Im Nahen Osten werden die Karten neu gemischt
Die Rivalität zwischen Riad und Teheran hat den Nahen Osten jahrzehntelang geprägt. Durch sie sind viele Konflikte erst entstanden, während andere nicht gelöst wurden. Und so kommt die in Peking verkündete Annäherung zwischen den einstigen Erzfeinden einem politischen Erdbeben gleich, dessen Nachbeben die Landschaft weit über den Nahen Osten hinaus verändern könnten.
Für den Westen ist ein derart wichtiges Abkommen, geschlossen im fernen Peking, ein Schlag ins Gesicht, verbunden mit dem stillen Eingeständnis, dass sich die internationale Weltordnung verändert, in der sich bisher nur die USA und Europa als vermeintlich ehrliche Makler inszeniert haben.
Für Peking dagegen ist die Vereinbarung ein großer diplomatischer Erfolg. Denn damit macht es zum ersten Mal dem Westen als Friedensvermittler im Nahen Osten Konkurrenz und unterstreicht damit parallel seinen globalen Anspruch, bei der künftigen Weltordnung ein Wörtchen mitreden zu wollen. Denn nach dem Debakel um den US-Rückzug aus Afghanistan wagen es nur noch wenige arabische Länder, sich einseitig auf Washington zu verlassen. Sie setzen lieber auf mehrere Pferde gleichzeitig: China, die USA und manchmal auch Russland.
Und das Mullah-Regime in Teheran durchbricht mit dem Abkommen die internationale Isolation zu einem Zeitpunkt, da die Islamische Republik zwischen dem Hammer von Wirtschaftssanktionen und dem Amboss eines Volksaufstands eingezwängt ist.
Für die Regimegegner im Iran ist es jedoch eine Katastrophe, da sie ihren Traum von Freiheit nun in weite Ferne rücken sehen. Denn mit der Unterstützung aus Riad, wenn auch nur als Lippenbekenntnis, ist die Macht in Teheran plötzlich viel weniger verwundbar geworden.
Die Einigung könnte aber auch Bewegung in einige festgefahrene Konfliktherde im Nahen Osten bringen. So können die vom saudisch-iranischen Hegemonialkonflikt besonders betroffenen Staaten – Jemen, Libanon, Irak, Syrien – nun endlich darauf hoffen, dass die jeweiligen Stellvertretergruppen der beiden Regionalmächte wieder zur Kompromissfähigkeit und politischen Konsensfindung bereit sein werden. Das ist unter anderem für die libanesische Hisbollah eine schlechte Nachricht, für die Menschen im Jemen aber ein lang erwarteter Hoffnungsschimmer in einem Krieg, der bereits acht Jahre andauert.
Möglicherweise kann dieser Konflikt, den die Vereinten Nationen zurecht als „die größte von Menschen gemachte humanitäre Katastrophe“bezeichnen, endgültig beendet werden, wenn sich die beiden Hauptsponsoren dieses Krieges ernsthaft zusammensetzen. Es ist jedenfalls zu hoffen, dass beide Seiten eingesehen haben, dass es mit einem andauernden Konfrontationskurs auf Dauer nur Verlierer gibt. Es wäre eine gute Nachricht für die gesamte Region.
Die Einigung könnte Bewegung in einige festgefahrene Konfliktherde im Nahen Osten bringen.
steve.bissen@wort.lu
te im Zentrum verweilen, bevor sie zurück in die Ukraine müssen, habe es neben dem Ehepaar auch Ausnahmen gegeben. „Ein Mann, der heute in einem Rollstuhl sitzt und aus einem kleinen Dorf kommt, hat alles verloren. Alles wurde zerstört. Er wusste nicht, wohin und ist hier geblieben.“
Svarka entschuldigt sich wieder. Um die 150 Schicksalsschläge hat sie seit Beginn des Krieges schon gehört. Denn so viele Patienten sind seitdem in das Rehazentrum eingeliefert worden. Doch es ist nicht das erste Jahr, das die Leiterin in Kontakt mit Kriegsveteranen steht.
Ukrainische Patienten haben mit Polytrauma zu kämpfen
Seit 2015 und der Annexion der Krim durch Russland habe das Zentrum mit seinen aktuell 500 Mitarbeitern, das nach der Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit entstand, Kriegsveteranen im Rehabilitationszentrum Vaivari aufgenommen. Die Kooperation auf die Beine zu stellen, sei einfach gewesen, sagt Svarka. Heute stehe das Zentrum mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium in Kontakt. Dieses entscheide darüber, welche Patienten im Rehazentrum behandelt werden.
Es sei allerdings leichter, Patienten aufzunehmen, die sich keiner größeren Operation unterziehen müssen. Manchmal würden aber trotzdem Schwerverletzte mit Rückenmarkläsionen in Lettland landen. „Das sind besonders schwierige Fälle“, betont Svarka. Ebenso komplex sei es auch, Patienten nach einer Amputation den Umgang mit ihrer Prothese beizubringen. „Es braucht einfach viel länger, als wir anfangs gedacht haben.“
Das Rehazentrum ist auf die Herstellung von Prothesen spezialisiert und verfügt über eine eigene Abteilung, die diese anfertigt. Um die richtigen Maße hinzubekommen, würde das Rehazentrum Soldaten vor ihrer Ankunft bereits um Bilder ihrer Amputationsstümpfe und Wunden bitten, die sie auch per Nachrichtendienst auf ihrem Handy verschicken können.
Doch bei der Behandlung eines amputierten Beins bleibt es für die meisten nicht, erklärt Svarka weiter. „Es gibt keine einfachen Patienten. Vor allem, wenn ihnen ein Körperteil fehlt. Dazu kommen meist auch Gehirnläsionen, Hörprobleme, vielleicht auch eine verwundete Hand hinzu: Sie sind Opfer von einem Polytrauma.“
Diese Menschen würden zugleich psychologische Betreuung brauchen. Im Rehabilitationszentrum gebe es zwar Psychologen, sagt Svarka, allerdings hofft man in Zukunft auf mehr Expertise von Militärpsychologen, die auf Posttraumata von Kriegsveteranen spezialisiert sind.
„Russisch sprechen ist okay. Krieg ist nicht okay“
Als Svarka vom Rehabilitationszentrum und ihrer Arbeit mit verletzten Soldaten erzählt, wirkt sie nervös. Sie redet leise. Ihre Stimme wirkt über das ganze Gespräch hinweg zittrig. Hier und da entschuldigt sie sich für ihr Englisch und versucht den Faden ihrer Erzählung wiederherzustellen. Das Schicksal ihrer Patienten liegt ihr sichtlich am Herzen. Sie zeigt Verständnis für die Lebensgeschichte der Menschen, die zu ihr kommen. Auch dafür, dass einige von ihnen nicht bereit sind, die Sprache des Aggressors mit den hiesigen Mitarbeitern zu sprechen.
„Eigentlich gibt es hier keine Kommunikationsprobleme zwischen uns, Letten sprechen meist russisch, Ukrainer ebenso. Es gab aber manchmal junge Menschen, die nicht sofort Russisch reden wollten.“Diese würden auf Englisch kommunizieren. Nach einiger Zeit würden sie sich trotzdem mit dem Russischen abfinden. Das sei so in Ordnung, sagt Svarka. „Russisch sprechen ist okay, Krieg ist nicht okay.“
Ivan präferiert ebenso Englisch als Kommunikationsmittel: „Sie verstehen … wegen meiner Situation.“Damit, dass mit den Mitarbeitern des Rehazentrums Russisch gesprochen werde, habe er sich mittlerweile eingefunden. „Diese Menschen helfen mir dabei, mich besser zu fühlen, also ist es für mich kein Problem. Zu Hause spreche ich aber Ukrainisch.“
Einen Einfluss auf den Umgangston zwischen den Mitarbeitern und den Patienten scheint das Russische im Rehazentrum nicht zu haben. Als sich Ivan von den Luxemburger Pressevertretern, die mit dem Großherzog am Dienstag zu Besuch waren, verabschiedet, kommen Ärztin und Pflegerin auf ihn zu. Sie legen ihre Hand sanft auf seine Schulter, streicheln ihm über den Rücken und lachen mit ihm. Sie scherzen: Ivan sei nach dem Interview ein Fernsehstar. Beim Vorbeigehen erzählt er der Journalisten-Runde noch, er habe sogar Verwandte in Luxemburg, die dort seit fünf Jahren leben. Nun könne er ihnen sagen, dass er ins Fernsehen kommen wird. Vielleicht wird er sie sogar eines Tages wiedersehen. Sobald der Krieg vorbei ist.
Ein Mann, der heute in einem Rollstuhl sitzt und aus einem kleinen Dorf kommt, hat alles verloren. Alles wurde zerstört. Inese Svarka, Leiterin der medizinischen Abteilung