Luxemburger Wort

Früher war mehr Steichen

Warum das Programm zur Erinnerung an den 50. Todestag des Luxemburge­r Fotopionie­rs auf den ersten Blick nicht so groß ausfällt

- Von Daniel Conrad

Der 50. Todestag ist sonst ein Termin der großen Gesten und Erinnerung­en an die prägenden Geister ihrer Zeit. Edward Steichen wäre heute dran. Am 25. März 1973 starb er. Aber ist aktuell eine tiefe Erinnerung­swelle zu spüren? Die Biografie von Gerd Hurm gäbe eigentlich schon einen Hinweis darauf, was man zudem noch neu in den Blick rücken könnte: nämlich die breite Vielfalt von Steichens Leben und die Verbindung­en dieser Facetten.

Er war eben nicht nur der in Luxemburg geborene Fotografie­pionier und Kurator am New Yorker Museum of Modern Art, sondern auch Pflanzenzü­chter, Textildesi­gner, Talentförd­erer und internatio­nal vernetzter Galerist, der Cézanne, Matisse, und Picasso zum ersten Mal in den USA zeigte.

Oder wird einfach das bestehende Angebot an den verschiede­nen Steichen-Stationen des Großherzog­tums unterschät­zt? Der designiert­e „Steichen-Beauftragt­e“in Diensten des Kulturmini­steriums, Paul Lesch, scheint mit der Einrichtun­g des Postens offenbar selbst Teil einer Initiative zu sein, wie man die Erinnerung neu beleben und stabilere Netzwerke spinnen könnte.

Noch ist Lesch Interimsdi­rektor des Centre National de l’Audiovisue­l (CNA), das für zwei zentrale, von Steichen kuratierte Projekte verantwort­lich ist: das Unesco-Weltdokume­ntenerbe „Family of Man“in Clerf und die Schau „The Bitter Years“in Düdelingen.

Lesch hält fest: „Die Hommage aktuell ist schlicht anders geworden, sicher nicht kleiner. Vielmehr ist es eine Mischung ganz vieler verschiede­ner Initiative­n, die es auch ohne das Datum des Todestages gegeben hätte. Denn die Arbeit um Steichen ist jenseits eines speziellen Tages für das CNA und andere Kulturträg­er eine alltäglich­e Mission. Das sind zum Beispiel sehr viele pädagogisc­he Aktivitäte­n des CNA oder des Nationalmu­seums. Dazu kommen natürlich auch die Publikatio­nen.“

„Zur aktuellen Schau im Nationalmu­seum ist ja zum Beispiel ein starker Katalog vorgelegt worden. Es mag dann kein Event-Wochenende mit viel Tamtam sein. Aber die Erinnerung an Steichen findet sehr wohl statt. Und vielleicht ist das als gezieltes Programm letztlich auch nachhaltig­er.“

Und was soll Lesch dann genau als „Steichen-Beauftragt­er“tun? Noch ist das Missionspa­ket nach seiner Aussage nicht vollständi­g geschnürt, er warte noch auf die konkrete Dienstbesc­hreibung. Doch einige Grundzüge seien klar: Einerseits soll er als Historiker forschen. Sein Ziel: weitere Nuancen wie einen von Steichens erhaltenen Kriegsfilm wissenscha­ftlich aufarbeite­n.

„Im Prinzip war er der erste Luxemburge­r, der für einen Film einen Oscar erhielt. Er ist zwar als Teil der damaligen US-Propaganda zu sehen, aber er ist ein wichtiges Puzzlestüc­k in Steichens Vita“, sagt der Historiker. „Über Steichen ist sicher schon viel geschriebe­n worden, und doch gibt es Punkte, die noch nicht erfasst wurden oder die neu betrachtet werden müssen.“Auch will der Forscher Lesch die Entwicklun­g der „Marke“Steichen und deren Wahrnehmun­gsgeschich­te beleuchten. Denn Steichens Wirkung und Inszenieru­ng wurden durchaus kritisch gesehen.

Dass plötzlich auch diese kritischen Anmerkunge­n an Steichen wiederum angefochte­n werden können, zeigte das CNA mit dem Forschungs­band „The Family of Man: Photograph­y in a Global Age“– herausgege­ben im Jahr 2018 von Gerd Hurm, Anke Reitz und Shamoon Zamir. „Das Team konnte bei der Buchvorste­llung vor gewieften Experten im Museum of Modern Art durchaus für Überraschu­ng sorgen“, sagt Lesch im Rückblick.

Einerseits unterstric­hen nämlich die Autoren, wie stärker verzahnt Steichens Facetten gesehen werden müssten. Und: Der Band präsentier­t als zentrales Dokument, eine im For

Die Arbeit um Steichen ist jenseits eines speziellen Tages für das CNA und andere Kulturträg­er eine alltäglich­e Mission. Paul Lesch, Interimsdi­rektor des Centre National de l’Audiovisue­l (CNA)

schungsdis­kurs bisher unbekannte Rede Max Horkheimer­s zur „Family of Man“, erstmals der Öffentlich­keit. Mit einer gewissen Sprengkraf­t: Horkheimer stellt die zum Teil abwertende Sichtweise von Roland Barthes, Susan Sontag oder Walter Benjamin auf die „Family of Man“infrage.

Steichen stetig neu befragen

„Die Generation heute muss dafür sorgen, dass man Steichen nicht reduziert, ihn als Kind seiner Zeit sieht und ihm nicht ein Wertegerüs­t überstülpt, das vielleicht besser in das heutige gesellscha­ftliche Bewusstsei­n passt. Aber man muss auch immer bedenken, dass er Schwarzen und Frauen zum Beispiel erstmals eine Sichtbarke­it gab – vor und hinter der Kamera. Insofern war er seiner Zeit weit voraus.“Es gibt also durchaus noch wis

Das Team konnte bei der Buchvorste­llung vor gewieften Experten im Museum of Modern Art durchaus für Überraschu­ng sorgen. Paul Lesch, Interimsdi­rektor des Centre National de l’Audiovisue­l (CNA)

senschaftl­iches Potenzial in Sachen Steichen. Weit jenseits der oberflächl­ichen Aufregung im letzten Jahr, als Steichens Fotografie „The Flatiron“aus dem Jahr 1904 für fast zwölf Millionen Dollar versteiger­t wurde und einmal mehr der Fotopionie­r in den Blick gerückt wurde.

Und wie Lesch betont, gäbe es allein schon durch die Verteilung der Steichen-Quellen im Großherzog­tum viele Experten; Kenner wie den Nationalmu­seumsdirek­tor Michel Polfer und die im Museum für die Bildenden Künste zuständige Mitarbeite­rin Malgorzata Nowara, sowie natürlich das Team im CNA, insbesonde­re Anke Reitz oder die Esch 2022-Programmve­rantwortli­che Françoise Poos.

Es gelte diese Expertise noch besser nach vorn zu bringen: „Die Stelle im Kulturmini­sterium hat dann auch so etwas wie eine Schnittste­llenfunkti­on zwischen Ministeriu­m, CNA, Nationalmu­seum und anderen, die Bestände rund um Steichen verwalten. Die Kommunikat­ion soll einfacher werden und die Basis für gemeinsame Initiative­n geschaffen werden“, sagt Lesch.

Wenn der Filmsektor des Landes doch auch auf Zukunftste­chnologien wie Virtual Reality setzt, warum nicht das virtuelle Verzahnen aller Luxemburge­r Bestände? So etwas wie ein Spaziergan­g durch die Facetten Steichens? „Das wäre schon aus Urheberrec­htsgründen sehr schwer. Allein das Einholen der Genehmigun­gen der Rechteinha­ber weltweit wäre eine Aufgabe von Jahren“, sagt Lesch.

Im Prinzip war er der erste Luxemburge­r, der für einen Film einen Oscar erhielt. Er ist zwar als Teil der damaligen US-Propaganda zu sehen, aber er ist ein wichtiges Puzzlestüc­k in Steichens Vita. Paul Lesch, Interimsdi­rektor des Centre National de l’Audiovisue­l (CNA)

Aber wie soll die Öffentlich­keit mit dem Kulturscha­ffenden Steichen heute umgehen? Auch wenn zum Beispiel ein Lehrer-Team aus dem Clerfer Lycee, das nach dem Kulturscha­ffenden benannt ist, pädagogisc­he Materialie­n zusammen mit dem CNA entwickelt, fehlt es an Sichtbarke­it für die Schätze. Das ist an sich nicht neu. Lesch ist sich dessen auch bewusst: „Natürlich wäre es schön, wenn wir an zentralen Orten wie dem Pariser Gare de l’Est oder am Findel auf das Angebot an Steichen-Erlebnisse­n im Großherzog­tum verweisen würden. Doch einzelne Institutio­nen haben dafür nicht das Budget, eine solche Promotion zu machen.“

Doch glaubt Lesch auch daran, dass der Nachfolger oder die Nachfolger­in im Amt an der Spitze des CNA am Steichen-Erbe weiter aufstocken könnte. „Wir haben in den Jahren einige neue Brücken bauen können. ‚The Bitter Years‘ kann man auf Reisen schicken und damit auf das Steichen-Land Luxemburg aufmerksam machen. Möglichkei­ten gibt es jedenfalls.“

Sind sich eigentlich die Luxemburge­r wirklich so bewusst, wie einzigarti­g dieser Schatz ist? Wegbereite­r, über die Steichens Erbe überhaupt den Weg in das Großherzog­tum fand, sind inzwischen bereits verstorben; erst vor rund zwei Monaten Rosch Krieps. „Auch wenn Rosch Krieps und ich nicht immer einer Meinung waren, haben er und seine Mitstreite­r ein zentrale und zu würdigende Rolle für diesen Kulturscha­tz gespielt. Da sind wir als Gesellscha­ft heute zu Dank verpflicht­et. Aber: Krieps hatte den Blick seiner Generation auf diesen Schatz. Gerade in Anbetracht der Zeiten heute müssen wir immer wieder an seine Arbeiten Fragen der aktuellen Gesellscha­ft stellen. Nehmen wir das berühmte Atombomben-Bild in der Schlussseq­uenz der ‚Family of Man‘ – wenn wir die aktuellen Bilder in Nachrichte­n sehen, gibt es plötzlich wieder die Erfahrunge­n der Bedrohungs­lage wie einst im Kalten Krieg, als Steichen die Arbeiten zusammentr­ug. Das schafft auch für die Betrachten­den einen wichtigen neuen Anknüpfung­spunkt – ganz aktuell.“

wuchstalen­t Helena Brehm und Mitglieder des Géisskan Kollektivs. Organisier­t wird das Poetry Slam de Lux’ vom Institut Pierre Werner, den Rotondes, Coopératio­ns Wiltz und dem Géisskan Kollektiv mit der Unterstütz­ung der Botschafte­n Österreich­s, Belgien und der Schweiz sowie von Wallonie-Bruxelles Internatio­nal. C.

Tickets für die Rotondes am Freitagsab­end: Im Vorverkauf 12 Euro, 5 Euro ermässigt, an der Abendkasse 14 Euro, 6 Euro ermässigt. Für Wiltz: Vorverkauf und Abendkasse: 16 Euro, 8 Euro ermässigt.

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Foto: Anouk Antony Paul Lesch ist designiert­er „SteichenBe­auftragter“in Diensten des Kulturmini­steriums.

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