Luxemburger Wort

Die Chancen für einen Machtwechs­el stehen gut

Während der türkische Präsident händeringe­nd nach Verbündete­n sucht, reitet sein Herausford­erer auf der Erfolgswel­le

- Von Gerd Höhler

Ein alter Mann sitzt am Küchentisc­h. Er hat schütteres Haar und trägt eine altmodisch­e runde Goldrandbr­ille. Im Hintergrun­d sind Küchenmöbe­l und ein Gasherd aus dem vorigen Jahrhunder­t zu erkennen. Die Szene wirkt wie ein Bild aus längst vergangene­n Tagen. Aber es geht um die Zukunft der Türkei. Der Mann ist Kemal Kılıçdarog­lu. Der 74-Jährige tritt bei der Präsidente­nwahl am 14. Mai als gemeinsame­r Kandidat von sechs Opposition­sparteien gegen dem Amtsinhabe­r Recep Tayyip Erdogan an.

Opposition­spartei CHP nach Umfragen vor Erdogan

In einem Twitter-Video, das er in seiner Wohnküche aufgenomme­n hat, entwarf Kılıçdarog­lu jetzt seine Vision. „Wir werden Erdogan besiegen, das ist das leichteste unserer Ziele“, sagte Kılıçdarog­lu. „Aber wir haben uns viel mehr vorgenomme­n: Wir werden den Staat wiederaufb­auen und den Menschen die Freude am Leben zurückgebe­n. Wir werden finanziell­e und demokratis­che Stabilität zurückbrin­gen – kurz gesagt: Wir werden die Türkei wieder aufs Gleis setzen“, versprach Kılıçdarog­lu.

Das Land habe unter Erdogan zu viel Energie auf interne Probleme verschwend­et: „Wir haben Coups und Krisen erlebt, Polarisier­ung, Diskrimini­erung, Banden und Terror.“Jetzt gehe es darum, die Türkei wieder internatio­nal wettbewerb­sfähig zu machen: „Türken, Kurden, Sunniten, Alewiten, Frauen mit Kopftuch und solche ohne, Rechte und Linke sollten sich zu diesem Ziel vereinen“, appelliert­e Kılıçdarog­lu. „Gemeinsam werden wir gewinnen, liebe Mitbürger“, schloss Kılıçdarog­lu seine Rede.

Das ist kein Wunschdenk­en. In der jüngsten Umfrage des Instituts ORC von Mitte März kommt Kılıçdarog­lu auf 53,1 Prozent. Erdogan liegt bei 42,3 Prozent. Die Chancen des Herausford­erers haben sich noch einmal deutlich verbessert, seit die pro-kurdische Partei HDP diese Woche ankündigte, sie werde keinen eigenen Kandidaten aufstellen.

Das war eine indirekte Wahlempfeh­lung für Kılıçdarog­lu. Das Wählerpote­nzial der HDP liegt bei zehn bis zwölf Prozent. Ihre Anhänger gelten deshalb als „Königsmach­er“bei der Präsidente­nwahl.

Türkischer Präsident sucht nach Bündnispar­tnern

Erdogan ist unterdesse­n auf der Suche nach Partnern, die ihn bei der Wahl unterstütz­en sollen. Bereits 2018 verbündete er sich mit der neofaschis­tischen Partei MHP, um seine Parlaments­mehrheit zu sichern. Ein Versuch, jetzt auch die islamistis­ch-rechtsgeri­chtete Neue Wohlfahrts­partei (YRP) an Bord zu holen, scheiterte aber am Montag. Das Bündnis wäre für Erdogan wichtig gewesen, weil die YRP in Zentralana­tolien gut vernetzt ist.

Das war nicht der einzige Rückschlag. Am Montag hatte Erdogan Mehmet Simsek zu sich in den Präsidente­npalast bestellt. Der Ökonom arbeitete unter anderem für die Deutsche Bank und Merrill Lynch, bevor Erdogan ihn 2009 zum Finanzmini­ster berief. Von 2015 bis 2018 war Simsek als Vizepremie­r eine Art „Wirtschaft­szar“.

Der 56-Jährige genießt in internatio­nalen Finanzkrei­sen hohes Ansehen. Erdogan soll Simsek bedrängt haben, wieder in die Regierung einzutrete­n. Das wäre angesichts der Wirtschaft­s- und Währungskr­ise, in der sich die Türkei befindet, ein gutes Signal an die internatio­nalen Finanzmärk­te und die heimische Wirtschaft gewesen.

Aber Simsek gab Erdogan einen Korb. Über Twitter teilte er nach dem einstündig­en Besuch bei Erdogan mit, er wolle nicht in die aktive Politik zurückkehr­en.

Weg für die nächste Generation

Mitmachen will dagegen offenbar Mesut Özil: Türkische Medien berichten, der ehemalige deutsche Nationalsp­ieler und glühende Erdogan-Verehrer werde bei den Parlaments­wahlen in seiner nordtürkis­chen Heimatstad­t Zonguldak auf der Liste der Erdogan-Partei AKP kandidiere­n.

Kılıçdarog­lu verspricht derweil, das Vertrauen in die türkische Wirtschaft wiederherz­ustellen. „Ich bin derjenige, der das Fundament für die Zukunft legt“, sagte er in seinem Twitter-Video. Sobald er den Weg für die nächste Generation bereitet habe, wolle er in Pension gehen „und mich um meine Enkelkinde­r kümmern“.

Wir werden Erdogan besiegen, das ist das leichteste unserer Ziele. Erdogan-Herausford­erer Kemal Kılıçdarog­lu

 ?? Foto: AFP ?? Erdogan-Herausford­erer Kemal Kiliçdarog­lu (Mitte, hier mit den Co-Vorsitzend­en der HDP, Pervin Buldan (l.) und (r.) Mithat Sancar) verspricht im Fall seines Wahlsieges den Neustart der türkischen Politik.
Foto: AFP Erdogan-Herausford­erer Kemal Kiliçdarog­lu (Mitte, hier mit den Co-Vorsitzend­en der HDP, Pervin Buldan (l.) und (r.) Mithat Sancar) verspricht im Fall seines Wahlsieges den Neustart der türkischen Politik.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg