„Es ist schwierig, in unserer Gesellschaft die Wahrheit zu sagen“
Die deutsche Schauspielerin Juliane Köhler über die Unfreiheit der jungen Generation, Selbstzweifel und ihre neue Mini-Serie über eine Industriellen-Familie
Die Firma, die den Kindern einer Industriellen-Familie nachhaltig Wohlstand und Ansehen garantieren sollte, strauchelt. Die Hochzeit eines ClanMitglieds sorgt dafür, dass die unangenehmen Wahrheiten auf den Tisch kommen. In der vielschichtigen Mini-Serie „Haus aus Glas“spielt die Oscar-erfahrene Juliane Köhler (58) die Rolle des weiblichen Familienoberhaupts. Das Erste zeigt die Folgen am heutigen Dienstag, dem morgigen Mittwoch und dem 12. Januar.
Juliane Köhler, der Mikrokosmos der Familie kann ein Minenfeld sein. Warum machen sich viele Menschen das Miteinander oft so schwer?
Der Stoff, aus dem Filme oder Theaterstücke gemacht werden, ist natürlich immer kompliziert. Und je komplizierter, desto interessanter. Wenn wir uns nicht aneinander abarbeiten müssten, gäbe es keine Filme und Theaterstücke. So sind wir Menschen, glaube ich. (lacht) In diesem Fall bin ich bei meiner Recherche darauf gestoßen, dass diese Familien nicht gelernt haben, miteinander zu reden. Die Eltern sind die Kriegsenkel. Ich gehöre selbst zu dieser Generation, meine Mutter war Kriegskind. Die haben einfach überhaupt nicht gelernt, über ihre Ängste und Probleme zu sprechen, weil sie nach dem Krieg einfach nur froh waren, dass alles vorbei war. Es wurde alles unter den Teppich gekehrt.
Das ist auch das Schicksal der Familie Schwarz: Sie haben über Jahre und Jahrzehnte diese Katastrophen verschwiegen. Dann entstehen eben ganz fürchterliche Konstellationen, zum Beispiel, dass die Kinder sich von den Eltern abwenden. Der Sohn ist nach Kanada ausgewandert und hat den Kontakt komplett abgebrochen. Eine Tochter hat immer noch extreme psychische Probleme. Die andere Tochter kommt mit ihrem Leben überhaupt nicht klar. Diese ganzen schrecklichen Schicksale haben alle etwas damit zu tun. Ich glaube, dass sie erst jetzt lernen, sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen und offen darüber zu sprechen. Die Tragödie und das Drama in den Familien gibt es schon seit Zeiten der alten Griechen. Wir lieben es, das im Film anzuschauen, weil wir es irgendwoher kennen.
In der Serie tragen die meisten Figuren eine Maske – auch sich selbst gegenüber. Kann ein absolut wahrhaftiger Mensch in unserer Gesellschaft Erfolg haben?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Gesellschaft ist zu kompliziert. Natürlich ist es toll, wenn man authentisch ist und die Wahrheit sagt. Aber es ist sehr schwierig, in unserer Gesellschaft die Wahrheit zu sagen, und damit weiterzukommen. Das sieht man auch an unseren Politikern, die es zum Beispiel nicht zugeben können, wenn sie versagen. Sie schaffen es nicht, die eigenen Fehler einzugestehen.
Das ist ein riesiges Problem in der Gesellschaft. Es wäre schon toll, wenn alle die Wahrheit sagen könnten. Natürlich müssten sie dann auch zugeben können, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Da gibt es aber so einen Druck, der auch immer höher wird. Je mehr wir von den Medien verurteilt und von den sozialen Medien beobachtet werden, und je weniger wir uns entfalten können, bevor jemand dort reinschlägt, desto schlimmer wird es.
Ihre Filmtochter ist Influencerin. Was halten Sie im wahren Leben von dieser Betätigung, die immer mehr Menschen, vor allem junge, anstreben?
In unserem Film wird das ganz gut beschrieben, weil er nicht verurteilt, und man sieht, dass es Fluch und Segen zugleich sein kann. Emily kommt durch die sozialen Medien darauf, wo ihr Verlobter ist. Natürlich kann sie auch vielen damit helfen. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Fluch, weil die jungen Menschen, die das betreiben, immer dem direkten Urteil der anderen ausgesetzt sind. Das muss unglaublich anstrengend sein. Ich bin froh, dass ich noch aus einer Generation komme, die überhaupt keine Handys und solche Sachen hatte. Man konnte noch Sachen machen, die nicht sofort von anderen beurteilt wurden. Ich würde das alles aber auch nicht abschaffen wollen. Man muss schauen, was daraus wird. Im Moment sieht es ein bisschen katastrophal aus. (lacht) Die junge Generation muss erstmal wieder Abstand gewinnen und ein Bewusstsein dafür entwickeln, was das für sie bedeutet. Es ist auch eine Unfreiheit.
Barbara ist bildende Künstlerin. Betätigen Sie sich auch auf anderen Feldern als der Schauspielerei künstlerisch?
Nein. Ich habe mich natürlich während der Recherche für diese Rolle damit beschäftigt, was es für einen bildenden Künstler bedeutet, Kunst zu machen. Ich bin dann auch ganz schnell darauf gekommen, dass es für bildende Künstler, aber auch für Autoren, wahnsinnig schwer ist, weil sie erstmal kein Gegenüber haben. Bei uns Schauspielern ist das etwas anderes, wir arbeiten immer im Team. Wir haben immer ein direktes Feedback.
Ich musste mich erstmal in diese Verzweiflung von Barbara hineindenken, was es bedeutet, wenn man anfängt zu arbeiten, und dann nach zwei Stunden wieder von irgendwelchen Leuten gerufen zu werden, die einen brauchen. Dann muss man aufhören und diesen Prozess unterbrechen. Das ist nochmal viel schwieriger für bildende Künstler.
Die alte Frage, die man Männern nie stellt, wird in der Serie thematisiert: „Es ist nicht einfach, Künstlerin und Mutter zu sein.“
Das war für mich wahnsinnig schwer. Als meine Kinder klein waren, ging meine Filmkarriere gerade los. Ich war ein Paradebeispiel dafür, das alles unter einen Hut zu bringen. Am Anfang war ich komplett gestresst, weil es zu der Zeit auch noch keine Kitas gab. Es gab nur Kindergarten, und vor dem Kindergarten musste man die Kinder mit Großeltern und Kindermädchen selbst versorgen. Das war eine logistische Riesenherausforderung und sehr anstrengend. Ich hatte überhaupt keine Unterstützung, auch nicht in meinem Beruf. Es wurde nicht gesagt: Wenn du ein Baby hast und das ist krank, dann musst du jetzt nicht zur Probe kommen. Das gab es damals nicht. Das ist heute ganz toll.
Ich sehe das an meinen Kollegen: Wenn ihre Kleinen krank sind, dann kommen die nicht. Schluss, Punkt, aus. Da fragt keiner nach. Das beneide ich. (lacht)
Irgendwann schaut sich Barbara ihre Werke an und sagt: „Alles grauenhaft!“Kennen Sie auch Selbstzweifel?
Ja, natürlich. Ich denke das schon immer. Seitdem ich diesen Beruf ausübe, habe ich Angst, dass die Welt irgendwann merkt, dass ich doch nichts kann. (lacht)
Auch in der Firma Schwarz wurde betrogen. Vermissen Sie nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Alltagsleben zunehmend Dinge wie Anstand oder Skrupel?
Es geht so. In meinem Bereich werde ich damit Gott sei Dank nicht so sehr konfrontiert. Ich sehe natürlich, was so alles in der Wirtschaft und Politik passiert. Das war allerdings schon immer so. Die Leute wollen sich immer selbst bereichern und gehen dafür über Leichen, das hat sich nicht verändert. Ich finde das natürlich furchtbar, aber ich selbst bin damit nicht umgeben. Ich habe keine Berührung mit Börse oder irgendwelchen Geldgeschäften.
Schlüpfen Sie in Rollen, um dem eigenen Ich kurzzeitig zu entfliehen oder um sich selbst besser kennenzulernen?
Eher das Zweite. Ich recherchiere wahnsinnig gerne, wenn ich Rollen spiele und versuche mich bis in das letzte Detail an die Psychologie einer Figur anzunähern. Ich gehe bis in die Kindheit einer Figur hinein, um wirklich alles zu begreifen und zu erfassen, sodass ich mich dann in
Ich bin froh, dass ich noch aus einer Generation komme, die überhaupt keine Handys und solche Sachen hatte.
diese Figur verwandeln kann. Das ist immer eine Bereicherung und ich sehe das wie eine Forschung für mich. Ich habe danach immer etwas gelernt.
Wir haben mit der Frage zur Familie begonnen. Wenn sich selbst die kleinste Keimzelle einer Gesellschaft oft in Auseinandersetzungen verstrickt, sind Sie dann optimistisch, dass sich die europäische Familie oder gar die Weltgemeinschaft jemals vertragen werden?
Ich bin schon optimistisch, aber im Moment sieht es sehr schlecht aus. Wir sind in einer Phase der Spaltung. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie lange es dauern wird, bis sich das wieder in eine positive Richtung entwickelt. Ich bin auch ein bisschen verzweifelt und finde, dass im Kleinen wie im Großen eine große Spaltung da ist. Die Menschen haben verlernt zu debattieren, miteinander zu diskutieren und auch die Geduld zu haben, um den anderen zuzuhören. Diese Spaltung macht mir furchtbare Angst.