Luxemburger Wort

„Qualität kommt von Qual“

Mit „Körper am Ende der Welt“zeigt Marion Rothhaar die Gefahren der Rhythmisch­en Sportgymna­stik auf

- Interview: Anina Valle Thiele

Mit „Körper am Ende der Welt“weist Marion Rothhaar unter anderem auf die Gefahren hin, die die Rhythmisch­e Sportgymna­stik bei Heranwachs­enden birgt. Nichtsdest­otrotz ist es auch ein sinnliches Stück. Ein Gespräch mit der Co-Autorin, die in dem Stück auch ihre eigenen positiven und negativen Erfahrunge­n verarbeite­t hat, im Vorfeld der Premiere …

Marion Rothhaar, Sie zeigen morgen Ihr Stück „Körper am Ende der Welt“in Luxemburg. Worum geht es darin und wie sind Sie auf die Idee und das Thema gekommen?

Das ist eine längere Geschichte. Es geht darin grob um Leistungss­port und besonders um Kinderspor­tarten und junge Frauen, beziehungs­weise Mädchen. Kinderspor­tarten sind Rhythmisch­e Gymnastik, Turnen, Synchronsc­hwimmen, Eislaufen gehört auch dazu. Es geht um die Bedingunge­n, die damit verbunden sind, also wie der Körper behandelt – oder betrachtet wird und dass er eben als Kind bestehen bleiben soll und diese ganze Problemati­k, die darin steckt, also auch das Gewicht ist Thema.

Es gibt auch dunkle Seiten, die wir erwähnen, wie zum Beispiel Essstörung­en … Neben mir und Rahel Jankowski sind zwei aktive Sportlerin­nen aus der École de Gymnastiqu­e Rythmique in Luxemburg auf der Bühne, die sich im Wechsel präsentier­en: Elena Meysembour­g und Mariia Lezhemensk­aya aus der Ukraine.

Die Rhythmisch­e Sportgymna­stik ist seit 1984 ja auch eine olympische Disziplin. Ist es ein Leistungss­port, der auch mit hartem Training und Konkurrenz­kampf verbunden ist?

Auf jeden Fall. Ich kenne das selbst aus persönlich­er Erfahrung, da ich ja an den zweiten Olympische­n Spielen, 1988 in Seoul, teilgenomm­en habe. Ich bin, was das Thema angeht auch selbst in einem kleinen Dilemma. Ich weiß, dass man sich an seine Grenzen bringen muss, um Leistung zu erbringen. Kinder wollen das ja auch, man will sich messen, man will schneller sein als der andere. Ich habe selbst eine Tochter. Wir machen Wettrennen und Wettkämpfe, aber das ist ein Spiel; gefährlich wird es, wenn eben Leistungen erbracht werden müssen unter Bedingunge­n, die nicht empathisch sind.

„Druck macht aus Dreck Diamanten“und „Qualität kommt von Qual“heißt es im

Stück. Ich bin in einem Zwiespalt. Ich denke, man muss jemanden auch fordern, aber auch gleichzeit­ig fördern und sollte an der Persönlich­keit nicht so rumschraub­en, dass er oder sie nicht mehr sie selbst ist.

Sport und regelmäßig­es Training ist aber doch in erster Linie gesund … Gibt es da eine Suchtgefah­r, müssen die jungen Frauen hungern oder ist der psychische (Leistungs-)Druck zu hoch – oder welche Gefahren birgt dieser Sport?

Alle drei Komponente­n spielen da hinein. Es ist aber schon ein Wandel im Gange – weltweit. Ich bin auf das Thema im Grunde zurückgeko­mmen. Ich habe es schon einmal selber behandelt und habe meine eigene Geschichte erzählt in einem Kurzstück. Das war im TNL vor ca. vier Jahren. Es hieß „The Other: Me“. Da ging es um mich im Abstand, als Teenager 15 Jahre alt, der mit 33 Kilo und 1,46m bei den Olympische­n Spielen teilgenomm­en hat.

Damit dachte ich, hätte ich das Thema abgehakt und dann kamen aber in der Schweiz, wo ich lebe, die „Magglingen-Protokolle“raus und das war ein riesiger Skandal. Da haben acht Mädchen im Alter von Anfang 20 darüber berichtet, wie sie systematis­ch gebrochen wurden, also regelrecht tyrannisie­rt. Das Gewicht stand immer im Zentrum, hungern sollten sie, sie wurden auch als Persönlich­keit absolut niedergema­cht: „Du bist fett, du kannst nichts, du bist nichts wert undsoweite­r … “

Es ist Diskrimini­erung, ein altes System aus Osteuropa, dass da wirkt. Trainer und Trainerinn­en aus dem Osten haben eine Art sportliche­n Imperialis­mus betrieben, sich in Westeuropa und weltweit verteilt und haben dieses System dort angewandt und damit auch Leistungen erzielt.

Ich bin in einem Zwiespalt. Ich denke, man muss jemanden auch fordern, aber auch gleichzeit­ig fördern und sollte an der Persönlich­keit nicht so rumschraub­en, dass er oder sie nicht mehr sie selbst ist.

Ist „Körper am Ende der Welt“ein bewusstes Wortspiel? Der Körper, der irgendwann am Ende ist …

Ja. Der Titel stammt aus der Feder von Regina Dürig, der Mit-Autorin des Stücks. Es basiert also auf meinen Erinnerung­en und einer literarisc­hen Fassung, die sie erarbeitet hat anhand der „Magglingen-Protokolle“.

Wir leben in der gleichen Stadt, Biel, und da ist dieser Olympia-Stützpunkt und der liegt tatsächlic­h am Ende der Welt in einer Straße in Magglingen in den Bergen und ja die Körper sind natürlich auch irgendwie am Ende … (lacht )

Wie kann man sich das Bühnenbild vorstellen? Ist die Inszenieru­ng dann auch sinnlich angelegt – mit Klängen, Tanz … Kann man von einem interdiszi­plinären Stück sprechen?

Es ist interdiszi­plinär, da performati­v und sportlich und auch sinnlich und mit viel Musik. Es ist ein unaufwändi­ges Bühnenbild und das Stück ist insofern performati­v, da ich auch keine Schauspiel­erin im herkömmlic­hen Sinn bin und eher als Expertin auftrete. Und

Zur Person

Marion Rothhaar, geboren 1972 in Rheinland-Pfalz, ist Theaterreg­isseurin und Tanzdramat­urgin. Bis 1992 trainierte sie Rhythmisch­e Sportgymna­stik und war mehrfache deutsche Meisterin. Sie nahm an Welt- und Europameis­terschafte­n teil, sowie 1988 an der Olympiade in Seoul. Rothhaar studierte Germanisti­k, Linguistik, Theater- Film- und Fernsehwir­tschaft und schloss ihr Studium mit einem Magister ab.

Seit 2008 ist sie freie Regisseuri­n und Dramaturgi­n in Luxemburg, Deutschlan­d, Frankreich und der Schweiz. Zuletzt wurde von ihr

„Die Maschine steht still“in Belval im Rahmen von Esch2022 gezeigt.

dann ist da eine aktive Sportlerin, die eine Kür zeigt und Rahel Jankowski – eine wahnsinnig tolle Schauspiel­erin, die lange in Berlin war, am Maxim Gorki Theater gespielt hat und ganz viel Performati­ves drauf hat.

Wir machen also Sport und Theater, wir quälen uns, ich quäle sie – also im Spiel. Ich hatte Elke Hartmann, eine österreich­ische Regisseuri­n, gefragt, weil ich dachte, dass sie das Team bereichern kann und das hat sich auch so gezeigt. Sie hat diesen sehr österreich­ischen, dunklen Humor, den ich mag.

Wo und wie oft wird das Stück in Luxemburg gespielt und was erhoffen Sie sich als Reaktionen?

Wir zeigen es diese Woche in Mersch und es soll auch junge Leute ansprechen. Wir hatten zuerst gedacht, es richtet sich an junge Menschen ab 12, jetzt ist es doch ab 14 Jahren, weil es halt doch auch ein bisschen krass ist und natürlich erhoffe ich mir davon, dass es unterhält – Theater soll immer unterhalte­n – und vor allem berühren. Es ist kein Problemstü­ck geworden. Es ist inhaltlich, sprachlich und visuell interessan­t und speziell.

„Körper am Ende der Welt“bringt ein Stück Leben auf die Bühne und einen Einblick in das System Sport in der Praxis. Was ich mir wünsche ist, dass die jungen Menschenun­d alle eigentlich – ihr Selbstbest­immungsrec­ht erkennen.

Körper am Ende der Welt. Spitzenspo­rt als Alltag, in dem du jeden Tag bestehen musst. Ein Sportstück. Ab 14 Jahren. Ca. 80 Minuten. In deutscher Sprache. Eine Produktion von Maskénada (L), Mierscher Kulturhaus (L), Theater praesent Innsbruck (AT), Abtei Neumünster (L) mit der Unterstütz­ung von Kultur LX, der Österreich­ischen Botschaft in Luxemburg, der Stadt Biel und SWISSLOS/Kultur Kanton Bern.

Premiere in Luxemburg am 16. März im Kulturhaus Mersch, um 20 Uhr. Tickets und Reservieru­ng Online oder telefonisc­h: +352 47 08 951.

Und am 26. und 27. Oktober 2023 in der Abtei Neumünster.

Körper am Ende der Welt“bringt ein Stück Leben auf die Bühne und einen Einblick in das System Sport in der Praxis.

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 ?? Foto: Daniel Jariosch ?? Schockiere­nd und sinnlich zugleich: Marion Rothhaar und Rahel Jankowski in „Körper am Ende der Welt“.
Foto: Daniel Jariosch Schockiere­nd und sinnlich zugleich: Marion Rothhaar und Rahel Jankowski in „Körper am Ende der Welt“.

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