Luxemburger Wort

Atomkraft – Wem nützt das Spiel mit der Angst?

Hat die Green Finance mit Wind und Solar Vorrang vor dem Schutz der Biodiversi­tät sowie der Lebensqual­ität, fragt sich der Autor

- Von Paul Heinen *

Am 8. Februar berichtete das „Luxemburge­r Wort“über die vortägige Energie-Debatte in der Chamber. Abgeordnet­e, sowie Energiemin­ister Claude Turmes (Déi Gréng), beschäftig­ten sich voller Sorge mit der Renaissanc­e der Atomkraft, vornehmlic­h in Frankreich.

Luxemburgs Politik schielt lieber nach Deutschlan­d. Neben dem deutschen Ausnahmewe­g gibt es indes weltweite Innovation­en, die hoffnungsv­oll stimmen, dass die Substituti­on der fossilen Energien in einigen Jahrzehnte­n auch in einer industrial­isierten Welt gelingen kann. In Luxemburg bevorzugt man aber augenschei­nlich eher ein Spiel mit der Angst, in der unsere Gesellscha­ft gefangen scheint. Deshalb ist es wichtig, sich mit der Realität auseinande­rzusetzen.

Hierbei geht es keineswegs um ein undifferen­ziertes Plädoyer für Frankreich­s Energiepol­itik. Man sollte in einer vorurteils­freien Diskussion aber etwas ehrlicher umgehen in puncto Versorgung­ssicherhei­t, Umweltvert­räglichkei­t, Klimaschut­z, Risiken, sowie Bezahlbark­eit einer zukunftsfä­higen Energiestr­ategie. So macht sich DP-Abgeordnet­er Gusty Graas Sorgen um die Betriebssi­cherheit der französisc­hen Atomkraftw­erke. Zitat aus dem „Wort“-Artikel: „Graas wies gestern in der Chamber auf eine Reihe Korrosions­probleme hin. 44 der 56 französisc­hen Reaktoren seien dennoch wieder am Netz.“

Angesichts dieser Formulieru­ng könnte man annehmen, dass heute tatsächlic­h Atomkraftw­erke mit Korrosions­problemen betrieben werden. Tatsache ist, dass die Autorité de sureté nationale (ASN) bei Kenntnis der Probleme unverzügli­ch sämtliche Atomkraftw­erke des betroffene­n Typs vom Netz nehmen ließ und jedes einzelne Kraftwerk erst wieder ans Netz ging, nachdem die notwendige­n Kontrollen beziehungs­weise Arbeiten erfolgreic­h durchgefüh­rt wurden. Hier trifft das Schüren einer diffusen Angst auf die Realität, in der hohe Sicherheit­sstandards die Regel sind.

Des Weiteren wird im „Wort“Artikel Dan Biancalana zitiert. Der LSAP-Abgeordnet­e gibt zu bedenken, dass 2015 entschiede­n wurde, 14 der 56 Reaktoren zu schließen und es 2021 zu einer Kehrtwende gekommen sei und jetzt neue Reaktoren gebaut werden. Hier müsste jedoch hinzugefüg­t werden, wie es zu dieser Entwicklun­g kam.

Zum einen wird aus den aktuellen Expertenan­hörungen einer Enquete-Kommission der Assemblée nationale ersichtlic­h, dass die Schließung der 14 Reaktoren eine rein politische Entscheidu­ng war, ohne nachvollzi­ehbaren technische­n oder wirtschaft­lichen Hintergrun­d. Zum anderen wird im Bericht „Stratégie nationale bas-carbone“(Ministère de la transition écologique et solidaire, März 2020) eingeräumt, dass die Schließung der Atomkraftw­erke den kurzfristi­gen Bau von etwa 20 Gaskraftwe­rken erfordert hätte, trotz Ausbau regenerati­ver Energieque­llen, und dass dies somit zu einem starken, sowie nachhaltig­en Zuwachs der Treibhausg­ase führt.

Beim Klimaschut­z ist tatsächlic­h weniger der Ausbau von Wind und Solar ausschlagg­ebend, sondern vielmehr der Mix der steuerbare­n Kraftwerke, die das Stromnetz im Gleichgewi­cht halten müssen. Dieser Sachverhal­t wird durch die aktuellen Ereignisse bestätigt. Die statistisc­hen Daten dazu liefert das Fraunhofer Institut: Sowohl in Frankreich als auch in Deutschlan­d konnte der Windund Solarstrom von 2021 auf 2022 einen Zuwachs − größtentei­ls wetterbedi­ngt − von immerhin 13 Prozent verzeichne­n. Dennoch stieg in beiden Ländern die globale CO2-Intensität der Stromprodu­ktion: in Frankreich von circa 50 auf 70 g CO2/KWh, in Deutschlan­d von circa 410 auf 440 g CO2/KWh (gemäß IPCCEmissi­onsfaktore­n der verschiede­nen Kraftwerks­typen über den globalen Lebenszykl­us).

Deutschlan­d oder Frankreich

In Deutschlan­d verhagelte die Schließung der Hälfte der verblieben­en Atomkraftw­erke und die dadurch vermehrte Kohleverst­romung die CO2-Bilanz. In Frankreich fiel der Nuklearant­eil wegen des reduzierte­n Betriebs von circa 71 auf 65 Prozent bei gleichzeit­igem Anstieg der Gasverstro­mung von circa sechs auf zehn Prozent. Obwohl der Anteil von Wind und Solar an der Stromprodu­ktion in Deutschlan­d über dreimal höher liegt als in Frankreich, übertrifft die deutsche CO2-Intensität die französisc­he jedoch um eine ganze Größenordn­ung.

Wie ordnet nun Energiemin­ister Turmes diesen Sachverhal­t ein? Zitat aus der ChamberDeb­atte: „In Luxemburg sind wir realistisc­her. Wenn man schneller im Klimaschut­z weiterkomm­en will, muss man in Solar- und Windenergi­e investiere­n.“

Dieser Weg wäre laut Energiemin­ister Turmes kostengüns­tiger und sicherer. Er bestätigt dann auch die luxemburgi­sche Investitio­n in eine dänische „Energieins­el“und bedauert gleichzeit­ig Frankreich­s Investitio­nen in neue Atomkraftw­erke. Es ist klar, dass die Kosten beim Pilotproje­kt Flamantvil­le völlig aus dem Ruder liefen, nachdem Frankreich­s zaudernde Energiepol­itik der vergangene­n Jahrzehnte diesen industriel­len Sektor samt Zulieferer hat ausbluten lassen, Kompetenze­n bei Planung, Organisati­on und Bau weitestgeh­end verloren gingen und jetzt wiederherg­estellt werden mussten.

Wenn man aber − sogar bei diesem Extrembeis­piel − die von EDF im Dezember 2022 aktualisie­rten Baukosten auf die globale Stromprodu­ktion von über 700 TWh bezieht (1.600 MW Leistung, 80 bis 90 Prozent Volllastst­unden, 60 Betriebsja­hre), so liegen diese immer noch bei nur einem Drittel der auf die Stromprodu­ktion bezogenen Investitio­nskosten des kürzlich eröffneten Offshore-Windparks von Saint-Nazaire, der mit Baukosten von zwei Milliarden Euro und einer jährlichen Stromprodu­ktion von voraussich­tlich 1,6 TWh nach 20 bis 25 Betriebsja­hren auf eine Produktion von etwa 30 bis 40 TWh kommt.

Ein stabiles Netz braucht steuerbare Kraftwerke. Fossiles

Beim Klimaschut­z ist weniger der Ausbau von Wind und Solar ausschlagg­ebend, sondern vielmehr der Mix der steuerbare­n Kraftwerke, die das Stromnetz im Gleichgewi­cht halten müssen.

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Foto: dpa Man sollte in einer vorurteils­freien Diskussion etwas ehrlicher umgehen mit Punkten wie Versorgung­ssicherhei­t, Umweltvert­räglichkei­t, Klimaschut­z, Risiken, sowie Bezahlbark­eit einer zukunftsfä­higen Energiestr­ategie, so der Autor.

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