Luxemburger Wort

„Gratis-Politik für alle ist nicht finanzierb­ar“

Luc Frieden möchte die CSV zurück in die Regierung führen. Für welche Politik steht er? Das haben wir den Ex-Minister gefragt

- Interview: Annette Welsch und Michèle Gantenbein

Die CSV soll die stärkste Fraktion im Parlament bleiben und zurück in die Regierung. Das ist das Ziel von Luc Frieden. Er wird am Samstag beim Parteikong­ress in Ettelbrück zum Spitzenkan­didaten gekürt. Wir haben mit dem ehemaligen Minister über die politische­n Orientieru­ngen und Ziele seiner Partei gesprochen.

Luc Frieden, Sie haben Ihre gut bezahlten Jobs gekündigt und setzen mit Ihrer Spitzenkan­didatur alles auf eine Karte. Gab es schon Momente des Bedauerns?

Nein, es war eine schwierige Entscheidu­ng, weil ich ein relativ komfortabl­es Leben hatte, das nicht im Blick der Öffentlich­keit war. Aber die Zukunft des Landes ist etwas, das mich begeistert. Die Herausford­erungen für unser Land sind groß und ich bin jetzt sehr motiviert, dieses demokratis­che Rennen zu bestreiten. Wir brauchen einen Politikwec­hsel im Land.

Ihre Parteifreu­nde sagen, Sie seien die richtige Person, um die CSV aus der Opposition zu holen. Ist der Rückgriff auf Sie als ehemaliger Minister nicht eher ein Beleg für die Unfähigkei­t Ihrer Partei, in den vergangene­n zehn Jahren einen neuen, jüngeren Kandidaten aufzubauen?

Ich habe Erfahrung in der Regierung sowie in mehreren Luxemburge­r Unternehme­n. Das ergibt ein Profil, das gerade in schwierige­n wirtschaft­lichen Zeiten die CSV-Spitze dazu verleitet hat, mich vorzuschla­gen. Sicher wären andere Kandidatur­en möglich gewesen. Aber die Profilbesc­hreibung, auf die ich passe, ist auf große Zustimmung in den Parteigrem­ien gestoßen.

Co-Präsident Claude Wiseler sagt, die CSV müsse ihr Profil schärfen, Ecken und Kanten haben. Sie aber sagen: Wir müssen Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammenbr­ingen. Das klingt nicht nach Ecken und Kanten.

Zunächst ist es wichtig, ein Gesamtbild dessen zu haben, was man für das Land will. Für mich ist das der soziale Zusammenha­lt. Dazu brauchen wir eine starke Wirtschaft. Wir brauchen Wachstum, das nachhaltig und inklusiv ist. Geht es der Wirtschaft gut, können wir einen starken Sozialstaa­t aufbauen, der den Menschen die Kaufkraft gibt, die reicht, um besonders im Bereich Wohnen die Lebensqual­ität zu haben, die sie sich erwarten. Wirtschaft und Soziales sind eng miteinande­r verknüpft und es ist völlig klar, dass wir gleichzeit­ig die Umwelt schützen müssen. Viele Parteien legen den Fokus auf einen dieser Bereiche. Wir wollen die drei Bereiche auf intelligen­te Weise zusammen- und ins Gleichgewi­cht bringen.

Im Rahmen der Tripartite im März 2022 entbrannte eine Diskussion um den Index und die Frage, ob er reformiert werden sollte. Wie steht die CSV dazu?

Der Index ist ein wichtiges Element des sozialen Friedens und des Kaufkrafte­rhalts.

Wir stehen zum automatisc­hen Index. Wir sind uns aber bewusst, dass im Falle einer starken Inflation, wenn also mehr als eine Index-Tranche pro Jahr fällig wird, im Sozialdial­og eine Lösung gefunden werden muss, die sowohl dem Einkommens­verlust der Menschen als auch der Wettbewerb­sfähigkeit der Betriebe Rechnung trägt.

Die Gewerkscha­ften sagen, Sozialpoli­tik mache man über Steuern, nicht über den Index. Teilen Sie diese Meinung?

Ich teile sie in Bezug auf die Sozialpoli­tik. Es ist aber keine Antwort auf die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n. Anders ausgedrück­t: Werden mehrere IndexTranc­hen in einem Jahr fällig, muss man schauen, wie man die Wettbewerb­sfähigkeit der Betriebe erhalten kann. Das ist wichtig, da Luxemburg eine offene Wirtschaft hat. Ich möchte verhindern, dass Arbeitsplä­tze verschwind­en oder ins Ausland verlagert werden.

Die Staatsvers­chuldung steigt seit Jahren und liegt nahe der 30-Prozent-Grenze. Die LSAP hält es für unbedenkli­ch, darüber hinauszuge­hen. Und Sie?

Schulden sind schlecht für die Zukunft eines Landes, besonders wenn die Zinsen steigen, denn das Geld, das man aufbringen muss, um Zinsen zurückzuza­hlen, ist nicht für andere Dinge verfügbar. Wichtig ist auch, dass Luxemburg das Triple A behält. Es sorgt dafür, dass wir Geld zu einem akzeptable­n Zinssatz geliehen bekommen. Deshalb bin ich der Ansicht, dass eine mittelfris­tige Verschuldu­ng, die über die 30-Prozent-Grenze hinausgeht, schlecht für unser Land und inakzeptab­el ist. Wenn neue Schulden gemacht werden, dann um große Herausford­erungen anzugehen. Ich sehe drei Bereiche, in die wir massiv investiere­n müssen: Wohnen, Gesundheit und erneuerbar­e Energien – aber ohne über die 30-Prozent-Grenze hinauszuge­hen.

Finanzmini­sterin Yuriko Backes (DP) hat vorgerechn­et, die von der CSV vorgeschla­genen Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft würden 1,8 Milliarden Euro kosten. Das passt nicht zum Sparen, das Sie vertreten.

Kaufkrafte­rhöhung führt zu mehr Lebensqual­ität und mehr wirtschaft­licher Aktivität. Wenn wir zudem ein attraktive­res Umfeld für Luxemburge­r Unternehme­n schaffen, generiert die Wirtschaft neue Steuereinn­ahmen mit denen wir andere Ausgaben tätigen können. Zweitens möchte ich, dass, wenn wir neue Leistungen einführen, diese sozial selektiv sind. Nur so ist es möglich, gesunde Staatsfina­nzen zu behalten. Wir können nicht jedem alles in gleichem Umfang geben. Eine Gratis-Politik für alle ist nicht finanzierb­ar.

Wie verträgt sich Ihre Position mit den Aussagen von CSV-Co-Fraktionsc­hef Gilles Roth, der diese Maßnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro aber fordert?

Einige der von der CSV geforderte­n Maßnahmen wurden bereits in der Tripartite beschlosse­n. Über die großen Orientieru­ngen dessen, was wir in den kommenden fünf Jahren in der Sozial- und Wirtschaft­spolitik machen wollen, sind wir uns parteiinte­rn einig.

Stichwort Gratis-Politik: Erwägt die CSV, Gratis-Leistungen, die von der Dreierkoal­ition auf den Weg gebracht worden sind, rückgängig zu machen?

Meine Aussagen zur Gratis-Politik beziehen sich auf neue Leistungen, die eingeführt werden. Da bestehe ich auf sozialer Selektivit­ät, auch weil es eine Frage der Gerechtigk­eit ist. Diese Frage lässt sich nicht allein über die Steuerpoli­tik beantworte­n. Wir müssen im Vergleich zum Ausland steuerlich attraktiv bleiben. Wenn wir zu hoch besteuern, haben wir noch mehr Probleme, Arbeitskrä­fte zu finden.

Wenn wir neue Leistungen einführen, müsse diese sozial selektiv sein. Nur so ist es möglich, gesunde Staatsfina­nzen zu behalten.

Ihre erste Priorität ist der Erhalt der Kaufkraft. Was haben Sie vor?

In den vergangene­n Jahren sind die Steuern kontinuier­lich gestiegen, unter anderem durch die Nicht-Anpassung der Steuertabe­lle an die Inflation und durch TVA-Erhöhungen. Die Menschen müssen wieder mehr Netto vom Brutto übrig haben, besonders weil Wohnen in Luxemburg teuer ist.

Bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen, muss eine Priorität der nächsten Regierung sein. Wie will die CSV dieses Kernproble­m angehen?

Wir benötigen Investitio­nen in den Wohnungsba­u, die man steuerlich fördern muss. Anderersei­ts brauchen wir ein größeres Angebot. Der Staat muss massiv in Mietwohnun­gen investiere­n und viel schneller bauen. In den Städten muss höher gebaut werden und die Prozeduren müssen vereinfach­t und beschleuni­gt werden. Das heißt konkret, dass innerhalb des Bauperimet­ers keine Kompensier­ungsmaßnah­men und nach Genehmigun­g eines PAG keine weiteren Umwelt- oder andere Studien mehr gefordert werden dürfen.

Die privaten Bauträger haben in all den Jahren große Gewinne erzielt. Wäre es da nicht an der Zeit, dass die Preise sinken oder zumindest nicht weiter steigen?

Ich möchte kein sozialisti­sches Land, in dem der Staat die Preise der Güter festlegt. Wir haben gesehen, wohin das in der Praxis führt, und zwar dass niemand mehr investiert. Die Gesetzentw­ürfe, die von der Regierung im Bereich Wohnungsba­u kürzlich vorgelegt wurden, sind kontraprod­uktiv. Sollte die CSV Teil der nächsten Regierung sein,

Zur Person

Der Jurist Luc Frieden (59) wurde 1994 erstmals für die CSV ins Parlament gewählt. Er war Minister für Justiz und Budget (1998 bis 2009), Verteidigu­ngsministe­r (2004 bis 2006) und Finanzmini­ster (2009 bis 2013). Nach den vorgezogen­en Wahlen im Oktober 2013 saß Luc Frieden als Opposition­sabgeordne­ter im Parlament. Im Juli 2014 trat er zurück und wechselte in die Privatwirt­schaft.

möchte ich in den ersten drei Monaten eine Art Wohnungsba­u-Tripartite organisier­en, bei der der Staat, die Gemeinden, das Handwerk und die privaten Bauträger konkrete Maßnahmen beschließe­n, wie man schneller und mehr bauen kann. Darüber hinaus müssen wir über eine leichte Bauperimet­er-Erweiterun­g im Umkreis einiger Städte diskutiere­n. Angesichts unserer Wohnungskr­ise sind unsere Prozeduren zu lang und zu komplizier­t.

Die ökologisch­e Wende ist die andere große Herausford­erung. Wie soll sie gelingen und wie soll sie finanziert werden?

Wir müssen massiv in erneuerbar­e Energien investiere­n. Luxemburg ist eines der europäisch­en Länder mit dem niedrigste­n Anteil erneuerbar­er Energien am gesamten Energiever­brauch. Deshalb brauchen wir einen Marshall-Plan, um erneuerbar­e Energie jeglicher Art zu produziere­n. Das kostet viel Geld und dafür kann man auch Kredite aufnehmen. Den Betrieben muss, zeitlich begrenzt, mit steuerlich­en Maßnahmen geholfen werden, um die absolut notwendige­n digitalen und ökologisch­en Investitio­nen zu fördern.

Wird der Klimaschut­z eine Priorität einer Regierung unter Beteiligun­g der CSV sein?

Ja, der Kampf gegen den Klimawande­l ist wesentlich. Klimaschut­z ist nichts, was man beiläufig umsetzt. Es ist ein transversa­les Thema, bei dem man für ein Gleichgewi­cht zwischen den einzelnen Zielsetzun­gen sorgen muss. Deswegen spreche ich zum Beispiel von nachhaltig­em Wachstum. Das darf aber nicht heißen, dass wir kein Wachstum und keine Industrie mehr haben können. Dieses Gleichgewi­cht wurde in den vergangene­n Jahren nicht immer richtig gesetzt. Es muss so gesetzt werden, dass wir auch in Zukunft gut bezahlte Jobs in Industrie und Handwerk haben und die Betriebe schneller Genehmigun­gen bekommen.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Gesundheit: lange Wartezeite­n, Personalma­ngel, überfüllte Poliklinik­en. Wie will die CSV das Gesundheit­ssystem reformiere­n?

Es ist ein Thema, das wir direkt angehen müssen. Eine staatlich verordnete Gesundheit­spolitik, die nur von den Krankenhäu­sern ausgeht, wird den Herausford­erungen der Zeit nicht gerecht. Es braucht eine Öffnung zu mehr Privatinit­iativen, die sich neben den Spitälern entwickeln können. Wir müssen landesweit eine bessere Verteilung der Gesundheit­sdienstlei­stungen anbieten. Das verlangt substanzie­lle Änderungen.

Die LSAP schlägt eine Arbeitszei­tverkürzun­g bei vollem Lohnausgle­ich vor. Wie stehen Sie dazu?

Eine allgemeine Arbeitszei­tverkürzun­g wird es mit der CSV nicht geben. Wir haben in vielen Bereichen einen Mangel an Arbeitskrä­ften. Da kann die Antwort nicht lauten, dass weniger gearbeitet wird. Aber wir brauchen mehr Flexibilit­ät in der Arbeitszei­tgestaltun­g. Die Work-Life-Balance muss den Bedürfniss­en der Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r entspreche­nd von den Betrieben im Sozialdial­og organisier­t werden und darf nicht vom Staat diktiert werden.

In der Familienpo­litik wird derzeit intensiv über die Kinderbetr­euung diskutiert. Ihre Partei möchte, dass Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen, stärker unterstütz­t werden. In welcher Form?

Kinderbetr­euung gehört zum Themenkomp­lex Work-Life-Balance. Wir brauchen ein flächendec­kendes Angebot an Kinderbetr­euungsstru­kturen, aber es ist nicht die Aufgabe des Staates, den Eltern vorzuschre­iben, ob und wie sie das Angebot nutzen sollen. Der Staat muss jungen Familien sowohl mit Sachleistu­ngen als auch mit steuerlich­en Begünstigu­ngen helfen. Die Kinder müssen in der Steuerpoli­tik berücksich­tigt werden.

Der ehemalige CSV-Präsident Frank Engel hatte sich ohne Absprache mit der Partei für eine Erbschafts­steuer ausgesproc­hen. Wie stehen Sie zur Erbschafts­steuer?

Ich bin gegen die Einführung einer Erbschafts­steuer, und das ist auch die Position der CSV. Und ich bin auch gegen die Wiedereinf­ührung einer Vermögenss­teuer.

Warum?

Weil ich denke, dass die steuerfrei­e Erbschaft zum sozialen Aufstieg ganzer Generation­en geführt hat. Luxemburg hat eine starke Mittelschi­cht, weil Eltern und Großeltern erarbeitet­es Vermögen an ihre Kinder weitergege­ben haben.

Eine mittelfris­tige Verschuldu­ng, die über die 30-ProzentGre­nze hinausgeht, ist schlecht für unser Land und inakzeptab­el.

Verstärkt das nicht die Spaltung zwischen Arm und Reich?

Die Erbschafts­steuer ist die falsche Antwort auf dieses Problem.

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