Warum der Irak-Krieg vor 20 Jahren zum Fiasko wurde
Vor 20 Jahren stürzte die US-Irak-Invasion den Nahen Osten ins Chaos. Unser Korrespondent Michael Wrase war vor Ort – und blickt auf das Desaster zurück
In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 erhellten die Blitze von 40 amerikanischen Tomahawk-Marschflugkörpern den Himmel über Bagdad. „Shock and Awe“– Schreck und Ehrfurcht – nannte die US-Armee ihre Taktik, mit der sowohl die irakischen Streitkräfte wie auch die Zivilbevölkerung gleich zu Beginn des Krieges eingeschüchtert und zermürbt werden sollte. Drei Tage zuvor hatte der amerikanische Präsident George W. Bush den irakischen Diktator aufgefordert, sein Land binnen 48 Stunden zu verlassen und der Bevölkerung des Irak die „Befreiung von Qualen und Unterdrückung“versprochen.
Saddam Hussein reagierte auf das Ultimatum mit einer Tirade über den „verbrecherischen kleinen Bush“. Kriegsberichterstatter mussten sich damals bei den kämpfenden Truppen der USA und Großbritanniens „einbetten“und sich verpflichten, ihre Texte einer Sicherheitsüberprüfung durch Presseoffiziere zu unterziehen. So sollte der Eindruck eines „chirurgischen und sauberen“Krieges erzeugt werden.
Wer die Zensur so wie ich ablehnte, durfte erst nach dem 7. April, als Bagdad gefallen war, aus Jordanien in den Irak einreisen. Zwischen Falludscha und Ramada wurde unser Taxi-Konvoi damals von „Wegelagerern“beschossen. Die im Westen von Bagdad gelegenen Städte wurden wenige Monate später vom irakischen Arm des Terrornetzwerkes Al Kaida erobert.
In Bagdad selbst herrschte nach unserer Ankunft bereits Anarchie. Die amerikanischen Besatzungstruppen beschränkten sich auf die Bewachung der aus ihrer Sicht wichtigsten Regierungsgebäude, unter denen auch das Öl – und Finanzministerium war. Der Plünderung des irakischen Nationalmuseums, dem Raub von über 15.000 wertvollen archäologischen Fundstücken, sahen die USTruppen tatenlos zu. Sie verhinderten auch nicht den Brand in der Nationalbibliothek, in der Tausende von unersetzbaren Büchern und Handschriften geraubt wurden.
Lügen vor den Vereinten Nationen
Begonnen hatte der Krieg im Plenarsaal der Vereinten Nationen. Sechs Wochen vor dem Einmarsch versuchte US-Außenminister Colin Powell die Weltöffentlichkeit auf die angeblich „unvermeidliche“Invasion einzustimmen. Zentraler Inhalt seiner 76 Minuten langen Rede war eine Power Point-Präsentation über eine Flotte von Lastwagen, welche zu rollenden Chemie- und Biowaffenlabors umgebaut worden seien. Diese Behauptungen sowie Iraks angebliche Verwicklung in die Terroranschläge vom 11. September 2001 stellten sich bald als Lügen heraus. Powell selbst bezeichnete zwei Jahre später seine Rede als „Schandfleck seiner Karriere“.
Die internationalen Medien hatten die Lügen, die als Rechtfertigung für den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak dienten, in der Regel für bare Münze genommen. Ich erinnere mich an einen (von vielen) Beiträgen, in dem ich über ein Treffen von Saddam Husseins Agenten mit Gefolgsleuten von Osama bin Laden in Prag berichtet hatte – das, wie sich später herausstelle, niemals stattfand. Als Quelle diente der amerikanische Geheimdienst, dessen Glaubwürdigkeit meist nicht hinterfragt wurde.
Ein Jahr später war es die New York Times, die sich in einem bemerkenswerten Leitartikel bei ihren Lesern für die „unreflektierte“Berichterstattung über die Irak-Invasion, die praktisch alle westlichen Medien geprägt hatte, entschuldigte. Meldungen über Massenvernichtungswaffen im Irak seien „nicht überprüft und nur ungenügend hinterfragt worden“, gab das Blatt zu. Quellen, welche als glaubwürdig galten, hätten sich später „als Betrüger herausgestellt“.
Eine gesetzlose Hauptstadt
Bagdad war zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer gesetzlosen Stadt verkommen, in der marodierende Milizen das Recht in die eigenen Hände nahmen. Die amerikanische Besatzungsarmee zeigte sich überfordert und unfähig, das durch Attentate und tägliche Geiselnahmen verursachte Chaos in der irakischen Hauptstadt in den Griff zu bekommen.
Verantwortlich dafür war in erster Linie der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer: Er hatte wenige Wochen nach dem Ein
Wer die Zensur ablehnte, durfte erst nach dem 7. April, als Bagdad gefallen war, aus Jordanien in den Irak einreisen.
marsch in Bagdad die irakische Armee und den Geheimdienst aufgelöst. Neben 450.000 einfachen Soldaten verloren auch Tausende von hohen Offizieren durch diesen „nicht mehr wiedergutzumachenden Fehler“, so die jordanische König Abdullah II., ihre Arbeit und gingen in den Untergrund. Sie bildeten Jahre später die Führungsriege des sogenannten „Islamischen Staat“.
Der rasante Aufstieg der Terrormiliz und das von ihr proklamierte „Kalifat“in den Weiten des Irak und Syriens im Juli 2014 wäre ohne die Irak-Invasion des George W. Bush vermutlich nicht möglich gewesen. Das „Kalifat“, das in seiner „Blütezeit“von den nördlichen Vororten Bagdads bis fast nach Aleppo reichte, konnte die US-Armee dank der Unterstützung marxistischer Kurdenmilizen zwar zerschlagen. Eine Gefahr für die Staaten des Nahen Ostens bleibt die dschihadistische Terrormiliz aber bis heute.
Nicht nur vor diesem Hintergrund war die amerikanische Irak-Mission „ein Fehlschlag auf der ganzen Linie“, betont der deutsche Terrorismusexperte Rolf Tophoven. Fast 5.000 US-Soldaten kamen im Irak ums Leben, mehr als 30.000 wurden verletzt. Mit geschätzten drei Billionen Dollar waren die wirtschaftlichen Kosten sehr viel höher als erwartet. Der US-Armee gelangen zwar der angestrebte „Regime-Change“im Irak sowie die Verhaftung von Saddam Hussein, der nach einem spektakulären Schauprozess gehängt wurde.
Der Erzfeind profitiert
Trotzdem war es ausgerechnet Iran, der Erzfeind der USA, der das nach dem Einmarsch der Amerikaner entstandene Sicherheitsvakuum im Irak am Ende ausfüllen und so zur neuen Regionalmacht aufsteigen konnte. Die neuen schiitischen Machthaber im Zweistromland betrachten die iranischen Mullahs als natürliche Verbündete.
Zum Leidwesen der Amerikaner hat das Regime in Teheran in allen politischen und wirtschaftlichen Fragen das letzte Wort. Über irakisches Territorium entstand eine „schiitische Achse“von Teheran bis nach Beirut, über die die iranischen Revolutionsgardisten ihre Verbündeten im Libanon und Syrien mit Waffen versorgen.
Dort ist es Russland, das von der strategischen Lücke, die die USA durch ihre „geopolitische Neuorientierung“hinterlassen haben, profitiert hat. Nach ihrem Fiasko im Irak ließen die Amerikaner im September 2015 den Einsatz der russischen Luftwaffe in Syrien zu.
Mit massiven Bombardements verhalfen Putins Kampfflugzeuge den von iranischen Milizen unterstützten Truppen des syrischen Diktator Baschar al-Assad zum Sieg gegen die islamistische Opposition in Aleppo. Eine Niederlage hätte die Stützpunkte der russischen Kriegsflotte in den syrischen Mittelmeerhäfen Tartus und Latakia gefährdet.
Zivile Tote infolge des Irakkrieges
Unter Kriegsbedingungen ist es extrem schwierig, genaue Aussagen über die Zahl der zivilen Todesopfer zu erfassen. Entsprechend gehen die Schätzungen darüber weit auseinander. 2013 kam eine US-Studie auf mindestens 500.000 zivile Todesopfer zwischen 2003 und dem Abzug der US-Kampftruppen 2011. Diese seien durch direkte Gewalteinwirkung wie Schüsse und Bombenangriffe oder an indirekten Folgen gestorben, etwa stressbedingte Krankheiten oder zusammenbrechende Infrastruktur für Trinkwasser, Ernährung, Verkehr und Gesundheit. Das Internetportal „Iraq Body Count“, das Berichte zahlreicher Medien auswertet, geht von 186.736 bis 210.090 dokumentierten zivilen Todesfällen durch Gewalt von 2003 bis in die Gegenwart aus.