Früher war mehr Steichen
Warum das Programm zur Erinnerung an den 50. Todestag des Luxemburger Fotopioniers auf den ersten Blick nicht so groß ausfällt
Der 50. Todestag ist sonst ein Termin der großen Gesten und Erinnerungen an die prägenden Geister ihrer Zeit. Edward Steichen wäre heute dran. Am 25. März 1973 starb er. Aber ist aktuell eine tiefe Erinnerungswelle zu spüren? Die Biografie von Gerd Hurm gäbe eigentlich schon einen Hinweis darauf, was man zudem noch neu in den Blick rücken könnte: nämlich die breite Vielfalt von Steichens Leben und die Verbindungen dieser Facetten.
Er war eben nicht nur der in Luxemburg geborene Fotografiepionier und Kurator am New Yorker Museum of Modern Art, sondern auch Pflanzenzüchter, Textildesigner, Talentförderer und international vernetzter Galerist, der Cézanne, Matisse, und Picasso zum ersten Mal in den USA zeigte.
Oder wird einfach das bestehende Angebot an den verschiedenen Steichen-Stationen des Großherzogtums unterschätzt? Der designierte „Steichen-Beauftragte“in Diensten des Kulturministeriums, Paul Lesch, scheint mit der Einrichtung des Postens offenbar selbst Teil einer Initiative zu sein, wie man die Erinnerung neu beleben und stabilere Netzwerke spinnen könnte.
Noch ist Lesch Interimsdirektor des Centre National de l’Audiovisuel (CNA), das für zwei zentrale, von Steichen kuratierte Projekte verantwortlich ist: das Unesco-Weltdokumentenerbe „Family of Man“in Clerf und die Schau „The Bitter Years“in Düdelingen.
Lesch hält fest: „Die Hommage aktuell ist schlicht anders geworden, sicher nicht kleiner. Vielmehr ist es eine Mischung ganz vieler verschiedener Initiativen, die es auch ohne das Datum des Todestages gegeben hätte. Denn die Arbeit um Steichen ist jenseits eines speziellen Tages für das CNA und andere Kulturträger eine alltägliche Mission. Das sind zum Beispiel sehr viele pädagogische Aktivitäten des CNA oder des Nationalmuseums. Dazu kommen natürlich auch die Publikationen.“
„Zur aktuellen Schau im Nationalmuseum ist ja zum Beispiel ein starker Katalog vorgelegt worden. Es mag dann kein Event-Wochenende mit viel Tamtam sein. Aber die Erinnerung an Steichen findet sehr wohl statt. Und vielleicht ist das als gezieltes Programm letztlich auch nachhaltiger.“
Und was soll Lesch dann genau als „Steichen-Beauftragter“tun? Noch ist das Missionspaket nach seiner Aussage nicht vollständig geschnürt, er warte noch auf die konkrete Dienstbeschreibung. Doch einige Grundzüge seien klar: Einerseits soll er als Historiker forschen. Sein Ziel: weitere Nuancen wie einen von Steichens erhaltenen Kriegsfilm wissenschaftlich aufarbeiten.
„Im Prinzip war er der erste Luxemburger, der für einen Film einen Oscar erhielt. Er ist zwar als Teil der damaligen US-Propaganda zu sehen, aber er ist ein wichtiges Puzzlestück in Steichens Vita“, sagt der Historiker. „Über Steichen ist sicher schon viel geschrieben worden, und doch gibt es Punkte, die noch nicht erfasst wurden oder die neu betrachtet werden müssen.“Auch will der Forscher Lesch die Entwicklung der „Marke“Steichen und deren Wahrnehmungsgeschichte beleuchten. Denn Steichens Wirkung und Inszenierung wurden durchaus kritisch gesehen.
Dass plötzlich auch diese kritischen Anmerkungen an Steichen wiederum angefochten werden können, zeigte das CNA mit dem Forschungsband „The Family of Man: Photography in a Global Age“– herausgegeben im Jahr 2018 von Gerd Hurm, Anke Reitz und Shamoon Zamir. „Das Team konnte bei der Buchvorstellung vor gewieften Experten im Museum of Modern Art durchaus für Überraschung sorgen“, sagt Lesch im Rückblick.
Einerseits unterstrichen nämlich die Autoren, wie stärker verzahnt Steichens Facetten gesehen werden müssten. Und: Der Band präsentiert als zentrales Dokument, eine im For
Die Arbeit um Steichen ist jenseits eines speziellen Tages für das CNA und andere Kulturträger eine alltägliche Mission. Paul Lesch, Interimsdirektor des Centre National de l’Audiovisuel (CNA)
schungsdiskurs bisher unbekannte Rede Max Horkheimers zur „Family of Man“, erstmals der Öffentlichkeit. Mit einer gewissen Sprengkraft: Horkheimer stellt die zum Teil abwertende Sichtweise von Roland Barthes, Susan Sontag oder Walter Benjamin auf die „Family of Man“infrage.
Steichen stetig neu befragen
„Die Generation heute muss dafür sorgen, dass man Steichen nicht reduziert, ihn als Kind seiner Zeit sieht und ihm nicht ein Wertegerüst überstülpt, das vielleicht besser in das heutige gesellschaftliche Bewusstsein passt. Aber man muss auch immer bedenken, dass er Schwarzen und Frauen zum Beispiel erstmals eine Sichtbarkeit gab – vor und hinter der Kamera. Insofern war er seiner Zeit weit voraus.“Es gibt also durchaus noch wis
Das Team konnte bei der Buchvorstellung vor gewieften Experten im Museum of Modern Art durchaus für Überraschung sorgen. Paul Lesch, Interimsdirektor des Centre National de l’Audiovisuel (CNA)
senschaftliches Potenzial in Sachen Steichen. Weit jenseits der oberflächlichen Aufregung im letzten Jahr, als Steichens Fotografie „The Flatiron“aus dem Jahr 1904 für fast zwölf Millionen Dollar versteigert wurde und einmal mehr der Fotopionier in den Blick gerückt wurde.
Und wie Lesch betont, gäbe es allein schon durch die Verteilung der Steichen-Quellen im Großherzogtum viele Experten; Kenner wie den Nationalmuseumsdirektor Michel Polfer und die im Museum für die Bildenden Künste zuständige Mitarbeiterin Malgorzata Nowara, sowie natürlich das Team im CNA, insbesondere Anke Reitz oder die Esch 2022-Programmverantwortliche Françoise Poos.
Es gelte diese Expertise noch besser nach vorn zu bringen: „Die Stelle im Kulturministerium hat dann auch so etwas wie eine Schnittstellenfunktion zwischen Ministerium, CNA, Nationalmuseum und anderen, die Bestände rund um Steichen verwalten. Die Kommunikation soll einfacher werden und die Basis für gemeinsame Initiativen geschaffen werden“, sagt Lesch.
Wenn der Filmsektor des Landes doch auch auf Zukunftstechnologien wie Virtual Reality setzt, warum nicht das virtuelle Verzahnen aller Luxemburger Bestände? So etwas wie ein Spaziergang durch die Facetten Steichens? „Das wäre schon aus Urheberrechtsgründen sehr schwer. Allein das Einholen der Genehmigungen der Rechteinhaber weltweit wäre eine Aufgabe von Jahren“, sagt Lesch.
Im Prinzip war er der erste Luxemburger, der für einen Film einen Oscar erhielt. Er ist zwar als Teil der damaligen US-Propaganda zu sehen, aber er ist ein wichtiges Puzzlestück in Steichens Vita. Paul Lesch, Interimsdirektor des Centre National de l’Audiovisuel (CNA)
Aber wie soll die Öffentlichkeit mit dem Kulturschaffenden Steichen heute umgehen? Auch wenn zum Beispiel ein Lehrer-Team aus dem Clerfer Lycee, das nach dem Kulturschaffenden benannt ist, pädagogische Materialien zusammen mit dem CNA entwickelt, fehlt es an Sichtbarkeit für die Schätze. Das ist an sich nicht neu. Lesch ist sich dessen auch bewusst: „Natürlich wäre es schön, wenn wir an zentralen Orten wie dem Pariser Gare de l’Est oder am Findel auf das Angebot an Steichen-Erlebnissen im Großherzogtum verweisen würden. Doch einzelne Institutionen haben dafür nicht das Budget, eine solche Promotion zu machen.“
Doch glaubt Lesch auch daran, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin im Amt an der Spitze des CNA am Steichen-Erbe weiter aufstocken könnte. „Wir haben in den Jahren einige neue Brücken bauen können. ‚The Bitter Years‘ kann man auf Reisen schicken und damit auf das Steichen-Land Luxemburg aufmerksam machen. Möglichkeiten gibt es jedenfalls.“
Sind sich eigentlich die Luxemburger wirklich so bewusst, wie einzigartig dieser Schatz ist? Wegbereiter, über die Steichens Erbe überhaupt den Weg in das Großherzogtum fand, sind inzwischen bereits verstorben; erst vor rund zwei Monaten Rosch Krieps. „Auch wenn Rosch Krieps und ich nicht immer einer Meinung waren, haben er und seine Mitstreiter ein zentrale und zu würdigende Rolle für diesen Kulturschatz gespielt. Da sind wir als Gesellschaft heute zu Dank verpflichtet. Aber: Krieps hatte den Blick seiner Generation auf diesen Schatz. Gerade in Anbetracht der Zeiten heute müssen wir immer wieder an seine Arbeiten Fragen der aktuellen Gesellschaft stellen. Nehmen wir das berühmte Atombomben-Bild in der Schlusssequenz der ‚Family of Man‘ – wenn wir die aktuellen Bilder in Nachrichten sehen, gibt es plötzlich wieder die Erfahrungen der Bedrohungslage wie einst im Kalten Krieg, als Steichen die Arbeiten zusammentrug. Das schafft auch für die Betrachtenden einen wichtigen neuen Anknüpfungspunkt – ganz aktuell.“
wuchstalent Helena Brehm und Mitglieder des Géisskan Kollektivs. Organisiert wird das Poetry Slam de Lux’ vom Institut Pierre Werner, den Rotondes, Coopérations Wiltz und dem Géisskan Kollektiv mit der Unterstützung der Botschaften Österreichs, Belgien und der Schweiz sowie von Wallonie-Bruxelles International. C.
Tickets für die Rotondes am Freitagsabend: Im Vorverkauf 12 Euro, 5 Euro ermässigt, an der Abendkasse 14 Euro, 6 Euro ermässigt. Für Wiltz: Vorverkauf und Abendkasse: 16 Euro, 8 Euro ermässigt.