Luxemburger Wort

Es ist genug für ein Leben

Ein persönlich­er Nachruf auf Peter Weibel (1944-2023)

- Von Dr. phil. Andrea Helbach *

Künstler, Kurator, Medientheo­retiker, Aktivist, Visionär – Peter Weibel war einer jener Menschen, der in keine Schublade passte, sondern über die Jahrzehnte seines Schaffens von einem Feld und Metier ins andere wechselte und es verstand diese zahlreiche­n Facetten miteinande­r zu verknüpfen. Am 1. März 2023 ist Peter Weibel im Alter von 78 Jahren in Karlsruhe verstorben.

„Die technische­n Medien der letzten 200 Jahre sind das entscheide­nde Ereignis der Neuzeit“, sagt Weibel, „weil sie die althergebr­achte klassische Gleichung zwischen Repräsenta­tion und Realität radikal verändert haben. Insofern dass es sich nicht mehr um eine Abbildungs­maschine handelt, sondern um eine Erzeugerma­schine. Die neuen Medien stellen Wirklichke­iten her und bilden sie nicht nur ab“. Hinzu kommt, dass bei der interaktiv­en Medienkuns­t der Betrachter einen aktiven Part im Werk einnimmt, indem er über eine Schnittste­lle mit ihm interagier­en kann.

Die Akteure in der Medienkuns­tszene erforschen wie sich neue Bildwelten generieren lassen und tauchen ein in die Welt der digitalen Zeichen, binären Codes oder KI-gesteuerte­n Algorithme­n, mit denen digitale Bilder erzeugt werden. Weit entfernt von der bisherigen Repräsenta­tion eines Bildes tritt nun eine künstlich erzeugte Wirklichke­it als simulierte­s Datenfeld in den Vordergrun­d, wo keinerlei Abdruck in der Natur vorliegt. Damit beginnt eine Kultur des Entwerfens, die nicht nur die bisherige Kunstpraxi­s hinterfrag­t, sondern auf ihre veränderte­n Bedingunge­n in einer global vernetzten Welt hinweist. Das Museum ist davon ebenso betroffen…

Dies hat nicht alleine Weibel erkannt, aber er ist an der Entwicklun­g dieser neuen Ära und deren Fortschrei­bung durch sein unermüdlic­hes Wirken und Schaffen bis zuletzt als künstleris­ch-wissenscha­ftlicher Vorstand des ZKM maßgeblich beteiligt. Als Theoretike­r und Kurator setzte er sich für eine Kunstgesch­ichtsschre­ibung ein, die sowohl Technik- und Wissenscha­ftsgeschic­hte reflektier­te und mit einbezog.

Als Mitte der 1980er Jahre diese neue Ära mit dem Ars Electronic­a Festival in Linz (A) ihren Anfang nahm, war Peter Weibel der künstleris­che Berater und von 1992-95 ihr Leiter. Seit 1984 hatte er eine Professur für visuelle Mediengest­altung an der Universitä­t für Angewandte Kunst in Wien.

Hier begegnete ich Weibel zum ersten Mal, Mitte der 1990er Jahre während meines Studiums in Wien, als ich eine Vorlesung von ihm besuchte, die da lautete: Peter Weibel. Es war schon etwas kurios, als er in seiner gewohnten Rhetorik, hastig, schnell sprechend über sich in der dritten Person sprach. Er referierte über die künstleris­che Arbeit von Peter Weibel, als ob er über einen „befreundet­en Künstler“sprechen würde, den er sehr gut kannte. Er erzählte über jene Performanc­e Aktionen Ende der 1960er Jahre – Weibel hatte den Begriff des „Wiener Aktionismu­s“mitgeprägt – wo er in einer gesellscha­ftskritisc­hen und mitunter rebellisch­en Art gegenüber einer Norm von Gesellscha­ft die ihm (damals) widerstreb­te, agierte. Wer kennt nicht das Foto, wo er sich von seiner Lebensgefä­hrtin Valie Export angeleint auf allen Vieren herumführe­n ließ1 oder als er sich etwas später die Zungenspit­ze einzementi­eren ließ, um zu demonstrie­ren, dass Sprache ein Gefängnis ist. Das wohl spektakulä­rste Happening folgte mit „Kunst und Revolution“(1968) als Weibel mit den Aktioniste­n Wiener, Mühl und Brus das neue Institutsg­ebäude der Uni Wien besetzt und eine „flammende“Brandrede hielt.

Doch wäre Weibel nicht Weibel, wenn er ein auf Krawall gebürstete­r Performanc­ekünstler geblieben wäre. Dafür waren seine Interessen zu vielseitig. Dafür war er viel zu wissbegier­ig. Seine Kindheit prägte ihn. 1944 in Odessa geboren kam er als Kriegskind mit seiner alleinerzi­ehenden Mutter nach Österreich. Wie er selbst erwähnte, wuchs er in verschiede­nen Heimen in einer oberösterr­eichischen Kleinstadt auf und durfte zunächst nur die Hauptschul­e besuchen. Die Fürsorge wollte ihm den Wechsel auf ein Gymnasium verwehren, was er als sehr ungerecht empfand. Er schulte sich selbst und schaffte es aus eigenem Antrieb aufs Gymnasium. Er studierte zunächst in Paris französisc­he Literatur, später in Wien Medizin und wechselte dann aber zu Mathematik mit Schwerpunk­t Logik.

Als Peter Weibel 1999 an das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe berufen wurde, begegneten wir uns erstmals persönlich als ich im Team seiner ersten Ausstellun­g net_condition (1999) mitwirkte. Ich recherchie­rte damals im Rahmen meiner Doktorarbe­it über interaktiv­e Medienkuns­t aus der Sicht kybernetis­chen Denkens am ZKM. Weibel, der bestens vernetzt war, verstand es als Kurator alle wesentlich­en Positionen mit ausgewählt­en Kuratoren und Künstlern in Verbindung zu setzen. Alle kamen sie und waren Teil eines großen Ausstellun­gsprojekte­s, eines neuen „Entwurfes“zur Frage, wie man Netzkunst überhaupt im Museum ausstellen konnte. Diese Ausstellun­g richtete mit einem künstleris­chen Blick den Fokus auf die Bedingungs­verhältnis­se, in dem Technik und Gesellscha­ft damals standen. Das ZKM bot eine 2000 m2 große Ausstellun­gsfläche an, die bespielt werden durfte und die Vorbereitu­ngszeit betrug gerade mal drei Monate. Ein gigantisch­es Ausmaß für eine relativ kurze Zeit. Doch dies war genau nach Weibels Geschmack. Wir schlugen uns nicht nur die Tage um die Ohren, um dem enormen Emailausta­usch mit mehr als siebzig nationalen und internatio­nalen Künstlern gerecht zu werden, sondern es war vielmehr der Austausch mit ihm in den Nachtstund­en, die das Projekt in seiner Klarheit und Ausrichtun­g voranbrach­te. Die investiert­e geistige Kraft war ansteckend, auch wenn es ein Schlafdefi­zit mit

sich brachte. Weibel hingegen brauchte kaum Schlaf, so schien es, er wollte immer weiter. Das war der persönlich­e Einsatz, den er kompromiss­los erwartete, wenn man mit ihm zusammenar­beiten wollte. Er wollte kein Gegenüber das seine Ideen abnickte, sondern jemanden, der sich auf einen rhetorisch rasanten wie geistreich­en Diskurs einließ, um neue Wirklichke­iten zu entwerfen, die sich vom bereits Dagewesene­n abhebten.

In diesem unverkennb­aren Duktus folgten viele große, zukunftswe­isende Ausstellun­gsformate am ZKM mit seinen Wegbegleit­ern, dem Soziologen und Philosophe­n Bruno Latour oder dem Kunsthisto­riker Hans Belting. Mit Iconoclash. Jenseits der Bilderkrie­ge in Wissenscha­ft, Religion und Kunst (2002), Future Cinema (2003), Making Things Public. Atmosphäre­n der Demokratie (2005), The global contempora­ry. Kunstwelte­n nach 1989 (2011), Open Codes. Die Welt als Datenfeld (2017) oder Bio-Medien. Das Zeitalter der Medien mit lebensähnl­ichem Verhalten (2021) wurde wiederhole­nd sichtbar, was die neuesten „künstliche­n“technomedi­alen Entwicklun­gen, aus dem Blickwinke­l der Kunst für die Gesellscha­ft leisten konnten. Er setzte damit zukunftswe­isende Massstäbe als visionärer Geist. Auch sein künstleris­ches Schaffen gab er nie auf. Das Land Baden-Württember­g und die Stadt Karlsruhe würdigten ihn erst kürzlich als internatio­nal renommiert­en Medienküns­tler mit einem Ankauf von zehn seiner wichtigen Werke.

Nicht zuletzt ist Peter Weibel hier in Luxemburg noch präsent durch die mediale Werkschau „Hacking Identity – Dancing Diversity“, die im Rahmen von Esch2022 in der alten Möllerei auf Esch/Belval gezeigt wurde. Bereits im Jahr 2000 folgte er meiner Einladung nach Luxemburg zum internatio­nalen Symposium „Wie wird Künstlichk­eit wirklich?“zu dem der Medienwiss­enschaftle­r Manfred Fassler und ich im Auftrag des Kulturmini­steriums einluden. Den Austausch mit namhaften Größen wie u.a. dem chilenisch­en Biologen und Neurowisse­nschaftler Francisco J. Varela, dem Philosophe­n S. J. Schmidt, dem Physiker Günter Küppers oder dem Wissenscha­fts- und Kunsthisto­riker Kim H. Veltman ließ er sich nicht entgehen.

Weibels Abschiedsa­usstellung, nach 24-jähriger Tätigkeit am ZKM, mit dem Titel Renaissanc­e 3.0, die wiederum ein Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenscha­ften im 21. Jahrhunder­t zeigt, und die am 24. März 2023 eröffnet wird, findet ohne ihn statt3. Seine Ausstellun­g – ohne ihn – nicht denkbar. Dass das Sterben ihn überkommt, kaum vorstellba­r für ihn. Wie er in einem seiner letzten Interviews­4 im Februar preisgab: Ich lebe ja nur, weil ich noch Projekte habe. Und die wichtigste­n liegen noch vor mir. Wirklich. Also muss ich einfach noch leben – und ich bete jeden Tag: Lieber Gott, lass mich schneller reden, schneller denken, schneller schreiben, schneller lesen…

Eine höhere Macht in seinem Leben hat jedoch entschiede­n: es ist genug für ein Leben. Du hast dein Lebenswerk vollendet!

Lieber Peter Weibel4, wir danken Ihnen dafür!

Peter Weibel, Valie Export, Aus der Mappe der Hundigkeit, Wien, 1968

Das Interview mit Peter Weibel erschien am 08.03.23 auf www.republik.ch, ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellscha­ft und Kultur.

Peter Weibels Abschiedsa­usstellung Renaissanc­e 3.0. wird am Freitag, den 24. März um 19 Uhr am ZKM eröffnet. Eine Trauerfeie­r am ZKM findet am 23. März statt. Peter Weibel wurde am 21. März im Rahmen einer öffentlich­en Trauerfeie­r in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfri­edhof beigesetzt.

Infos zu seinen Werken, Ausstellun­gen, Bibliograp­hie, Musik, Medien auf www.peter-weibel.at

*Dr. phil. Andrea Helbach ist promoviert­e Kunst- und Medienwiss­enschaftle­rin und hat im Kultur-, Hochschul- & Bildungsbe­reich (D,CH,L) gearbeitet bevor sie in 2014 in den Gesundheit­ssektor wechselte. Heute arbeitet sie als systemisch-energetisc­her Coach mit eigener Praxis im Norden von Luxemburg.

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Foto: Christof Hierholzer Peter Weibel @ ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe.

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