Schwarzer Lavendel
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In den vergangenen zehn Jahren hatte die Feuerwehr eine ganze Reihe solcher Löschteiche angelegt, damit sie im Falle eines Waldbrandes schneller an Wasser kamen. Der Étang de Fé war der größte und der älteste dieser Teiche, fast schon ein kleiner Stausee. Und was das Beste war, das Wasser war hier voller Fische.
Der Junge liebte das Angeln. Weil er da seine Ruhe hatte, ganz alleine mit sich war. Und weil es immer ein bisschen unheimlich war, wenn er den Blinker auswarf und das glitzernde kleine Metallstück mit dem Haken im trüben Wasser versank. Was würde er heute erwischen? In diesem Teich gab es natürlich jede Menge Karpfen, aber die schmeckten wie aufgeweichte Eistüten, fand der Junge. Ganz egal, wie viel Mühe sich seine Maman bei der Zubereitung dieser fetten Mistviecher gab. Viel interessanter waren da schon die Gardons, die Rotaugen. Schnell wie die Torpedos, und am späten Nachmittag, wenn die Hitze die Mücken dicht über die Oberfläche drückte, sprangen sie manchmal aus dem Wasser und schleuderten dabei einen glitzernden Tropfenwirbel in die Luft. Aber die Könige des Teichs, die ungeschlagenen Stars und der eigentliche Grund, warum der Junge wieder und wieder hier seine Angel auswarf, das waren die Hechte. Er hatte in seinem Leben erst einmal Hecht gegessen, aber den Geschmack würde er nie wieder vergessen.
In diesem Moment tat es einen Ruck an der Leine, und die Rolle blockierte. Der Junge riss die Rute mit einem kurzen Schwung aus dem Handgelenk nach oben, damit sich der Haken dem Fisch ins Maul bohren würde, und war bereit für den Kampf.
Denn was immer er da an der Schnur hatte, das Scheißvieh war schwer wie ein Flusspferd, und es würde nicht freiwillig aus dem Teich kommen. Der Junge sah sich schnell um, ob ihn jemand beobachtete, denn die nächsten Minuten würden seine ganze Aufmerksamkeit fordern. Lèche mon cul, das musste ein Mordsbrocken sein, so viel stand fest. Drei bis vier Kilo, schätzte der Junge, vielleicht sogar mehr. Er ließ einen guten Meter der mit 0,4 Millimetern extrastarken Angelschnur nach. Aber nichts geschah. Kein Kampf, kein sich windender Fischkörper, der silbern im Wasser blitzte, gar nichts. Der kostbare Blinker saß irgendwo fest. Dabei hatte der Junge das Ding unter größter Gefahr in Hyères im Angelladen geklaut.
Er starrte ins Wasser. Was immer es war, woran sich der Blinker verhakt hatte, es befand sich nicht weit vom felsigen Ufer entfernt, das hier fast senkrecht ins Wasser abfiel. Der Junge hielt den Kopf schief und schien da unten etwas schimmern zu sehen.
Was soll’s, er zog sich die Klamotten aus, sicherte die Angel mit einem Ast und stieg vorsichtig ins Wasser. Mit der Hand folgte er der Leine, dann holte er tief Luft und tauchte. Dann sah er es, direkt unter sich.
In etwa drei Metern Tiefe lag ein auf die Seite gekippter blauer Golf im Schlamm. Er brauchte nur ein paar Schwimmstöße, bis er das Wrack erreichte. Das Auto war leer. Der Blinker hatte sich im offenen Fenster an der Fahrertür verhakt. Der Junge löste den Haken und tauchte wieder auf.
Merde, alors! Die Flics hatten garantiert keine Ahnung, dass da jemand ein komplettes Auto im Teich versenkt hatte. Klar, so was müsste man eigentlich melden. Vielleicht gehörte das Auto ja einem Bankräuber oder, noch schlimmer, einem Terroristen.
Aber wenn er zur Polizei ging, dann würden die Fragen stellen. Er kannte die Flics. Du fährst mit einem geklauten Mofa? Was wolltest du in aller Früh an dem Löschteich? So was eben. Und diese Scheiße brauchte kein Mensch.
Auf der anderen Seite könnte er vielleicht helfen, ein richtig schlimmes Verbrechen ans Licht zu bringen, und der Var-Matin würde sein Bild drucken. Der Junge zog wieder Jeans und Hemd an und packte sein Angelzeug zusammen. Vor allem erst mal weg hier, sonst würden sie ihn am Ende noch mit der ganzen Scheiße in Verbindung bringen. Er würde zurück nach Pierrefeu fahren und nachdenken, irgendetwas würde ihm schon einfallen.
59. Kapitel
Die Kirche Saint-Trophyme in Bormes-les-Mimosas war gut besucht. Der Pfarrer hielt die Sonntagsmesse. Leon saß in der ersten Reihe. Nicht, dass er besonders fromm gewesen wäre, und als Frankfurter war er evangelisch aufgewachsen, genauso wie sein Vater, was seine katholische Mutter immer gestört hatte. Es war nicht das Gebet, das ihn bereits um neun Uhr morgens in die kleine provenzalische Kirche aus dem 18. Jahrhundert gelockt hatte, sondern Alexandre Lavalette. Schließlich hatte er dem Notar versprochen, sich seinen Chor in der Kirche anzuhören.
Und Leon musste zugeben, dass die Stimmen den Bau mit eindrucksvollen Klängen erfüllten, als die fünfzehn Frauen und Männer das „Kyrie eleison“aus Bachs h-Moll-Messe anstimmten. Nach dem gemeinsamen Vaterunser und nachdem der Priester den Segen gesprochen hatte, reichten sich die Gemeindemitglieder zu Leons Verwunderung die Hände und wünschten sich einen gesegneten Sonntag. Auf dem kleinen Platz vor der Kirche, unter einer gewaltigen Bougainvillea, begrüßte Leon schließlich Maître Lavalette und informierte ihn, dass er im Archiv von Pierrefeu fündig geworden war. Der Notar schien überrascht. Schließlich hatte Leons Tante Jahre vergeblich nach einem Nachweis gesucht.
„Sind Sie sicher, dass die Karte auch wirklich Le Lézard verzeichnet?“, fragte der Notar skeptisch.
„Sie klingen fast so, als wäre Ihnen das nicht recht“, sagte Leon amüsiert. „Aber ich bitte Sie. Ich möchte Sie nur vor falschen Hoffnungen bewahren“, antwortete der Notar. „Aber wenn die Karte wirklich zeigt, was Sie sagen, dann wäre das mit Sicherheit Beweis genug. Dann können Sie den Schenkungsvertrag unterschreiben, und ich beglaubige ihn. Warum kommen Sie nicht gleich morgen in meine Kanzlei?“
(Fortsetzung folgt)