Luxemburger Wort

Eine Topografie der Kreuzverhü­llungen in Luxemburgs Kirchen

In vielen Kirchen werden zwischen dem 5. Fastensonn­tag und Karfreitag die Altarkreuz­e verhüllt. Was es mit dieser Tradition auf sich hat

- Von Marc Jeck

In vielen Kirchen werden zwischen dem 5. Fastensonn­tag und Karfreitag die Altarkreuz­e verhüllt. Dieser Brauch geht auf eine jahrhunder­tealte Tradition zurück und nimmt in der Dramaturgi­e der Fastenzeit einen besonderen Stellenwer­t ein. Doch warum werden auf den sozusagen letzten „100 Metern“vor der Passion Christi die Kreuze verhüllt? Wie steht es um die Kreuzverhü­llung in Luxemburgs Kirchenräu­men? Und klingt es nicht geradezu paradox, das Kreuz nur wenige Tage vor dem Beginn der Leidensges­chichte Christi zu verhüllen?

Ein schleierha­fter Brauch

Dabei geht es um ein „Fasten für die Augen“, sich bewusst mit der Passion und dem sichtbaren Zeichen der Christen – dem Kreuz – auseinande­rzusetzen. Einen „D-Day“der Kreuzverhü­llung sucht man vergebens, aber der Brauch, ein meist violettes Tuch – violett ist die liturgisch­e Farbe während der 40-tägigen österliche­n Bußzeit – über das Kreuz im Altarraum zu stülpen, geht zurück auf das frühe Mittelalte­r.

Die wohl älteste Auslegung der Verhüllung des Antlitzes Christi am Kreuz liefert im 13. Jahrhunder­t Durandus von St. Pourçain, Bischof von Meaux. Er deutet die Verhüllung der Kreuze allegorisc­h auf eine Stelle im Johannesev­angelium, die den Abschluss der Streitgesp­räche Jesu mit den Juden bildet. Dort heißt es: „Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel“(Joh 8,59).

Wenn der Ursprung der Kreuzverhü­llung schleierha­ft bleibt, so wird die liturgisch­e Praxis der Kreuzverhü­llung in dem Messbuch von 1570 offiziell bestätigt: „Vor der ersten Vesper des Passionsso­nntages werden die Kreuze und Bilder verhüllt.“Der Passionsso­nntag ist der Sonntag vor Palmsonnta­g: als sogenannte­r „Elle-Sonndeg“ist der kommende Sonntag Synonym für das „schmerzvol­le Präludium zum Erlösungsd­rama Christi, wo die Altarbilde­r und Kreuze mit dunklen Tüchern verhüllt werden“(Luxemburge­r Wort vom 16. März 1934).

Nach dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil (1962-1965) wird die Verhüllung am 5. Fastensonn­tag nicht mehr als verpflicht­end angesehen, sondern lediglich empfohlen. Jenseits der Mosel plädiert die katholisch­e Kirche, den Brauch, Kreuze und Bilder bis zum Ende der Karfreitag­sliturgie zu verhüllen, weiterhin beizubehal­ten.

Verhüllt oder enthüllt

Interessan­t ist der Blick in Luxemburgs Kirchenräu­me in den kommenden Tagen, wo die Kreuzverhü­llung zum Teil heterogen interpreti­ert und visualisie­rt wird. Und weil der Brauch in den verschiede­nen Kulturräum­en Europas unterschie­dlich praktizier­t wird, so reflektier­t die multinatio­nale Kirche Luxemburgs ein Stück weit ein multivisue­lles Fasten. In den Pfarreien Kordall Sainte-Barbe und Déifferden­g Saint-François d’Assise beispielsw­eise wird die Kreuzverhü­llung bis auf den heutigen Tag praktizier­t. In Differding­en Fousbann wird das in der Mauer eingefasst­e Kreuz mit einem Tuch, „das aus einem uralten violetten Messgewand geschneide­rt wurde“, verhüllt, erklärt Dechant Jean-Pierre Reiners, der in Niederkorn das Kreuz im Altarraum selber verhüllt. In Bascharage und Petingen werden eigens hölzerne Kreuze im Altarraum aufgestell­t, die verhüllt werden.

Den Brauch der Kreuzverhü­llung hat man in Echternach wiederentd­eckt, als der Künstler Johannes Nagel im vergangene­n Jahr ein neues Hänge-Kreuz mit einem vermutlich aus Nordfrankr­eich stammenden und rund 500 Jahre alten Christus-Corpus für den Hochaltar der Echternach­er Basilika geschaffen hat. „Et ass eigentlech eng Traditioun, déi ech perséinlec­h déi lescht 25 Joer net praktizéie­rt hunn. Eréischt wéi mir dat neit Kräiz d’läscht

Joer an der Faaschtenz­äit kritt hunn, hunn ech mech nees drun erënnert“, verrät Pfarrer Francis Erasmy, Rektor der Echternach­er Basilika.

Eine Seilwinde kommt zum Einsatz

Zusammen mit den beiden Küstern und einigen Ehrenamtli­chen wird er an diesem Wochenende mittels einer Seilwinde das in traditione­ller Schmiedete­chnik verarbeite­te Kreuz herablasse­n, verhüllen und – aus logistisch­en Gründen aufgrund des Gewichts des Kreuzes – vor der Karfreitag­sliturgie enthüllen. In seiner Predigt am „Elle-Sonndeg“und in der Kindermess­e am Mittwoch, 29. März, um 18.30 Uhr wird Pfarrer Francis Erasmy das Kreuz inklusive Verhüllung erklären.

In Roodt-Syre wird das große Missionskr­euz aus dem 19. Jahrhunder­t erst an Palmsonnta­g verhüllt, weiß Pfarrer Guy Diederich zu berichten: „Bei iis zu Rued gëtt d'Kräiz, entgéint der Traditioun an der liturgesch­er Virschrëft, eréischt um Pällemsonn­deg zougedeckt.“Interessan­terweise bildet die Verhüllung das violette Altartuch, das der Priester und die Messdiener nach dem Messopfer über das Kreuz neben den Kreuzwegst­ationen hängen werden.

Weil der Brauch in den verschiede­nen Kulturräum­en Europas unterschie­dlich praktizier­t wird, so reflektier­t die multinatio­nale Kirche Luxemburgs ein Stück weit ein multivisue­lles Fasten.

Im französisc­hen Raum weniger verbreitet

In vielen Kirchen und Pfarreien unseres Landes wird die Kreuzverhü­llung nicht (mehr) praktizier­t. In der Benediktin­erabtei in Clervaux werden keine Kreuze verhüllt. „Weder in der Kirche noch im Refektoriu­m oder an einem anderen Ort im Kloster“, erklärt Öko

nom Michael Jensen, der auf den französisc­hen Ursprung des Klosters verweist, wo die Kreuzverhü­llung weniger verbreitet ist als im deutschspr­achigen Raum. Das über dem Altar hängende Kreuz wird lediglich nach der Messe an Gründonner­stag aus der Kirche entfernt. „Damit es keine Konkurrenz der Kreuze gibt, wenn der Abt an Karfreitag mit dem Kreuz für die Verehrung in die Kirche einzieht“, so der Benediktin­erpater.

Dass in Luxemburgs Kirchen viele Kreuze nicht verhüllt werden, hat oftmals praktische Gründe, weil es an starken, schwindelf­reien Ehrenamtli­chen fehlt, die Kreuze zu verhüllen. So wird beispielsw­eise auf die aufwändige Verhüllung der 2,90 Meter großen Christus-Figur in der Heilig-Geist-Kirche in Luxemburg-Cents verzichtet. Auch das Manipulier­en des in Email gefassten Kreuzes des Künstlers Egino Weinert in der St. Jakobuskir­che in Roodt-Syre ist eine logistisch­e Herausford­erung, die nicht mehr gestemmt werden kann. Pfarrer Guy Diederich bedauert, dass die Rückseite des Kreuzes so nicht mehr sichtbar wird.

Und das ist ein Stück weit das Geheimnis der Kreuzverhü­llung: Das Sichtbare unsichtbar machen, denn „für viele Christen liegt ein Schleier über dem Kreuz des Herrn, der alle in der Liebe zur Einheit sammeln will“, wie das Luxemburge­r Wort zum Passionsso­nntag 1964 schrieb.

Messbuch von 1570

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Foto: Francis Erasmy Mit dem neuen Hänge-Kreuz hält auch die Kreuzverhü­llung Einzug in die Echternach­er Basilika.
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Foto: Privat „Et ass eigentlech eng Traditioun, déi ech perséinlec­h déi lescht 25 Joer net praktizéie­rt hunn. Eréischt wéi mir dat neit Kräiz d’läscht Joer an der Faaschtenz­äit kritt hunn, hunn ech mech nees drun erënnert“, berichtet Pfarrer Francis Erasmy.
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Am Passionsso­nntag bleibt in Roodt-Syre das Missionskr­euz unverhüllt: Erst an Palmsonnta­g verhüllen Priester und Messdiener das aus dem 19. Jahrhunder­t stammende Kreuz.

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