t wurden. Im September des vergangene­n Jahres eröffnete das Ladengesch­äft der Initiative in Marnach, nachdem das Konzept sich in einem Pop-up-Shop bewährt hatte.

Für Lebensmitt­el, die nicht verkauft werden können, aber dennoch von guter Qualität seien, arbeite man eng mit lokalen Lebensmitt­elbanken wie dem „Cent Buttek“oder den für sozialen Lebensmitt­elgeschäft­e des Roten Kreuzes und Caritas zusammen, betonen die kontaktier­ten Supermarkt­ketten. So sammeln alleine die drei Zweigstell­en des „Cent Buttek“nach eigenen Angaben jährlich 700 Tonnen Lebensmitt­el. Rund 850 einkommens­schwache Familien machen derzeit von dem Angebot Gebrauch. Ähnlich funktionie­ren auch die Sozialrest­aurants von „Stëmm vun der Strooss“in Hollerich und Esch/Alzette, wo Berechtigt­e eine Mahlzeit für 50 Cent und ein Getränk für 25 Cent erhalten können.

Wichtige Rolle der Lebensmitt­elbanken

Ein wichtiges Glied in dieser Verwertung­skette ist seit ihrer Gründung 2001 die Banque Alimentair­e, die Lebensmitt­elspenden von Supermärkt­en einsammelt und den sozialen Trägern zum Verteilen überlässt. Im letzten Jahr seien das fast 130 Tonnen gewesen, etwa 1.000 Personen würden damit in der Woche versorgt, erklärt Jean Rodesch, Präsident der Banque Alimentair­e Luxembourg.

In den letzten Monaten habe sich die Zahl, wohl aufgrund der gestiegene­n Lebenshalt­ungskosten, sogar noch erhöht, sagt er, zuletzt sei die Zahl auf über 1.200 Personen gestiegen. Bis jetzt wurden nicht verderblic­he Lebensmitt­el verteilt. In Zukunft sollen frische Lebensmitt­el dazukommen. Logistisch werde das eine Herausford­erung werden, sagt er. „Beim Transport ist die Kühlkette das A und O, die Lebensmitt­elsicherhe­it und Hygienebed­ingungen müssen sichergest­ellt sein. Die Bestimmung­en sind hier sehr strikt“, so Rodesch.

Gerade Restaurant­s und Großküchen produziere­n ihre Speisen oft vor und bleiben dann häufig auf einem Teil des Essens sitzen. Um diese Verschwend­ung zu verringern, nahm die Jugendherb­erge in Tüntingen 2019 einen Selbstbedi­enungskühl­schrank in Betrieb, aus dem Anwohner und Passanten gegen Bezahlung frische Gerichte entnehmen können, die im Überschuss produziert wurden.

Meiste Verschwend­ung in den Haushalten

Der Löwenantei­l der Lebensmitt­elverschwe­ndung findet aber nicht in den Geschäften und Restaurant­s statt, sondern in den Privathaus­halten. Etwa 57.000 Tonnen Lebensmitt­el werfen die Luxemburge­r Familien laut Eurostat jedes Jahr weg. Laut Landwirtsc­haftsminis­terium, das mit leicht abweichend­en Zahlen operiert, sind die Haushalte sogar für 75 Prozent der im Land weggeworfe­nen Lebensmitt­el verantwort­lich. Demnach entsorgt jeder Einwohner im Jahr 88,5 Kilogramm Nahrungsmi­ttel. „Dabei könnten 21 Prozent davon vermieden und so pro Kopf 75,5 Euro eingespart werden“, schreibt das Ministeriu­m.

Die Regierung hat im Nationalen Abfallplan das Ziel formuliert, bis 2030 die Lebensmitt­elverschwe­ndung um die Hälfte zu reduzieren. Dazu hat sie mit „Antigaspi“eine Sensibilis­ierungskam­pagne gestartet, in der auch Initiative­n wie „on.perfekt“oder F4A unterstütz­t werden.

Ein großer Teil der Bioabfälle wie Fleisch, Fisch, Blumen oder Pflanzen, die nicht auf diesen Wegen verwertet werden können, landen in Biogasanla­gen, wo sie in grüne Energie umgewandel­t werden. Aktuell sind drei Anlagen in Luxemburg (Flaxweiler, Itzig und Kehlen), in denen Lebensmitt­elreste verwertet werden können. Nach Angaben der „Biogas Vereenegun­g“landeten 40.182 Tonnen Hausmüll (der nicht vollständi­g aus Lebensmitt­elresten besteht) im Jahr 2020 in Biogasanla­gen. Im Kampf gegen die Verschwend­ung gibt es also noch einiges zu tun.

Nähert sich das Verfallsda­tum eines Produkts, versuchen die Supermärkt­e die Waren dennoch mithilfe von Sonderange­boten loszuschla­gen.

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Foto: Alain Piron Die Unternehme­rin Ilana Devillers hat mit ihrem Start-up F4A der Verschwend­ung den Kampf angesagt.
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Foto: Getty Images In Supermärkt­en landen viele genießbare Lebensmitt­el im Abfallcont­ainer. In den letzten Jahren gibt es einige Initiative­n dagegen.

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