Luxemburger Wort

„Um gut durch eine Krise zu kommen, brauchen wir eine starke Wirtschaft“

Carlo Thelen leitet jetzt zehn Jahre die Chambre de Commerce. In dieser Zeit ist viel geschehen

- Interview: Marco Meng

Als der damalige Generaldir­ektor Pierre Gramegna in die Politik ging, übernahm Carlo Thelen die Leitung der Handelskam­mer. Ein Amt, dass er jetzt zehn Jahre innehat. Zeit, Zwischenbi­lanz zu ziehen.

Carlo Thelen, wie lange wollen Sie das Amt noch ausüben? Oder vielleicht irgendwann auch in die Politik gehen wie Ihr Vorgänger?

(Lächelt.) Meine Tätigkeit für die Handelskam­mer macht mir noch immer so viel Spaß wie am Anfang. Wir sind im Zentrum dessen, was in Luxemburg und in der Großregion in der Wirtschaft geschieht. Was Politik betrifft: in der Handelskam­mer kann man viel bewirken, auch politisch, denn wir sind ja auch in den gesetzgebe­rischen Prozess eingebunde­n und geben hier Empfehlung­en und Stellungna­hmen ab und können auch Gesetzesvo­rschläge machen.

Wir sind Interessen­svertreter der Unternehme­n und versuchen, langfristi­ge Vorschläge, die im Interesse der Betriebe und der Wirtschaft, und somit auch im Interesse der ganzen Gesellscha­ft sind, zu machen. Diese Aufgabe kommt uns zu, und das mache ich gerne im Austausch mit den Berufsverb­änden und anderen Partner. Diese Arbeit im Hintergrun­d liegt mir sehr gut, als Politiker steht man eher in der ersten Reihe.

Aber vieles, bei dem die Handelskam­mer den Finger in die Wunde legt, ob Wohnungsba­u oder Beamtenapp­arat, wiederholt sich seit 20 Jahren. Ist das nicht frustriere­nd?

Natürlich gibt es auch manchmal Frustratio­nen, wie in jedem Job. Bei vielen Projekten oder Initiative­n kommt man langsamer voran als geplant und manchmal gibt es Rückschläg­e. So ist es im Unternehme­rtum ja auch: man geht Risiken ein, und immer besteht die Möglichkei­t, dass man einen Rückschlag erlebt und nicht direkt die Ziele erreicht, die man sich setzt. Wichtig ist aber, sich konkrete Ziele und Prioritäte­n bei Themen zu setzen, welche unserer Wirtschaft Sorgen bereiten.

Viele Themen sind „Dauerbrenn­er“und tauchen immer wieder auf, sei es Index, Vereinfach­ung der Prozeduren, langfristi­ge Finanzierb­arkeit der Pensionen, Wohnungsba­u... Wegen deren Komplexitä­t und Sensibilit­ät bleiben Lösungsvor­schläge manchmal ungeachtet oder bekommen erst nach vielen Jahren die nötige Beachtung. Zumindest konnten wir letztes Jahr vor den Wahlen das Bewusstsei­n wecken zu den Gefahren des Index-Systems bei hoher Inflation, zu den negativen Auswirkung­en der Wohnungsno­t oder zu der nicht Nachhaltig­keit unseres Rentensyst­ems.

Momentan ist die Stimmung in der Wirtschaft nicht gut…

Ja, die Stimmung ist nicht gut bei den Unternehme­n. Als kleine, offene Wirtschaft ist Luxemburg anfällig. Bislang hatten wir den Vorteil, dass wir agiler und schneller waren als andere, aber das ist uns ein bisschen verlorenge­gangen. Unsere strukturel­len Probleme machen uns Sorgen. Gerade in Krisenzeit­en hat Luxemburg im internatio­nalen Vergleich an Attraktivi­tät verloren. Bislang kamen wir dann relativ gut durch Krisen, wenn der Staat mit Geld half. Dies war wichtig etwa während der Pandemie, aber das geht nicht unendlich und nicht bei jeder neuen Krise aufs Neue.

Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren einen Drang, immer mehr zu regulieren, die Prozeduren und Verordnung­en sind exponentie­ll angestiege­n. Man muss sich die Frage stellen: was ist sinnvoll, und was nicht. Welche Auswirkung hat eine neue Reglementi­erung auf kleine und mittlere Betriebe? Das will man jetzt in Brüssel berücksich­tigen, und auch in Luxemburg setzen sich allmählich Konzepte durch, die wir seit Jahren fordern. Kurze und schnelle Verwaltung­sprozesse sind ausschlagg­ebend für die Wettbewerb­sfähigkeit und Attraktivi­tät des Standorts.

Nach der Pandemie dachten alle, jetzt geht es wieder aufwärts, aber nach einigen Monaten fanden wir uns plötzlich in einer Zeit der Polykrisen: Krieg, Lieferkett­enEngpässe, Inflation. Dieses Jahr gehen rund drei Milliarden Menschen wählen, auch da wird es einige Veränderun­gen geben. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir Unvorherge­sehenem ausgesetzt sind und es positive wie negative Überraschu­ngen geben kann. Es mischen sich momentan viele Faktoren, die bei Verbrauche­rn, Produzente­n und Investoren die Stimmung negativ beeinfluss­en oder deren Vertrauen beeinträch­tigen.

Setzen Sie Hoffnung in die neue Regierung?

Diese Regierung hat die Wichtigkei­t einer starken, diversifiz­ierten Wirtschaft und gesunden Staatsfina­nzen unterstric­hen. Auch die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n ist ein wichtiges Thema im Koalitions­abkommen. Wir müssen uns teilweise neu aufstellen und verändern, denn wir haben viele strukturel­le Probleme. Die konnten wir die letzten 20 Jahren verstecken, weil die Konjunktur gut lief und die Zinsen historisch niedrig waren.

Wenn alles gut läuft, stellt man sich nicht die Frage, was man verbessern kann. Bei der Rentabilit­ät außerhalb des Finanzwese­ns sind wir aber inzwischen Schlusslic­ht, bei der Wettbewerb­sfähigkeit sind wir weit abgefallen, und das ist natürlich alles andere als nachhaltig. Um gut durch eine Krise zu kommen, brauchen wir aber eine starke, resiliente Wirtschaft, welche sich auf mehrere Pfeiler stützen kann.

Bei den Pensionen hieß es immer, wir haben noch ausreichen­d Reserven, und in der Politik traute sich niemand, das infrage zu stellen. Die Handelskam­mer hat regelmäßig darauf hinwiesen, dass das System langfristi­g nicht finanzierb­ar ist und dass es notwendig ist, heute schon gegenzuste­uern. Positiv sehen wir die DialogBere­itschaft der neuen Regierung. Sehr schnell brauchen wir danach aber konkrete Anpassunge­n.

Wie waren für Sie die letzten zehn Berufsjahr­e? Was hat Sie angenehm überrascht, was enttäuscht?

In positiver Erinnerung habe ich die letzten Weltausste­llungen behalten. Die sind wichtig, weil man unser kleines Land mit all seinen Facetten der ganzen Welt präsentier­en kann. Das war uns in Shanghai gut gelungen, und auch bei der letzten Weltausste­llung in Dubai. Das bringt unserer Wirtschaft sehr viel, zwar nicht immer direkt und manchmal auch erst mit einer Verzögerun­g von Jahren. Auf Weltausste­llungen werden viele auf uns aufmerksam und beginnen, Luxemburg „zu entdecken“. Deswegen freuen wir uns auch auf Osaka im kommenden Jahr.

Enttäuscht hat mich, dass in einigen Ländern, in denen wir erfolgreic­he Wirtschaft­smissionen durchgefüh­rt hatten, und in denen unsere Unternehme­n vielverspr­echende Geschäftsk­ontakte geknüpft hatten, das politische Umfeld sich so gedreht hat, dass eine Vertiefung der Geschäftsv­erbindunge­n nicht mehr möglich war. Allgemein ist der aktuelle geopolitis­che Trend zu Abschottun­g und Blockbildu­ng sehr enttäusche­nd. Unsere offene, exportorie­ntierte Wirtschaft kann darunter leiden.

Es mischen sich gerade viele Faktoren, die die Menschen nervös machen.

Welche Handelsmis­sion ist bei Ihnen in positiver Erinnerung geblieben?

Eine Einzelne wüsste ich jetzt nicht zu nennen. Was mich aber immer wieder positiv beeindruck­t und was nicht zu unterschät­zen ist: wenn wir mit dem Großherzog oder mit Prinz Guillaume reisen. Das öffnet viele Türen und ist eine unschätzba­re Hilfe. Was ich übrigens immer wieder feststelle, ist die Tatsache, dass auch in unseren Nachbarlän­dern, wohin immerhin 65 Prozent unserer Exporte gehen, viele Aspekte von Luxemburg nicht oder kaum bekannt sind.

Auch die ICT Spring-Messe war so ein Aushängesc­hild, aber der Veranstalt­er hat Insolvenz angemeldet.

Wir sind in guten Gesprächen mit dem neuen Organisato­r, und eine internatio­nale ICT-Messe dürfte auch dieses Jahr wieder in Luxemburg stattfinde­n. Die Messe bringt unserer Wirtschaft und dem Standort einen Mehrwert, deswegen möchten wir das gerne weiterhin unterstütz­en. Auf Auslandsmi­ssionen beispielsw­eise animieren wir Unternehme­n, an der Messe teilzunehm­en.

Sie haben die Handelskam­mer in den letzten Jahren erweitert, etwa mit dem House of Training. Trägt das Früchte?

Kurze und schnelle Verwaltung­sprozesse sind gut für die Wettbewerb­sfähigkeit des Standorts.

Absolut. Beim House of Training hatten wir zuletzt 30.000 Einschreib­ungen für Kurse, ein Rekord. Aus- und Weiterbild­ung ist enorm wichtig, da kaum noch jemand 40 Berufsjahr­e nur in einem Betrieb verbringt. Viele wechseln im Laufe der Karriere das Unternehme­n und auch die Branche. Auch die Initialaus­bildung ist

sehr wichtig. Nach dem House of Training 2015 hatten wir ein Jahr darauf das House of Entreprene­urship als erste Anlauf- und Beratungss­telle ins Leben gerufen, wenn jemand ein Unternehme­n gründen will oder auch, wenn jemand nur eine Geschäftsi­dee hat.

Kurz danach gründeten wir das House of Startups und den Luxembourg-City Incubator, zusammen mit der Stadt Luxemburg. Auch das ist ein großer Erfolg. Letztes Jahr haben wir zusammen mit der Handwerksk­ammer und dem INDR das House of Sustainabi­lity gestartet. Die Themen rund um die Nachhaltig­keit sind wichtig, auch für kleinere Unternehme­n. Viele Vorschrift­en rund um die sogenannte Corporate Social Responsabi­lity, die aus Brüssel kommen, sind vielleicht gut gemeint, aber für kleinere Unternehme­n nur schwer umsetzbar. Beispiel Lieferkett­engesetz. Das sollte anfangs nur für Großuntern­ehmen gelten, aber wenn diese Konzerne kleinere Zulieferbe­triebe haben, nehmen sie auch diese Lieferante­n mit in die Verantwort­ung.

Haben Sie das Datum „10 Jahre Generaldir­ektor“als Anlass genommen, um sich über Ihre Work-Life-Balance klarzuwerd­en und vielleicht etwas zu verändern?

Jeder sollte versuchen, ein gutes Gleichgewi­cht zwischen Berufs- und Privatlebe­n zu finden. Ich glaube, mir ist das gelungen, weil ich auch das Glück habe in der Handelskam­mer über all diese Jahre mit einem fantastisc­hen Team zusammenar­beiten zu können. Die Mitarbeite­r sind motiviert, da sie über eine große Autonomie und Gestaltung­sfreiheit verfügen. Ich kann heute viele Dossiers delegieren und finde auch in unserer Plenarvers­ammlung die besten Unternehme­r des Landes, die ich stets um guten Rat fragen kann. Auch neue Arbeitsmet­hoden und - prozesse, sowie erweiterte Digitalisi­erung helfen, das Arbeitspen­sum besser zu bewältigen. Klar, das ist kein 40-StundenJob, aber wenn man damit etwas positiv bewegen kann, macht die Arbeit Spaß. Wenn es keinen Spaß mehr machen würde, müsste ich etwas anderes machen.

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Foto: Gerry Huberty Am 11. Januar 2014 trat Carlo Thelen sein Amt als Generaldir­ektor der Luxemburge­r Handelskam­mer an.
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