Der IS steht vor der Wiederauferstehung im Iran
Der sogenannte Islamische Staat profitiert noch immer vom Prestige des längst untergegangenen Kalifats, wie die jüngsten Anschläge belegen
Bei der Untersuchung der Tatorte hätten die iranischen Sicherheitsbehörden eigentlich erkennen müssen, dass Selbstmordattentäter für die am Mittwoch vergangener Woche in Kerman verübten Terrorakte verantwortlich waren. Bei einer Gedenkprozession für den vor vier Jahren liquidierten iranischen General Qassem Soleimani waren dort 83 Menschen getötet worden. Trotzdem verbreitete die Teheraner Staatspropaganda zunächst die Legende von „explodierenden Gaszylindern und Kleidersäcken“, die israelische Agenten platziert haben sollen. Erst als sich der sogenannte Islamische Staat (IS) einen Tag später zu dem Terroranschlag bekannte und auch die Namen der beiden Selbstmordattentäter veröffentlichte, wurde in Teheran umgeschwenkt.
„Der IS ist ein Produkt der USA“, behauptete der Chef-Kommandeur der iranischen Revolutionsgarde, Hossein Salami, am Wochenende. Ihre Befehle erhalte die Gruppe aus den USA und Israel. Beide Staaten würden in die Racheaktionen des Iran miteinbezogen.
In seinem Bekennerschreiben hatte sich der IS nicht nur zu dem Terroranschlag in Kerman bekannt. Er rief auch zu weltweiten Anschlägen gegen Christen und Juden auf. Der Sprecher der Dschihadisten, Abu Hudfhayfah Al-Ansari, warnte zudem die Terrorgruppe vor einer Zusammenarbeit mit der Schiitenmiliz Hisbollah.
Der IS hatte zuletzt im Oktober 2022 einen Terroranschlag in der iranischen Metropole Schiraz für sich reklamiert. Zwei Afghanen waren daraufhin öffentlich hingerichtet worden.
Für internationale Schlagzeilen hatte im Juni 2017 ein Doppelanschlag des IS in Teheran gesorgt: Bewaffnete hatten damals das Teheraner Parlament überfallen und gleichzeitig das Mausoleum des Ayatollah Khomeini im Süden der iranischen Hauptstadt angegriffen. Bis zu 30 Menschen sollen bei diesen Terroranschlägen getötet worden sein.
Vor dem Hintergrund eines uralten Konflikts
Erklärtes Ziel der sunnitischen Terrororganisation ist es, Schiiten, die als „Ungläubige“oder „Abweichler“bezeichnet werden, zu töten. Der ideologische Konflikt ist die Fortsetzung eines uralten Streits zwischen Sunniten und Schiiten um die rechtmäßige Nachfolge des Propheten Mohammed. Dieser wurde während des letztendlich erfolgreichen
Kampfes um die Zerschlagung des „IS-Kalifats“, an dem neben kurdischen auch schiitische Milizen beteiligt waren, weiter angeheizt.
Sieben Jahre sind seither vergangen. Endgültig eliminiert werden konnte die Gruppe jedoch nicht, betont die französische Terrorismusexpertin Myriam Benraad. In einem unlängst erschienenen Essay mit dem Titel „Ist der Islamische Staat besiegt?“weist sie auf die „anhaltende Anziehungskraft und Schlagkraft der Terroristen hin“. Die Terrorgruppe profitiere noch immer vom Prestige ihres untergegangenen Kalifates, das sich in seiner „Blütezeit“im Jahr 2015 von den Vororten von Bagdad bis in die syrische Provinz Aleppo erstreckte. Inoffizielle Hauptstadt war damals die irakische Millionenmetropole Mossul.
Der Sirenengesang des Islamischen Staates ist noch immer hörbar. Myriam Benraad, französische Terrorismusexpertin
„Der Sirenengesang des Islamischen Staates ist noch immer hörbar“, analysiert Benraad, die an der Pariser Schiller-Universität Professorin für internationale Beziehungen ist. Bei den Rekruten, die sich von der Botschaft der Terrorgruppe verführen ließen, handle es sich vor allem um Iraker. Allerdings fühle sich der IS schon lange nicht mehr an nationale Grenzen gebunden; dies zeige sich in der Ausbreitung der Gruppe nach Afghanistan, wo der IS mittlerweile selbst für die Taliban eine Bedrohung darstelle.
Vermutlich in Afghanistan konstituierte sich auch die IS-Filiale „ISIS-Khorasan“(ISPK), die sich in den letzten Jahren zu mehreren „kleineren“Terroranschlägen im Iran bekannt hat. Auch die verheerenden Selbstmordanschläge in Kerman könnten auf das Konto dieser „IS-Filiale“gehen, die auch in Europa präsent ist. Die (ISPK) nimmt mit ihrem Namen einen Bezug auf die historische Region Khorasan, einem islamischen Gebiet, das neben Afghanistan und Iran auch Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan umfasst.