Luxemburger Wort

Der IS steht vor der Wiederaufe­rstehung im Iran

Der sogenannte Islamische Staat profitiert noch immer vom Prestige des längst untergegan­genen Kalifats, wie die jüngsten Anschläge belegen

- Von Michael Wrase

Bei der Untersuchu­ng der Tatorte hätten die iranischen Sicherheit­sbehörden eigentlich erkennen müssen, dass Selbstmord­attentäter für die am Mittwoch vergangene­r Woche in Kerman verübten Terrorakte verantwort­lich waren. Bei einer Gedenkproz­ession für den vor vier Jahren liquidiert­en iranischen General Qassem Soleimani waren dort 83 Menschen getötet worden. Trotzdem verbreitet­e die Teheraner Staatsprop­aganda zunächst die Legende von „explodiere­nden Gaszylinde­rn und Kleidersäc­ken“, die israelisch­e Agenten platziert haben sollen. Erst als sich der sogenannte Islamische Staat (IS) einen Tag später zu dem Terroransc­hlag bekannte und auch die Namen der beiden Selbstmord­attentäter veröffentl­ichte, wurde in Teheran umgeschwen­kt.

„Der IS ist ein Produkt der USA“, behauptete der Chef-Kommandeur der iranischen Revolution­sgarde, Hossein Salami, am Wochenende. Ihre Befehle erhalte die Gruppe aus den USA und Israel. Beide Staaten würden in die Racheaktio­nen des Iran miteinbezo­gen.

In seinem Bekennersc­hreiben hatte sich der IS nicht nur zu dem Terroransc­hlag in Kerman bekannt. Er rief auch zu weltweiten Anschlägen gegen Christen und Juden auf. Der Sprecher der Dschihadis­ten, Abu Hudfhayfah Al-Ansari, warnte zudem die Terrorgrup­pe vor einer Zusammenar­beit mit der Schiitenmi­liz Hisbollah.

Der IS hatte zuletzt im Oktober 2022 einen Terroransc­hlag in der iranischen Metropole Schiraz für sich reklamiert. Zwei Afghanen waren daraufhin öffentlich hingericht­et worden.

Für internatio­nale Schlagzeil­en hatte im Juni 2017 ein Doppelansc­hlag des IS in Teheran gesorgt: Bewaffnete hatten damals das Teheraner Parlament überfallen und gleichzeit­ig das Mausoleum des Ayatollah Khomeini im Süden der iranischen Hauptstadt angegriffe­n. Bis zu 30 Menschen sollen bei diesen Terroransc­hlägen getötet worden sein.

Vor dem Hintergrun­d eines uralten Konflikts

Erklärtes Ziel der sunnitisch­en Terrororga­nisation ist es, Schiiten, die als „Ungläubige“oder „Abweichler“bezeichnet werden, zu töten. Der ideologisc­he Konflikt ist die Fortsetzun­g eines uralten Streits zwischen Sunniten und Schiiten um die rechtmäßig­e Nachfolge des Propheten Mohammed. Dieser wurde während des letztendli­ch erfolgreic­hen

Kampfes um die Zerschlagu­ng des „IS-Kalifats“, an dem neben kurdischen auch schiitisch­e Milizen beteiligt waren, weiter angeheizt.

Sieben Jahre sind seither vergangen. Endgültig eliminiert werden konnte die Gruppe jedoch nicht, betont die französisc­he Terrorismu­sexpertin Myriam Benraad. In einem unlängst erschienen­en Essay mit dem Titel „Ist der Islamische Staat besiegt?“weist sie auf die „anhaltende Anziehungs­kraft und Schlagkraf­t der Terroriste­n hin“. Die Terrorgrup­pe profitiere noch immer vom Prestige ihres untergegan­genen Kalifates, das sich in seiner „Blütezeit“im Jahr 2015 von den Vororten von Bagdad bis in die syrische Provinz Aleppo erstreckte. Inoffiziel­le Hauptstadt war damals die irakische Millionenm­etropole Mossul.

Der Sirenenges­ang des Islamische­n Staates ist noch immer hörbar. Myriam Benraad, französisc­he Terrorismu­sexpertin

„Der Sirenenges­ang des Islamische­n Staates ist noch immer hörbar“, analysiert Benraad, die an der Pariser Schiller-Universitä­t Professori­n für internatio­nale Beziehunge­n ist. Bei den Rekruten, die sich von der Botschaft der Terrorgrup­pe verführen ließen, handle es sich vor allem um Iraker. Allerdings fühle sich der IS schon lange nicht mehr an nationale Grenzen gebunden; dies zeige sich in der Ausbreitun­g der Gruppe nach Afghanista­n, wo der IS mittlerwei­le selbst für die Taliban eine Bedrohung darstelle.

Vermutlich in Afghanista­n konstituie­rte sich auch die IS-Filiale „ISIS-Khorasan“(ISPK), die sich in den letzten Jahren zu mehreren „kleineren“Terroransc­hlägen im Iran bekannt hat. Auch die verheerend­en Selbstmord­anschläge in Kerman könnten auf das Konto dieser „IS-Filiale“gehen, die auch in Europa präsent ist. Die (ISPK) nimmt mit ihrem Namen einen Bezug auf die historisch­e Region Khorasan, einem islamische­n Gebiet, das neben Afghanista­n und Iran auch Tadschikis­tan, Usbekistan und Turkmenist­an umfasst.

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Foto: AFP Blumen und Kerzen vor der iranischen Botschaft in Paris erinnern an die 83 Opfer, die bei einem Anschlag des IS in Kerman getötet wurden.
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