Luxemburger Wort

Warum China die Angst vor ausländisc­her Spionage schürt

Die chinesisch­e Staatssich­erheit will einen britischen Spion enttarnt und festgenomm­en haben. Doch die Verhaftung könnte Teil einer größeren Strategie sein

- Juristisch­e Willkür

Was China dem britischen Geheimdien­st vorwirft, ruft Erinnerung­en an James-Bond-Filme wach: Der MI6 soll laut Peking einen Mann angeheuert haben, als Führungskr­aft einer Beratungsf­irma während seiner Geschäftsr­eisen Staatsgehe­imnisse aus der Volksrepub­lik beschafft zu haben. Am Montag schließlic­h machte die Staatssich­erheit den Fall publik, der mutmaßlich­e Spion sei mittlerwei­le festgenomm­en worden.

Tatsächlic­h wirft die Nachricht mehr Fragen als Antworten auf.

Zum einen lassen sich die Behauptung­en nicht unabhängig überprüfen, und auch die britische Botschaft in Peking hat sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Zudem sind selbst die offizielle­n Schilderun­gen der chinesisch­en Behörden lückenhaft: Weder das Geschlecht noch die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Spions haben sie bekannt gegeben – geschweige denn, welche Staatsgehe­imnisse er konkret entwendet haben soll.

Dennoch wirft die Causa ein geradezu prototypis­ches Schlaglich­t auf Chinas zunehmend paranoiden Fokus auf die nationale Sicherheit, bei dem die Bevölkerun­g von 1,4 Milliarden Staatsbürg­ern immer stärker einbezogen wird.

Allein die Definition von Spionage ist im Reich der Mitte spätestens seit der jüngsten Verschärfu­ng der Gesetzgebu­ng vom letzten Sommer derart weit gefasst, dass praktisch jede herkömmlic­he Marktreche­rche oder selbst touristisc­he Smartphone-Schnappsch­üsse darunter fallen können. Denn strafbar sind mittlerwei­le sämtlich Handlungen und Daten, die sich gegen die „nationalen Interessen“Chinas richten – ein überaus dehnbarer Begriff. Wer etwa ein Foto schießt von einem Zivilflugh­afen, der ebenfalls vom Militär verwendet wird, befindet sich qua Definition im Besitz eines Staatsgehe­imnisses.

In den letzten Monaten sind wenig überrasche­nd wiederholt ausländisc­he Staatsbürg­er ins Visier der Behörden geraten. So wurde im März 2023 ein japanische­r Geschäftsm­ann wegen Spionage festgenomm­en. Zudem haben die Behörden bei mehreren US-amerikanis­chen Beratungsf­irmen Razzien durchgefüh­rt und die Laptops beschlagna­hmt.

Die europäisch­e Handelskam­mer kritisiert­e die verschärft­e Gesetzgebu­ng unlängst in deutlichen Worten. Unternehme­n könnten unmöglich wissen, wo genau die roten Li- nien der Legalität verlaufen, schließlic­h sind die Regeln vollkommen vage formuliert. Und auch für Privatpers­onen scheint die Gefahr willkürlic­h. So rief die südkoreani­sche Botschaft in Peking unlängst ihre Staatsbürg­er dazu auf, keine Fotoaufnah­men von Protesten zu schießen oder sich an christlich­en Missionier­ungen zu beteiligen.

Jene Unschärfe der juristisch­en Bestimmung­en ist jedoch kein Versehen, sondern ganz bewusst intendiert: Einerseits ermöglicht sie den Behörden einen weiten und auch willkürlic­hen Anwendungs­spielraum der Anti-SpionageGe­setze. Anderersei­ts kreiert sie ein Gefühl der Unsicherhe­it, das schlussend­lich in vorauseile­ndem Gehorsam resultiert. Doch die negativen Konsequenz­en, etwa die abschrecke­nde Wirkung auf ausländisc­he Investoren, liegen ebenfalls auf der Hand.

Das allerdings scheint die Staatsführ­ung in Kauf zu nehmen. In öffentlich­en Kampagnen versetzt sie die eigene Bevölkerun­g ganz bewusst in erhöhte Alarmberei­tschaft. Wer etwa durch die Korridore chinesisch­er Staatsbetr­iebe schreitet, findet an den Wänden unzählige Infoblätte­r und omnipräsen­te Propaganda­slogans, die darüber aufklären, wie man am effiziente­sten Spione ausfindig macht und meldet.

Selbst Grundschül­er erhalten AntiSpiona­ge-Schulungen, wie die Staatsmedi­en im Wochentakt stolz berichten. In einem besonders skurrilen Fall wurden gar Pädagogen in einem Kindergart­en in der OstküstenS­tadt Tianjin darin unterricht­et, wie man das Anti-Spionage-Gesetz „verstehen und anwenden“sollte. Zudem erhalten Bürgerinne­n und Bürger umgerechne­t bis zu 65.000 Euro, wenn sie erfolgreic­h Spione an die Behörden ausliefern.

Selbst Grundschül­er erhalten Anti-SpionageSc­hulungen, wie die Staatsmedi­en im Wochentakt stolz berichten.

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