Was Scholz zu wenig spricht, seit er Kanzler ist, spricht Lauterbach zu viel – nicht erst als Minister.
sich nicht. Was Scholz zu wenig spricht, seit er Kanzler ist, spricht Lauterbach zu viel – nicht erst als Minister. Aber als der eben auch. Anders als Scholz ist Lauterbach der Mensch gewordene Redestrom. Anders als der Kanzler – dem seine Kommunikationsexperten so unentwegt wie vergeblich zu mehr Klarheit und Gefühl raten -, will er unbedingt verstanden werden und bitte von allen.
Er scheut kein Mikrofon
Er bemüht sich darum, er scheut kein Mikrofon, er twittert im Akkord und auch bei Anne Will und Markus Lanz und sämtlichen anderen TV-Plauderern erklärt er sich gern. 2021 trug er noch die Krone des deutschen Talkshow-Königs – für 41 Auftritte. Die hat er vergangenes Jahr als Minister an den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen weitergegeben; aber einladen lässt er sich immer noch gern.
In seinem Bestreben, sich und was er will der Öffentlichkeit nahezubringen, gleicht Lauterbach Robert Habeck. Und noch mehr als Habeck hat Lauterbach keine Scheu, Irrtümer und Fehler einzugestehen – was die stets Ehrlichkeit einfordernde Öffentlichkeit aber nicht würdigt, im Gegenteil. Und während der grüne Vizekanzler das Publikum beim Verfertigen seiner Gedanken teilnehmen lässt – überflutet es der rote Gesundheitsminister mit seinem Wissen und formuliert vor lauter Eifer in einer satzbrecherischen Geschwindigkeit. Wer Lauterbach zehn Minuten zugehört hat, braucht als Laie in Gesundheitspolitik, erstens, Erholung und kann, zweitens, an seinem Tatendrang nicht zweifeln. Erkenntnis aber ist nicht garantiert.
Nun ist das Gesundheitsressort in Deutschland von ähnlicher Verfasstheit wie das für Verteidigung: jede Menge Themen, große Aufgaben, dazu Reformbedarf in einem fort – und dort wie hier geht es ums Leben. Anders aber als mit dem Militär haben die Menschen mit dem Gesundheitssystem häufig Kontakt, viele täglich. Und deswegen wissen sie auch, wie viel da in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt nur noch gerade so oder schon längst überhaupt gar nicht mehr funktioniert: vom monatelangen Warten auf den Termin beim Facharzt über die Ausdünnung des Hausärztenetzes auf dem Land und die Not bei der Versorgung mit Standardmedikamenten bis zum viel zu knappen Pflegegeld für immer mehr zu Pflegende und den gerade wieder einmal aus dem Ruder laufenden Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Und also erwarten sie Besserung.
Weg vom Gewinnstreben
Lauterbach weiß um all das, gern lässt er sein Haus dafür und dagegen Gesetze entwerfen, außerdem plant er parallel die digitale Gesundheitsakte und die Legalisierung des Gebrauchs von Cannabis – die Gefahr hat er vorher im Selbstversuch überprüft und für beherrschbar befunden – und beauftragt bei einer Expertenkommission eine Neuordnung des Krankenhauswesens, die sich gewaschen hat, „eine Revolution“: Weg mit der Fallpauschale, weg vom Gewinnstreben, wichtiger als Geld soll endlich wieder die Medizin werden. Klingt gut in den Ohren von Patienten, die seit 20 Jahren im Eiltempo durch Operationen geschleust werden und gerne „blutig entlassen“. Ein Begriff, der ebenso bekannt wie bildkräftig ist: Die angeblich Kurierten kommen mit hellrotnassen oder dunkelrot-verkrusteten Verbänden zu Hause an.
Bislang sind aber weder die Kliniken noch die Krankenkassen an der „Revolution“beteiligt oder gar schon von ihr überzeugt. Und auch die Länder, die das ganze 100-Milliarden-Euro-Projekt ja mit bezahlen müssten, hat Lauterbach außen vor gelassen; als Quittung überprüfen seine Unions-Kollegen aus Bayern, NRW und Schleswig-Holstein jetzt die Verfassungsmäßigkeit seines Plans.
Das alles ergibt jede Menge Negativschlagzeilen, bringt nichts auf den Weg und kostet Lauterbach das Vertrauen, das ihn ja erst ins Amt bugsiert hat. Und das er zum Umsetzen all seiner Ideen so nötig braucht wie sonst nur noch Geld. Das ihm, wiederum, der Kollege Christian Lindner von der FDP nicht gibt. Ein Machtwort des Kanzlers Richtung Finanzministerium braucht Lauterbach sich nicht zu erhoffen; und das weiß er auch.
Denn selbst die Koalition – ohnehin gerade kein Hort der Harmonie – ist inzwischen genervt vom Minister Hyperaktiv, in den der Minister der Herzen sich verwandelt zu haben scheint. Schade drum. Und zwar für alle Beteiligten.
* Die Autorin ist Deutschland-Korrespondentin des „Luxemburger Wort“.