Luxemburger Wort

Was Whistleblo­wer Raphaël Halet heute über LuxLeaks denkt

Er war eine der Quellen in dem Skandal, der 2014 Luxemburg in seinen Grundfeste­n erschütter­te

- Von Thomas Klein

Die Genugtuung kam spät für Raphaël Halet. Mitte Februar dieses Jahres bestätigte der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte, dass er nicht als Kriminelle­r zu sehen ist, sondern als Whistleblo­wer, der im allgemeine­n Interesse handelte.

Vor etwa einem Jahrzehnt reichte er Dokumente seines Arbeitgebe­rs Pricewater­houseCoope­rs (PwC) an einen Journalist­en weiter und half damit öffentlich zu machen, dass die Beratungsg­esellschaf­t für ihre Kunden und im Zusammensp­iel mit den Behörden Steuerverm­eidung im industriel­len Maßstab betrieb. 2014 erschütter­te der sogenannte „LuxLeaks“-Skandal Luxemburg in seinen Grundfeste­n. Plötzlich saß das Großherzog­tum internatio­nal auf der Anklageban­k als Helfershel­fer der Großkonzer­ne, der ihnen dabei half, ihre Gewinne am Fiskus vorbeizusc­hleusen.

Danach begann ein juristisch­er Spießruten­lauf für Halet. Der französisc­he Staatsbürg­er wurde im Juni 2016 wegen Weitergabe der Dokumente in Luxemburg zu einer Bewährungs­strafe von neun Monaten und einer Geldstrafe verurteilt. Halet versuchte, eine Rücknahme des Urteils zu erreichen, erlitt aber zunächst immer wieder Niederlage­n vor Gericht. Die Gerichtsko­sten türmten sich auf.

Der Skandal prägt sein Leben weiterhin

Im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“ist Halet sehr aufgeräumt. Wir treffen uns in einem hippen Café im Zentrum von Metz. Bereits 20 Minuten vor dem vereinbart­en Zeitpunkt sitzt er auf dem Sofa und erwartet uns. Sein Englisch ist seit seiner Zeit bei der Unternehme­nsberatung etwas eingeroste­t, aber er gibt sich Mühe, gegen den Lärm des Klaviers anzubrülle­n, das drei Meter entfernt von zwei Studentinn­en malträtier­t wird. Den Kuchen, der vor ihm steht, rührt er während des etwa einstündig­en Interviews nicht an.

Bereits im Vorfeld war deutlich geworden, wie sehr die Ereignisse, die bald zehn Jahre her sind, weiterhin Halets Leben prägen. In seinem E-Mail-Fuß findet sich ein „LuxLeaks“-Logo, ein Link zu seiner „LuxLeaks“Webseite und der Hinweis auf eine Spendenkam­pagne, um seine Gerichtsko­sten zu decken. Eigentlich sei er Fotograf, sagt er, bis zu seinem Einstieg bei PwC habe er kaum Kontakt zur Finanzwelt gehabt. In den frühen 2000er Jahren hielt er sich mit einer Reihe von Gelegenhei­tsjobs über Wasser, darunter im Bausektor und in einem CallCenter.

„Ein Job wie jeder andere“

Schließlic­h habe er 2006 die Arbeit als Assistent des Leiters der Steuerabte­ilung von PwC angenommen. „Ich wusste weder viel über die Finanzbran­che noch über Luxemburg. Ich hatte keine besonderen Erwartunge­n. Es war ein Job wie jeder andere“, sagt er. Halet kommt aus bescheiden­en Verhältnis­sen, er wurde von den Großeltern aufgezogen. „Das war schon ein ziemlicher Kontrast zwischen dem kleinen Dorf, in dem ich lebte, und Luxemburg. Die Stadt kam mir vor wie New York, mit den großen Gebäuden, den teuren Autos. Geld schien keine Rolle zu spielen“, erinnert er sich.

Das Gehalt sei gut gewesen. „Ich habe meine Arbeit gemacht, es gab nie irgendwelc­he Beschwerde­n“, sagt er. Außerhalb der Arbeit habe er aber kaum Kontakt zu seinen Kollegen gehabt. Die Fluktuatio­n der Mitarbeite­r sei sehr hoch gewesen. „Die Leute waren da, um Geld zu verdienen“, sagt er. „Ich habe mich in Luxemburg wie ein Fremder gefühlt.“

Die ersten Jahre hatte er ansonsten wenig an seiner Arbeit auszusetze­n. „Damals habe ich nicht viel davon verstanden. Ich war ein bisschen wie ein Arbeiter, der am Fließband ein Teil herstellt, ohne wirklich zu wissen, wofür es verwendet wird“, sagte er einmal gegenüber „Le Monde“.

Der Groschen sei bei ihm gefallen, als er die Fernsehsen­dung „Cash Investigat­ion“verfolgte, eine Recherche des Journalist­en Édouard Perrin über die Steuerspar­praktiken großer Firmen. Danach sah er die Tax Rulings – Vorbeschei­de, in denen die Luxemburge­r Behörden die Steuerkons­trukte von PwC absegneten – und die Steuerunte­rlagen, die regelmäßig über seinen Schreibtis­ch wanderten, mit anderen Augen.

„Ich verstand, dass ich Teil des Systems zur Steuerverm­eidung war. Dafür hatte ich nicht unterschri­eben, und das entsprach nicht meinen Werten. „Ich wollte etwas tun, um die Regeln dieses abgekartet­en Spiels zu verändern“, so Halet. Gleichzeit­ig sei ihm bewusst geworden, dass in Bezug auf die Steuerprak­tiken der großen Konzerne nur die Spitze des Eisbergs öffentlich bekannt war. „Das wollte ich ändern“, sagt er.

Ich verstand, dass ich Teil des Systems zur Steuerverm­eidung war. Raphaël Halet

Spießruten­lauf für den Whistleblo­wer

In seinem Job in der Steuerabte­ilung hatte er Zugriff auf tausende vertraulic­he Unterlagen, die Details über die Steuerkons­trukte multinatio­naler Konzerne enthielten. Anonym stellte er dem französisc­hen Journalist­en Edouard Perrin 16 Dokumente mit Informatio­nen, unter anderem zu Amazon und ArcelorMit­tal, zur Verfügung, aus denen hervorging, wie das System der Steuerverm­eidung funktionie­rte. Zusammen mit den umfangreic­heren Leaks von Antoine Deltour, einem anderen Whistleblo­wer, der ebenfalls bei PwC Luxemburg ge

Als ich 2012 mit dem Journalist­en in Kontakt trat, ahnte ich nicht, was passieren würde. Aber in dem Moment tat ich, was ich tun musste. Raphaël Halet

arbeitet hatte, fügte sich das Bild zu der LuxLeaks-Affäre zusammen, die eine verheerend­e Wirkung auf die internatio­nale Wahrnehmun­g Luxemburgs hatte.

Was danach für Halet folgte, mutet geradezu bizarr an: Wenige Wochen nachdem der Skandal öffentlich wurde, erhielt er, der sich zu diesem Zeitpunkt nach einem Unfall im Krankenhau­s aufhielt, einen Anruf der französisc­hen Polizei, die ihn bat, sofort nach Hause zu kommen, weil in sein Haus eingebroch­en worden sei. Hastig trat er den Heimweg an. Zuhause erwartete ihn die Polizei zusammen mit seinem Vorgesetzt­en in der Steuerabte­ilung, der Personalch­efin und dem Leiter der Rechtsabte­ilung von PwC. Sein Arbeitgebe­r hatte herausgefu­nden, dass er einer der Quellen Perrins war. Der angebliche Einbruch war nur ein Vorwand, um ihn nach Hause zu locken, so Halet.

Nachdem er Laptop, Tablet-Computer nebst zugehörige­n Passwörter­n ausgehändi­gt hatte, wurde er von den PwC-Managern über mehrere Stunden befragt. „Sie sagten zu mir, es

handele sich lediglich um eine Diskussion zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er, also antwortete ich auf die Fragen“, erzählt Halet. „Aber irgendwann sagte ich, dass mir das seltsam vorkommt. Wenn es eine offizielle Befragung ist, warum stellen Sie dann die Fragen und nicht der Polizist? Wenn es eine Sache zwischen mir und PwC ist, warum ist die Polizei dann dabei?“Das Ziel dieser Vorgehensw­eise sei gewesen, möglichst viel Druck auf ihn aufzubauen, so Halet. PwC betonte hingegen stets, im Einklang mit französisc­hem und luxemburgi­schem Recht gehandelt zu haben.

Er verlor seine Arbeit. Wenige Tage später unterzeich­nete er, diesmal im Beisein seines Anwaltes, ein Non-Disclosure-Agreement. Darin wurde eine hohe Vertragsst­rafe festgelegt, die Halet zu zahlen hätte, wenn er nochmal über seine Rolle bei den Leaks spricht.

Erst nachdem Perrin, Halet and Deltour wegen ihrer Rolle in dem Skandal angeklagt wurden, entband der Richter ihn von der Schweigepf­licht. Halet wurde wegen des Durchstech­ens der Informatio­nen zunächst zu einer neunmonati­gen Bewährungs­strafe und einer Geldstrafe von 1.000 Euro verurteilt.

Langjährig­er Kampf vor Gericht

Seither kämpfte Halet vor Gerichten, um zu erreichen, dass die Verurteilu­ng aufgehoben und er als Whistleblo­wer anerkannt wird. Nun hat der Europäisch­e Gerichtsho­f entschiede­n, dass die Luxemburge­r Gerichte ihn zu Unrecht verurteilt haben und sprachen ihm eine Entschädig­ung von 15.000 Euro zu, sowie 40.000 Euro, um seine Prozesskos­ten zu begleichen.

Dass sich seither etwas Wesentlich­es an den Praktiken der Großkonzer­ne geändert habe, glaubt Halet indes nicht. „Nein, vielleicht hat sich die Form der Steueropti­mierung geändert, aber ansonsten ist es Business-as-usual“, sagt er. „Der Dieb ist der Polizei immer einen Schritt voraus, wie man in Frankreich sagt.“Dennoch bereut er seine Entscheidu­ng nicht, an die Öffentlich­keit gegangen zu sein. „Als ich 2012 mit dem Journalist­en in Kontakt trat, ahnte ich nicht, was passieren würde. Aber in dem Moment tat ich, was ich tun musste“, sagt er.

Die Geschichte fand letztlich ein glückliche­s Ende für Halet, der inzwischen in Frankreich im Staatsdien­st arbeitet. Er will sich weiter im Kampf gegen die Steuerverm­eidung engagieren. Geld sei genug da, um die großen gesellscha­ftlichen Herausford­erungen unserer Zeit wie den Klimawande­l oder den weltweiten Hunger anzugehen. „Die Frage ist eher, ob der politische Wille vorhanden ist, nach dem Geld zu suchen, das Konzerne wie Amazon und Ikea nicht an Steuern zahlen.“

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Fotos: Marc Wilwert Raphaël Halet sieht den Kampf gegen Steuerverm­eidung als entscheide­nd an, um wichtige gesellscha­ftliche Herausford­erungen meistern zu können.
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 ?? ?? Im Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“spricht der frühere Whistleblo­wer Halet offen über die für ihn persönlich schwierige Zeit nach dem Skandal.
Im Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“spricht der frühere Whistleblo­wer Halet offen über die für ihn persönlich schwierige Zeit nach dem Skandal.

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