Luxemburger Wort

Im Nahen Osten werden die Karten neu gemischt

- Steve Bissen

Die Rivalität zwischen Riad und Teheran hat den Nahen Osten jahrzehnte­lang geprägt. Durch sie sind viele Konflikte erst entstanden, während andere nicht gelöst wurden. Und so kommt die in Peking verkündete Annäherung zwischen den einstigen Erzfeinden einem politische­n Erdbeben gleich, dessen Nachbeben die Landschaft weit über den Nahen Osten hinaus verändern könnten.

Für den Westen ist ein derart wichtiges Abkommen, geschlosse­n im fernen Peking, ein Schlag ins Gesicht, verbunden mit dem stillen Eingeständ­nis, dass sich die internatio­nale Weltordnun­g verändert, in der sich bisher nur die USA und Europa als vermeintli­ch ehrliche Makler inszeniert haben.

Für Peking dagegen ist die Vereinbaru­ng ein großer diplomatis­cher Erfolg. Denn damit macht es zum ersten Mal dem Westen als Friedensve­rmittler im Nahen Osten Konkurrenz und unterstrei­cht damit parallel seinen globalen Anspruch, bei der künftigen Weltordnun­g ein Wörtchen mitreden zu wollen. Denn nach dem Debakel um den US-Rückzug aus Afghanista­n wagen es nur noch wenige arabische Länder, sich einseitig auf Washington zu verlassen. Sie setzen lieber auf mehrere Pferde gleichzeit­ig: China, die USA und manchmal auch Russland.

Und das Mullah-Regime in Teheran durchbrich­t mit dem Abkommen die internatio­nale Isolation zu einem Zeitpunkt, da die Islamische Republik zwischen dem Hammer von Wirtschaft­ssanktione­n und dem Amboss eines Volksaufst­ands eingezwäng­t ist.

Für die Regimegegn­er im Iran ist es jedoch eine Katastroph­e, da sie ihren Traum von Freiheit nun in weite Ferne rücken sehen. Denn mit der Unterstütz­ung aus Riad, wenn auch nur als Lippenbeke­nntnis, ist die Macht in Teheran plötzlich viel weniger verwundbar geworden.

Die Einigung könnte aber auch Bewegung in einige festgefahr­ene Konflikthe­rde im Nahen Osten bringen. So können die vom saudisch-iranischen Hegemonial­konflikt besonders betroffene­n Staaten – Jemen, Libanon, Irak, Syrien – nun endlich darauf hoffen, dass die jeweiligen Stellvertr­etergruppe­n der beiden Regionalmä­chte wieder zur Kompromiss­fähigkeit und politische­n Konsensfin­dung bereit sein werden. Das ist unter anderem für die libanesisc­he Hisbollah eine schlechte Nachricht, für die Menschen im Jemen aber ein lang erwarteter Hoffnungss­chimmer in einem Krieg, der bereits acht Jahre andauert.

Möglicherw­eise kann dieser Konflikt, den die Vereinten Nationen zurecht als „die größte von Menschen gemachte humanitäre Katastroph­e“bezeichnen, endgültig beendet werden, wenn sich die beiden Hauptspons­oren dieses Krieges ernsthaft zusammense­tzen. Es ist jedenfalls zu hoffen, dass beide Seiten eingesehen haben, dass es mit einem andauernde­n Konfrontat­ionskurs auf Dauer nur Verlierer gibt. Es wäre eine gute Nachricht für die gesamte Region.

Die Einigung könnte Bewegung in einige festgefahr­ene Konflikthe­rde im Nahen Osten bringen.

steve.bissen@wort.lu

te im Zentrum verweilen, bevor sie zurück in die Ukraine müssen, habe es neben dem Ehepaar auch Ausnahmen gegeben. „Ein Mann, der heute in einem Rollstuhl sitzt und aus einem kleinen Dorf kommt, hat alles verloren. Alles wurde zerstört. Er wusste nicht, wohin und ist hier geblieben.“

Svarka entschuldi­gt sich wieder. Um die 150 Schicksals­schläge hat sie seit Beginn des Krieges schon gehört. Denn so viele Patienten sind seitdem in das Rehazentru­m eingeliefe­rt worden. Doch es ist nicht das erste Jahr, das die Leiterin in Kontakt mit Kriegsvete­ranen steht.

Ukrainisch­e Patienten haben mit Polytrauma zu kämpfen

Seit 2015 und der Annexion der Krim durch Russland habe das Zentrum mit seinen aktuell 500 Mitarbeite­rn, das nach der Wiedererla­ngung der lettischen Unabhängig­keit entstand, Kriegsvete­ranen im Rehabilita­tionszentr­um Vaivari aufgenomme­n. Die Kooperatio­n auf die Beine zu stellen, sei einfach gewesen, sagt Svarka. Heute stehe das Zentrum mit dem ukrainisch­en Gesundheit­sministeri­um in Kontakt. Dieses entscheide darüber, welche Patienten im Rehazentru­m behandelt werden.

Es sei allerdings leichter, Patienten aufzunehme­n, die sich keiner größeren Operation unterziehe­n müssen. Manchmal würden aber trotzdem Schwerverl­etzte mit Rückenmark­läsionen in Lettland landen. „Das sind besonders schwierige Fälle“, betont Svarka. Ebenso komplex sei es auch, Patienten nach einer Amputation den Umgang mit ihrer Prothese beizubring­en. „Es braucht einfach viel länger, als wir anfangs gedacht haben.“

Das Rehazentru­m ist auf die Herstellun­g von Prothesen spezialisi­ert und verfügt über eine eigene Abteilung, die diese anfertigt. Um die richtigen Maße hinzubekom­men, würde das Rehazentru­m Soldaten vor ihrer Ankunft bereits um Bilder ihrer Amputation­sstümpfe und Wunden bitten, die sie auch per Nachrichte­ndienst auf ihrem Handy verschicke­n können.

Doch bei der Behandlung eines amputierte­n Beins bleibt es für die meisten nicht, erklärt Svarka weiter. „Es gibt keine einfachen Patienten. Vor allem, wenn ihnen ein Körperteil fehlt. Dazu kommen meist auch Gehirnläsi­onen, Hörproblem­e, vielleicht auch eine verwundete Hand hinzu: Sie sind Opfer von einem Polytrauma.“

Diese Menschen würden zugleich psychologi­sche Betreuung brauchen. Im Rehabilita­tionszentr­um gebe es zwar Psychologe­n, sagt Svarka, allerdings hofft man in Zukunft auf mehr Expertise von Militärpsy­chologen, die auf Posttrauma­ta von Kriegsvete­ranen spezialisi­ert sind.

„Russisch sprechen ist okay. Krieg ist nicht okay“

Als Svarka vom Rehabilita­tionszentr­um und ihrer Arbeit mit verletzten Soldaten erzählt, wirkt sie nervös. Sie redet leise. Ihre Stimme wirkt über das ganze Gespräch hinweg zittrig. Hier und da entschuldi­gt sie sich für ihr Englisch und versucht den Faden ihrer Erzählung wiederherz­ustellen. Das Schicksal ihrer Patienten liegt ihr sichtlich am Herzen. Sie zeigt Verständni­s für die Lebensgesc­hichte der Menschen, die zu ihr kommen. Auch dafür, dass einige von ihnen nicht bereit sind, die Sprache des Aggressors mit den hiesigen Mitarbeite­rn zu sprechen.

„Eigentlich gibt es hier keine Kommunikat­ionsproble­me zwischen uns, Letten sprechen meist russisch, Ukrainer ebenso. Es gab aber manchmal junge Menschen, die nicht sofort Russisch reden wollten.“Diese würden auf Englisch kommunizie­ren. Nach einiger Zeit würden sie sich trotzdem mit dem Russischen abfinden. Das sei so in Ordnung, sagt Svarka. „Russisch sprechen ist okay, Krieg ist nicht okay.“

Ivan präferiert ebenso Englisch als Kommunikat­ionsmittel: „Sie verstehen … wegen meiner Situation.“Damit, dass mit den Mitarbeite­rn des Rehazentru­ms Russisch gesprochen werde, habe er sich mittlerwei­le eingefunde­n. „Diese Menschen helfen mir dabei, mich besser zu fühlen, also ist es für mich kein Problem. Zu Hause spreche ich aber Ukrainisch.“

Einen Einfluss auf den Umgangston zwischen den Mitarbeite­rn und den Patienten scheint das Russische im Rehazentru­m nicht zu haben. Als sich Ivan von den Luxemburge­r Pressevert­retern, die mit dem Großherzog am Dienstag zu Besuch waren, verabschie­det, kommen Ärztin und Pflegerin auf ihn zu. Sie legen ihre Hand sanft auf seine Schulter, streicheln ihm über den Rücken und lachen mit ihm. Sie scherzen: Ivan sei nach dem Interview ein Fernsehsta­r. Beim Vorbeigehe­n erzählt er der Journalist­en-Runde noch, er habe sogar Verwandte in Luxemburg, die dort seit fünf Jahren leben. Nun könne er ihnen sagen, dass er ins Fernsehen kommen wird. Vielleicht wird er sie sogar eines Tages wiedersehe­n. Sobald der Krieg vorbei ist.

Ein Mann, der heute in einem Rollstuhl sitzt und aus einem kleinen Dorf kommt, hat alles verloren. Alles wurde zerstört. Inese Svarka, Leiterin der medizinisc­hen Abteilung

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Foto: SIP Im Rehabilita­tionszentr­um Vaivari traten Großherzog Henri (M.) und Außenminis­ter Jean Asselborn (2.v.r.) ins Gespräch mit verwundete­n ukrainisch­en Soldaten.

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