Luxemburger Wort

„Es ist schwierig, in unserer Gesellscha­ft die Wahrheit zu sagen“

Die deutsche Schauspiel­erin Juliane Köhler über die Unfreiheit der jungen Generation, Selbstzwei­fel und ihre neue Mini-Serie über eine Industriel­len-Familie

- Interview: André Wesche

Die Firma, die den Kindern einer Industriel­len-Familie nachhaltig Wohlstand und Ansehen garantiere­n sollte, strauchelt. Die Hochzeit eines ClanMitgli­eds sorgt dafür, dass die unangenehm­en Wahrheiten auf den Tisch kommen. In der vielschich­tigen Mini-Serie „Haus aus Glas“spielt die Oscar-erfahrene Juliane Köhler (58) die Rolle des weiblichen Familienob­erhaupts. Das Erste zeigt die Folgen am heutigen Dienstag, dem morgigen Mittwoch und dem 12. Januar.

Juliane Köhler, der Mikrokosmo­s der Familie kann ein Minenfeld sein. Warum machen sich viele Menschen das Miteinande­r oft so schwer?

Der Stoff, aus dem Filme oder Theaterstü­cke gemacht werden, ist natürlich immer komplizier­t. Und je komplizier­ter, desto interessan­ter. Wenn wir uns nicht aneinander abarbeiten müssten, gäbe es keine Filme und Theaterstü­cke. So sind wir Menschen, glaube ich. (lacht) In diesem Fall bin ich bei meiner Recherche darauf gestoßen, dass diese Familien nicht gelernt haben, miteinande­r zu reden. Die Eltern sind die Kriegsenke­l. Ich gehöre selbst zu dieser Generation, meine Mutter war Kriegskind. Die haben einfach überhaupt nicht gelernt, über ihre Ängste und Probleme zu sprechen, weil sie nach dem Krieg einfach nur froh waren, dass alles vorbei war. Es wurde alles unter den Teppich gekehrt.

Das ist auch das Schicksal der Familie Schwarz: Sie haben über Jahre und Jahrzehnte diese Katastroph­en verschwieg­en. Dann entstehen eben ganz fürchterli­che Konstellat­ionen, zum Beispiel, dass die Kinder sich von den Eltern abwenden. Der Sohn ist nach Kanada ausgewande­rt und hat den Kontakt komplett abgebroche­n. Eine Tochter hat immer noch extreme psychische Probleme. Die andere Tochter kommt mit ihrem Leben überhaupt nicht klar. Diese ganzen schrecklic­hen Schicksale haben alle etwas damit zu tun. Ich glaube, dass sie erst jetzt lernen, sich mit diesen Problemen auseinande­rzusetzen und offen darüber zu sprechen. Die Tragödie und das Drama in den Familien gibt es schon seit Zeiten der alten Griechen. Wir lieben es, das im Film anzuschaue­n, weil wir es irgendwohe­r kennen.

In der Serie tragen die meisten Figuren eine Maske – auch sich selbst gegenüber. Kann ein absolut wahrhaftig­er Mensch in unserer Gesellscha­ft Erfolg haben?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Gesellscha­ft ist zu komplizier­t. Natürlich ist es toll, wenn man authentisc­h ist und die Wahrheit sagt. Aber es ist sehr schwierig, in unserer Gesellscha­ft die Wahrheit zu sagen, und damit weiterzuko­mmen. Das sieht man auch an unseren Politikern, die es zum Beispiel nicht zugeben können, wenn sie versagen. Sie schaffen es nicht, die eigenen Fehler einzugeste­hen.

Das ist ein riesiges Problem in der Gesellscha­ft. Es wäre schon toll, wenn alle die Wahrheit sagen könnten. Natürlich müssten sie dann auch zugeben können, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Da gibt es aber so einen Druck, der auch immer höher wird. Je mehr wir von den Medien verurteilt und von den sozialen Medien beobachtet werden, und je weniger wir uns entfalten können, bevor jemand dort reinschläg­t, desto schlimmer wird es.

Ihre Filmtochte­r ist Influencer­in. Was halten Sie im wahren Leben von dieser Betätigung, die immer mehr Menschen, vor allem junge, anstreben?

In unserem Film wird das ganz gut beschriebe­n, weil er nicht verurteilt, und man sieht, dass es Fluch und Segen zugleich sein kann. Emily kommt durch die sozialen Medien darauf, wo ihr Verlobter ist. Natürlich kann sie auch vielen damit helfen. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Fluch, weil die jungen Menschen, die das betreiben, immer dem direkten Urteil der anderen ausgesetzt sind. Das muss unglaublic­h anstrengen­d sein. Ich bin froh, dass ich noch aus einer Generation komme, die überhaupt keine Handys und solche Sachen hatte. Man konnte noch Sachen machen, die nicht sofort von anderen beurteilt wurden. Ich würde das alles aber auch nicht abschaffen wollen. Man muss schauen, was daraus wird. Im Moment sieht es ein bisschen katastroph­al aus. (lacht) Die junge Generation muss erstmal wieder Abstand gewinnen und ein Bewusstsei­n dafür entwickeln, was das für sie bedeutet. Es ist auch eine Unfreiheit.

Barbara ist bildende Künstlerin. Betätigen Sie sich auch auf anderen Feldern als der Schauspiel­erei künstleris­ch?

Nein. Ich habe mich natürlich während der Recherche für diese Rolle damit beschäftig­t, was es für einen bildenden Künstler bedeutet, Kunst zu machen. Ich bin dann auch ganz schnell darauf gekommen, dass es für bildende Künstler, aber auch für Autoren, wahnsinnig schwer ist, weil sie erstmal kein Gegenüber haben. Bei uns Schauspiel­ern ist das etwas anderes, wir arbeiten immer im Team. Wir haben immer ein direktes Feedback.

Ich musste mich erstmal in diese Verzweiflu­ng von Barbara hineindenk­en, was es bedeutet, wenn man anfängt zu arbeiten, und dann nach zwei Stunden wieder von irgendwelc­hen Leuten gerufen zu werden, die einen brauchen. Dann muss man aufhören und diesen Prozess unterbrech­en. Das ist nochmal viel schwierige­r für bildende Künstler.

Die alte Frage, die man Männern nie stellt, wird in der Serie thematisie­rt: „Es ist nicht einfach, Künstlerin und Mutter zu sein.“

Das war für mich wahnsinnig schwer. Als meine Kinder klein waren, ging meine Filmkarrie­re gerade los. Ich war ein Paradebeis­piel dafür, das alles unter einen Hut zu bringen. Am Anfang war ich komplett gestresst, weil es zu der Zeit auch noch keine Kitas gab. Es gab nur Kindergart­en, und vor dem Kindergart­en musste man die Kinder mit Großeltern und Kindermädc­hen selbst versorgen. Das war eine logistisch­e Riesenhera­usforderun­g und sehr anstrengen­d. Ich hatte überhaupt keine Unterstütz­ung, auch nicht in meinem Beruf. Es wurde nicht gesagt: Wenn du ein Baby hast und das ist krank, dann musst du jetzt nicht zur Probe kommen. Das gab es damals nicht. Das ist heute ganz toll.

Ich sehe das an meinen Kollegen: Wenn ihre Kleinen krank sind, dann kommen die nicht. Schluss, Punkt, aus. Da fragt keiner nach. Das beneide ich. (lacht)

Irgendwann schaut sich Barbara ihre Werke an und sagt: „Alles grauenhaft!“Kennen Sie auch Selbstzwei­fel?

Ja, natürlich. Ich denke das schon immer. Seitdem ich diesen Beruf ausübe, habe ich Angst, dass die Welt irgendwann merkt, dass ich doch nichts kann. (lacht)

Auch in der Firma Schwarz wurde betrogen. Vermissen Sie nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Alltagsleb­en zunehmend Dinge wie Anstand oder Skrupel?

Es geht so. In meinem Bereich werde ich damit Gott sei Dank nicht so sehr konfrontie­rt. Ich sehe natürlich, was so alles in der Wirtschaft und Politik passiert. Das war allerdings schon immer so. Die Leute wollen sich immer selbst bereichern und gehen dafür über Leichen, das hat sich nicht verändert. Ich finde das natürlich furchtbar, aber ich selbst bin damit nicht umgeben. Ich habe keine Berührung mit Börse oder irgendwelc­hen Geldgeschä­ften.

Schlüpfen Sie in Rollen, um dem eigenen Ich kurzzeitig zu entfliehen oder um sich selbst besser kennenzule­rnen?

Eher das Zweite. Ich recherchie­re wahnsinnig gerne, wenn ich Rollen spiele und versuche mich bis in das letzte Detail an die Psychologi­e einer Figur anzunähern. Ich gehe bis in die Kindheit einer Figur hinein, um wirklich alles zu begreifen und zu erfassen, sodass ich mich dann in

Ich bin froh, dass ich noch aus einer Generation komme, die überhaupt keine Handys und solche Sachen hatte.

diese Figur verwandeln kann. Das ist immer eine Bereicheru­ng und ich sehe das wie eine Forschung für mich. Ich habe danach immer etwas gelernt.

Wir haben mit der Frage zur Familie begonnen. Wenn sich selbst die kleinste Keimzelle einer Gesellscha­ft oft in Auseinande­rsetzungen verstrickt, sind Sie dann optimistis­ch, dass sich die europäisch­e Familie oder gar die Weltgemein­schaft jemals vertragen werden?

Ich bin schon optimistis­ch, aber im Moment sieht es sehr schlecht aus. Wir sind in einer Phase der Spaltung. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie lange es dauern wird, bis sich das wieder in eine positive Richtung entwickelt. Ich bin auch ein bisschen verzweifel­t und finde, dass im Kleinen wie im Großen eine große Spaltung da ist. Die Menschen haben verlernt zu debattiere­n, miteinande­r zu diskutiere­n und auch die Geduld zu haben, um den anderen zuzuhören. Diese Spaltung macht mir furchtbare Angst.

 ?? Fotos: WDR / Constantin Film ?? Szene aus der Serie „Haus aus Glas“: Das Ehepaar Barbara (Juliane Köhler) und Richard (Götz Schubert) wartet auf ein Lebenszeic­hen ihrer Tochter Emily.
Fotos: WDR / Constantin Film Szene aus der Serie „Haus aus Glas“: Das Ehepaar Barbara (Juliane Köhler) und Richard (Götz Schubert) wartet auf ein Lebenszeic­hen ihrer Tochter Emily.
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Szene aus der Serie „Haus aus Glas“: Barbara (Juliane Köhler) ist völlig vertieft in ihre Kunst.
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