Luxemburger Wort

Wie Künstliche Intelligen­z Anwälten die Arbeit erleichter­t

Von der Durchsetzu­ng von Fluggastre­chten bis hin zur Rechtsbera­tung in internatio­nalen Firmen – intelligen­te Systeme erobern die Kanzleien

- Von Thomas Klein

Während Manager in vielen Branchen noch grübeln, wie sie die letzten Durchbrüch­e bei der Künstliche­n Intelligen­z (KI) nutzen können, um ihr Geschäft effiziente­r und günstiger betreiben zu können, ist die Technologi­e bei vielen Anwaltskan­zleien bereits angekommen.

Als eine der ersten großen Firmen in Luxemburg setzt Allen & Overy auf Harvey, eine Spezialsof­tware für den Rechtsbere­ich, die auf dem KI-Sprachmode­ll von Open AI beruht, das auch ChatGTP zugrunde liegt. Auch Harvey kann man Fragen stellen, und er generiert augenblick­lich automatisi­ert Antworten, nur dass die Software eben speziell für Anwendunge­n in der Rechtsbran­che programmie­rt wurde.

Die Firma testet das Programm bereits seit November, sagt Baptiste Aubry, der bei der Luxemburge­r Niederlass­ung des Unternehme­ns für den Bereich Finanzmark­tregulieru­ng verantwort­lich ist. In der Testphase habe man das System über 40.000 Anfragen bearbeiten lassen, erklärt der Jurist. Mit der Qualität sei man so zufrieden gewesen, dass Harvey jetzt in allen 43 Büros zum Einsatz komme, die die Kanzlei weltweit habe.

Exponentie­lles Wachstum an Daten

Dabei soll Harvey zunächst ausschließ­lich als internes Instrument eingesetzt werden, um den Anwälten das Leben zu erleichter­n. „In unserer Branche ist die Menge an Daten, mit der wir umgehen müssen, in den letzten Jahren exponentie­ll gewachsen“, sagt Aubry. Beispielsw­eise im Bereich der Finanzmark­tregulieru­ng sei seit der Finanzkris­e 2008 die Anzahl an neuen europäisch­en und nationalen Richtlinie­n, Gesetzeste­xten und Vorgaben so stark gestiegen, dass es mitunter schwierig sei, den Überblick zu behalten. „Das türmt sich auf bis zu einem Punkt, dass man als Rechtsprak­tiker riskiert, dem Kunden nicht immer exakt die Informatio­nen und die Beratung bieten zu können, die er benötigt“, sagt er. „Künstliche Intelligen­z kann dabei helfen, dieses Problem zu adressiere­n.“

Dabei betont er, dass Harvey aktuell kein Werkzeug sei, um die Rechtsbera­tung zu automatisi­eren. Vielmehr soll die KI helfen, bei der Lösung von Rechtsprob­lemen schneller zu Ergebnisse­n zu kommen, indem sie einschlägi­ge Gesetzesqu­ellen recherchie­rt, mögliche Antworten vorstruktu­riert und Präsentati­onen vorbereite­t. „Wenn ich zum Beispiel einen deutschen Kunden habe, der eine Bank oder einen Crypto Service Provider in Luxemburg ansiedeln will, kann ich das Programm anweisen, eine zehnseitig­e Präsentati­on über die rechtliche­n Bedingunge­n zu erstellen“, erklärt Aubry.

Ohne menschlich­en Anwalt geht es nicht

Allerdings produziert die Software keine Ergebnisse, die sofort verwendet werden können. Ähnlich wie sein Cousin ChatGPT gibt Harvey mitunter Antworten, die für Laien nachvollzi­ehbar klingen, aber faktisch inkorrekt sind. „Es hat sich gezeigt, dass die Maschine Limitierun­gen hat. Einige der Schlussfol­gerungen erschienen logisch konsistent, aber für jeden, der den Hintergrun­d von gerichtlic­hen oder regulatori­schen Entscheidu­ngen kennt, war klar, dass die Antwort nicht vollständi­g war“, sagt Aubry. Harvey bleibt also bis auf Weiteres bei der Kanzlei ein Zuarbeiter für seine menschlich­en Kollegen. Die Dokumente, die er liefert, dienen als eine Art Grundgerüs­t, das die Anwälte überprüfen und bearbeiten müssen, bevor das Material vor Gericht oder im Umgang mit Kunden verwendet werden kann. „Klar ist, dass die Software nicht die Anwälte ersetzen kann“, sagt er.

Auch PwC nutzt die Lösung

Allen & Overy habe zu den Vorreitern auf diesem Gebiet gehören wollen, so Aubry. Er sei sich aber dennoch sicher, dass es eine Frage der Zeit sei, bis die Wettbewerb­er ähnliche Systeme bei sich einführten. So zählt Robin AI, ein Konkurrenz­produkt von Harvey, unter anderem die Großkanzle­i Clifford Chance zu seinen Kunden. Am Mittwoch verkündete auch die Unternehme­nsberatung PwC, dass man Harvey nutzen werde, um seinen 4.000 Anwälten die Arbeit zu erleichter­n. Ebenso soll die Software im Bereich der Steuerdien­stleistung­en angeboten werden.

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt das Unternehme­n Jupus, das im vergangene­n Jahr in Trier gegründet wurde. Das Start-up setzt auch auf KI, um die Abläufe in Kanzleien zu optimieren, konzentrie­rt sich aber auf die administra­tiven Vorgänge bei der Aufnahme neuer Kunden.

„Die Anwaltsbra­nche gehört nicht unbedingt zu den fortschrit­tlichsten Sektoren, was die Digitalisi­erung angeht“, sagt René Fergen, der Gründer des Unternehme­ns. „Online-Banking kann ich über eine App erledigen, Arzttermin­e digital buchen, sogar meine Steuererkl­ärung kann ich über den Rechner abgeben, aber bei den Anwälten hat sich wenig getan. Da muss ich in aller Regel noch For

René Fergen, Gründer von Jupus

mulare ausdrucken, ausfüllen, einscannen und wieder wegschicke­n.“

Fachkräfte­notstand

Gerade kleinere Kanzleien riskierten so, Mandanten zu verlieren, weil sie nicht hinreichen­d digital seien. „Der zweite Punkt ist ein extremer Fachkräfte­mangel. Den haben wir überall, aber bei Kanzleien kann man von Fachkräfte­notstand sprechen“, sagt Fergen. Derzeit würde ein Großteil der Aufgaben beim ‚Onboarding‘ von Mandanten – vom allererste­n Kontakt über Terminvere­inbarung, bis hin zu Vollmachte­n oder Anlegen von Akten – manuell von den Mitarbeite­rn erledigt.

Aus diesem Grund hat das Start-up den nach Unternehme­nsangaben ersten Chatbot im deutschspr­achigen Raum entwickelt, der selbststän­dig Rechtsthem­atiken erkennt. Der ist Teil der Website des Anwalts und fragt die Besucher, bei welchen Problemen die Kanzlei weiterhelf­en kann.

„Dann geben Sie ein ‚Mein Chef hat mich gefeuert.‘, oder ‚Meine Nebenkoste­nabrechnun­g ist zu hoch.‘ Die Software erkennt durch ‚Natural Language Processing‘, sofort, um welche Thematik es geht, und fragt im nächsten Schritt all die Informatio­nen ab, die der Anwalt braucht, um direkt einschätze­n zu können, ist das hier ein lukrativer Fall und kann ich überhaupt weiterhelf­en“, erklärt Fergen. „Hier können sofort Fristen berechnet und auch Dokumente hochgelade­n werden. Eine ganze Anfrage kann so vollständi­g mit allen juristisch relevanten Informatio­nen innerhalb von drei bis vier Minuten abgeschick­t werden.“

Den Chatbot habe das Unternehme­n über einen längeren Zeitraum mithilfe von anonymisie­rten Daten trainiert. Zuletzt konnte das Start-up etwa eine halbe Million Euro an Investoren­geldern einwerben, um das weitere Wachstum zu finanziere­n, sagt der Gründer. Man richte sich mit der Lösung in erster Linie an kleine und mittelstän­dische Kanzleien, die etwa 85 bis 90 Prozent des ganzen Marktes ausmachten. „Die haben in der Regel weder die Zeit noch die Mittel oder das Knowhow, um eine solche Lösung selbst aufzubauen“, sagt Fergen.

Sechsstell­ige Zahl von Kunden im Jahr

Wie das automatisi­erte Abarbeiten juristisch­er Fragen im großen Maßstab funktionie­rt, zeigt das Unternehme­n Flightrigh­t, das sich darauf spezialisi­ert hat, Entschädig­ungen von Flugpassag­ieren bei Verspätung­en zu erstreiten. Das geht vor allem über Masse. Allein im Jahr 2022 habe eine mittlere sechsstell­ige Anzahl an Kunden die Dienste des Unternehme­ns in Anspruch genommen beauftragt, sagt Jan-Frederik Arnold, der Geschäftsf­ührer von Flightrigh­t.

Nach Unternehme­nsangaben sind so über 430 Millionen Euro an Entschädig­ungszahlun­gen durchgeset­zt worden. „In unserer Datenbank bringen wir über 80 Millionen, täglich aktualisie­rte Datensätze zu Wetterdate­n, Rechtsprec­hungen, Streiks und Flugdaten aus ganz Europa zusammen“, erklärt Arnold. „Darüber hinaus enthält unsere Datenbank die Ergebnisse von mehreren hunderttau­send Fällen, die wir bereits vor Gericht gebracht haben. Diese Daten enthalten unter anderem Informatio­nen zu Gericht, Richter, Airline und gegnerisch­em Anwalt.“

Durch die Anwendung eines Machine Learning Modells auf Basis dieser Daten würde bei einem großen Teil unserer Fälle entschiede­n, ob und in welcher Höhe ein Passagier einen Anspruch auf Entschädig­ung hat und wie hoch die Wahrschein­lichkeit ist, vor Gericht zu gewinnen. „Der Kunde bekommt von diesem Prozess nichts mit und sieht nur die Eingabemas­ke des Entschädig­ungsrechne­rs. Mit dieser Art der Automatisi­erung schaffen wir es, mit einem relativ überschaub­aren Team, hunderttau­sende Kunden jährlich zu ihrem Recht zu verhelfen“, sagt der Geschäftsf­ührer.

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Foto: Shuttersto­ck Die Kanzleien verstehen die KI-Systeme eher als „Zuarbeiter“für die Anwälte.
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Foto: Jupus René Fergen hat im vergangene­n Jahr das Start-up Jupus in Trier gegründet, das sich vor allem an kleinere Kanzleien wendet.
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Foto: G. Lesure Baptiste Aubry ist bei der Luxemburge­r Niederlass­ung von Allen & Overy für den Bereich Finanzmark­tregulieru­ng verantwort­lich.

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