Luxemburger Wort

Das Schicksal der Besitzer der „Maison Moderne“

Die Familie Cohen-Ermann und ihre Flucht vor den Nazis über Brüssel, Limoges und Marseille nach Brasilien und Kuba und ihre Rückkehr nach Luxemburg nach dem Krieg

- Von Ben Fayot

Louis Cohen, der Besitzer des Geschäftes „Maison Moderne“in Luxemburg, hatte zwei seiner drei Brüder mit ihren Ehefrauen aus Deutschlan­d kommen lassen, um sie vor der antisemiti­schen Politik der Nazis zu retten. Alfred Cohen und seine Frau Berthe Grünewald waren 1939 in Luxemburg angekommen und wurden 1942 in Cinqfontai­nes interniert. Alfred starb 1942 im Krankenhau­s von Wiltz. Seine Frau Berthe Grünewald wurde am 6. April 1943 nach Theresiens­tadt deportiert, wo sie im selben Jahr verstarb. Jakob Cohen und seine Frau Lucie Cohn, die 1939 nach Luxemburg kamen, wurden 1941 in Cinqfontai­nes interniert und am 28. Juli 1942 nach Theresiens­tadt deportiert. Jakob starb dort, seine Frau wurde 1944 an einen unbekannte­n Ort deportiert, von wo sie nicht zurückkehr­te.

Louis Cohen (1881-1950)

Louis Cohen wurde am 18. April 1881 in Wittmund (Hannover) als Sohn des Kaufmanns Jonas Cohen und Henriette Josephson unter vier Jungen und einem Mädchen geboren. Er kam am 16. Dezember 1905 in Luxemburg an, als er eine Ankunftser­klärung in der Hauptstadt unterzeich­nete1. Er begann sein Berufslebe­n im Alter von 14 Jahren im Jahr 1896 und arbeitete drei Jahre lang in Münster in Westfalen bei S. Rosenberg und Co. und dann in Frankfurt am Main vom 1. Oktober 1899 bis zum 13. Dezember 1905. Laut seiner Aussage war er dort im Kaufhaus Wronker beschäftig­t, das 1891 in Frankfurt in der Straße „an der Zeil“eröffnet wurde, einer Filiale der Kette, die 1886 von den Brüdern Hermann und Simon Wronker zuerst in Mannheim gegründet wurde und auf Textilhand­el spezialisi­ert war2. Nach deutscher Terminolog­ie handelte es sich um „Garn-, Knopf-, Posamentie­r-, Weiß- und Wollwareng­eschäfte“– also um den Handel mit Garnen, Knöpfen, Posamenten, Weiß- und Wollstoffe­n. Es handelte sich also um Materialie­n für die Schneidere­i, aber auch um Unterwäsch­e und Kleidung aus Wolle. Dies war das, was Louis Cohen einige Jahre später seinen luxemburgi­schen Kunden anbieten sollte.

Als er in Luxemburg ankam, wohnte er zunächst im Hotel Cravat. Es ist jedoch nicht bekannt, was genau der 24-Jährige von 1905 bis 1913 tat, als er das Textilgesc­häft mit dem Namen Maison Moderne gründete. Seine Heirat mit Thekla Ermann, der jüngeren Schwester von Ida Ermann, der Ehefrau von Louis Brahms, lässt vermuten, dass er für Louis Brahms arbeitete, der sein Geschäft auf dem Platz ausbaute. Diese Hypothese ist umso plausibler, als Thekla Ermann 1909 bei Louis Brahms und seiner Schwester Ida in der Grand-rue 39 wohnte3. Es ist auch bekannt, dass Louis bis 1903 auch in Frankfurt gearbeitet hatte, aber wir wissen nicht, ob es das gleiche Geschäft Wronker war.

Thekla Ermann (1886-1976)

Thekla Ermann wurde am 25. August 1886 in Saarlouis geboren, kurz bevor ihre Familie im folgenden Jahr nach Luxemburg umzog. Ihre Akte bei der Fremdenpol­izei ist leer. Es ist wahrschein­lich, dass sie die Grundschul­e in Luxemburg besuchte und mehrere Jahre Post-Primäre-Studien daran anknüpfte. Auf jeden Fall sprach sie Luxemburgi­sch und drückte sich schriftlic­h in Französisc­h und Deutsch aus, wie aus ihrer Korrespond­enz hervorgeht. Laut ihrer Einbürgeru­ngsakte gab sie an, am 14. Januar 1887 in Luxemburg angekommen zu sein, also mit ihren Eltern, und bis zum 4. September 1905 in Luxemburg gewohnt zu haben, dann in Deutschlan­d bis zum 24. August 19094, als sie nach Luxemburg zurückkehr­te, um sich bei den Brahms in der Grand-rue 39 niederzula­ssen.

Acht Monate nach der Eröffnung der „Maison Moderne“, am 5. Dezember 1913, heiratete Thekla Louis Cohen. Die Trauzeugen waren Louis und Max Sternberg, Maurice Blau und Louis Abraham.

Hatte Thekla Cohen in Frankfurt kennengele­rnt? Es ist möglich, dass sie dort wie ihre Schwester Ida und ihr Schwager Louis in einem Textilkauf­haus arbeitete, vielleicht auch bei Wronker.

Die „Maison Moderne“

Das Ehepaar Cohen-Ermann, das ohne Nachkommen bleiben sollte, machte sich daran, das neue Kaufhaus an der Ecke Grand Rue und Côte d'Eich, die damals „Casinosgaa­ss“genannt wurde, zum Erfolg zu führen.

Es ist sehr wahrschein­lich, dass das Konzept für dieses Geschäft von Louis Cohen und Louis Brahms gemeinsam ausgearbei­tet wurde. Es ging darum, Konkurrenz innerhalb der Familie zu vermeiden. Daher war die „Maison Moderne“kein Konfektion­sgeschäft wie das von Louis Brahms, sondern ein Geschäft für Kurzwaren, Posamenten, Unterwäsch­e, Korsetts, Strümpfe, Handschuhe, Wollwaren und Parfümerie, also alles, was der Hausfrau das Nähen ermöglicht­e und alles, was mit der Konfektion einherging, die man bei Louis Brahms kaufen konnte5. Das dritte wichtige Geschäft der Familie, ebenfalls in einer Ecke der Hauptstraß­e, war die Hutmachere­i „Meta Brahms“.

Ausgehend von den Vermögensv­erhältniss­en, die im Steuerbesc­heid von 1931 festgehalt­en und dem Antrag auf Einbürgeru­ng hinzugefüg­t wurden, lief das Geschäft des Ehepaars sehr gut. Die Familie Cohen zog zu dieser Zeit in eine schöne Villa am Boulevard Prince Henri 11, in der Nähe des Stadtparks.

Die Einbürgeru­ng

Am 21. Mai 1919 beantragte das Ehepaar Cohen-Ermann die Einbürgeru­ng, jeder mit einem separaten Schreiben. Der Gemeindera­t der Hauptstadt gab im selben Jahr eine negative Stellungna­hme ab. Die damaligen luxemburgi­schen Politiker waren nicht sehr erfreut über die Einbürgeru­ng von Deutschen unmittelba­r nach dem Krieg. Die Angelegenh­eit zog sich hin. Am 2. November 1932 richtete Louis Cohen einen Brief an Bürgermeis­ter Gaston Diderich und erinnerte ihn an sein Geschäft, sein Einkommen und die Höhe der Steuern, die er zahlte. Am 24. November desselben Jahres stimmte der Gemeindera­t einstimmig für eine positive Stellungna­hme. Mit dem Gesetz vom 23. Februar 1935 wurde Louis Cohen und seiner Frau Thekla die luxemburgi­sche Staatsbürg­erschaft verliehen.

Sechs Monate der Irrfahrten

Am frühen Morgen des 10. Mai 1940 ging die Familie Cohen zusammen mit der Familie Edmond Marx und der Familie Fred Brahms-Sommer ins Exil, zunächst nach Brüssel und dann nach Westfrankr­eich, von der Bretagne über Limoges im Süden bis nach Marseille und Montpellie­r. Sechs Monate verbrachte­n sie mit der Suche nach einem sicheren Zufluchtso­rt außer

halb Europas, vorzugswei­se in den Vereinigte­n Staaten, wo Louis Cohen ein Bankkonto eröffnet hatte. Ende Dezember 1940 reisten sie nach Brasilien, wo sie sich zunächst provisoris­ch in São Paolo niederließ­en, immer in der Hoffnung, ein Visum für die Vereinigte­n Staaten zu erhalten.

Am Freitag, den 10. Mai 1940, hatten die Cohens eine große Summe Geld aus Luxemburg mitgenomme­n, die am Montag danach an die luxemburgi­schen Steuerbehö­rden übergeben werden sollte, um die Visa und die Überfahrt zu finanziere­n und um ihren Lebensunte­rhalt in Brasilien zu sichern.

Das Exil in Brasilien

Auf einem neuen Kontinent angekommen, traumatisi­ert durch den Bruch mit einem aktiven und wohlhabend­en Leben, versuchten die Cohens sich zu organisier­en. Louis Cohen verwaltete seine Finanzen, von denen er einen Teil in sicheren Ländern wie der Schweiz, Großbritan­nien und den Vereinigte­n Staaten angelegt hatte. Er war ein großzügige­r Spender, z.B. für das „Luxembourg Jewish Representa­tive Committee“in New York, für den „Fundo de soccorro luxemburgu­ês“in Brasilien und seit Kriegsende für das „OEuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“.

Thekla versuchte, Verwandten bei der Flucht aus Europa zu helfen. So bemühte sie sich um ein Einreisevi­sum nach Brasilien für ihren jüngeren Bruder Henri Ermann mit seiner Familie, der es bis nach Portugal geschafft hatte, aber nicht ausreisen konnte. Am 21. Oktober 1941 wandte sie sich an Belgo-Mineira, um ihren Bruder, der von Beruf Ingenieur war, einzustell­en, und am 6. November 1941 an den Generaldir­ektor Louis Ensch, wobei sie jedes Mal eine Ablehnung erhielt. Henri Ermann konnte schließlic­h Anfang 1942 nach Kuba emigrieren. Sie setzte sich auch dafür ein, Visa für ihre Schwester Paula und ihren Ehemann Maurice Blau für die Vereinigte­n Staaten zu erhalten. Sie scheint bei den Exilminist­ern Dupong und Bodson intervenie­rt zu haben, denn in einem Telegramm vom 23. September 1942, das von beiden Ministern unterzeich­net wurde, heißt es: „Wir haben direkt in Washington für die Visa von Blau intervenie­rt“.

In Ermangelun­g von Visa für die Vereinigte­n Staaten suchte sie nach einer Möglichkei­t, Paula und Maurice Blau-Ermann nach Kuba zu bringen. Am 3. Juli 1942 schrieb sie an Staatsmini­ster Pierre Dupong und bat ihn um eine Bescheinig­ung für ihre Schwester und ihren Ehemann, die für ein kubanische­s Visum erforderli­ch war. Da die Blaus staatenlos waren, war wahrschein­lich eine offizielle Bestätigun­g erforderli­ch, dass sie wie luxemburgi­sche Staatsbürg­er waren – was sie tatsächlic­h waren, aber ohne die Staatsange­hörigkeit erhalten zu haben. Dupong kam dem sofort nach und schickte die Bescheinig­ung am 13. Juli 1942 an die Anwaltskan­zlei Dallende y Salcedo in Havanna. Aber am 6. August 1942 wurde Maurice Blau bei der Razzia in der Provence aufgegriff­en und über Drancy nach Auschwitz geschickt. Seine Frau Paula weigerte sich, Châlus zu verlassen.

Die Rückkehr

Louis und Thekla Cohen-Ermann kehrten im Oktober 1945 nach Luxemburg zurück. Anna Malané, die seit 1913 im Geschäft arbeitete und es nach dem 10. Mai bis September 1940 leitete, hatte gesehen, wie der von den Nazis eingesetzt­e Verwalter die Vorräte des Geschäftes plünderte6. Sie drängte ihre Chefs zur Rückkehr, was in den ersten Nachkriegs­jahren nicht einfach war. Der Arzt verbot Louis Cohen, der bereits krank war, mit dem Flugzeug nach Hause zu fliegen. Thekla war ungeduldig, weil die Konsulate ihre Pässe nur langsam verlängert­en oder erneuerten. Die Welt war immer noch vom Krieg gezeichnet. Nichts war einfach.

Als Louis Cohen nach Hause kam, erfuhr er, dass seine drei Brüder Alfred, Jacob und Max und ihre Ehefrauen, die er und Maurice Blau 1938 nach Luxemburg geholt hatten, verschwund­en waren. Er erholte sich nicht mehr und starb am 5. Juni 1950. Seine Frau Thekla übernahm die „Maison Moderne“zusammen mit ihrem Neffen Fred Brahms, seiner Frau Irène Sommer und ihrem Sohn Pierre. Im Jahr 1963 feierte das Geschäft sein 50-jähriges Bestehen. Das alte Gebäude, erbaut 1913 von dem Architekte­n Georges Traus, wurde durch den Erwerb des benachbart­en Heintz-Hauses vergrößert. Ein neues modernes Gebäude wurde von dem Architekte­n René Schmit gebaut. Thekla Cohen starb im Alter von fast 90 Jahren am 6. Mai 19767.

ANLux Justizmini­sterium, Fremdenpol­izei, J-108-0073780 Cohen Louis/Ludwig (18.04.1881), Ermann Thekla.

Wikipedia, Kaufhaus Wronker, aufgerufen am 22. August 2022.

AVL, Volkszählu­ng Lu34.1.1_70(1).

ANLux MJNATUR-0015, Cohen Louis Jonas und seine Frau Thekla.

Siehe Anzeige erschienen am Vortag der Geschäftse­röffnung im „Luxemburge­r Wort“vom 14. April 1913 S.6.

50 Jahre „Maison Moderne“, Tageblatt, 29. März 1963, S. 5, daraus geht hervor, dass Anna Malané 1963 ihre 50 Jahre Zugehörigk­eit zum Geschäft feierte.

Die Angaben zur Familie Cohen-Ermann stammen aus der Korrespond­enz, die dem Autor von Pierre Brahms (19342019), dem Sohn von Fred und Irène Brahms-Sommer, anvertraut wurde.

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Foto: Privat Louis Cohen, seine Ehefrau Thekla Ermann (l.), Neffe Pierre Brahms (M.), das Paar Marx (r.) in São Paolo im Jahr 1942.

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