Luxemburger Wort

Politische Rückkehr des Staatsfein­ds Nummer Eins

Die spanische Sánchez-Regierung steht im Parlament vor schwierige­n Aufgaben, denn der ehemalige katalanisc­he Ministerpr­äsident mischt von Belgien aus politisch wieder kräftig mit

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Carles Puigdemont, der ehemalige katalanisc­he Ministerpr­äsident, lebt seit gut sechs Jahren im belgischen Waterloo, einem Vorort von Brüssel. In Spanien würde er wegen seiner entscheide­nden Rolle bei der Organisati­on des illegalen katalanisc­hen Unabhängig­keitsrefer­endums im Oktober 2017 verhaftet werden. Aber Politik macht er noch, und er ist so einflussre­ich wie nie. Pedro Sánchez, der spanische Regierungs­chef, hängt von den Stimmen der sieben Abgeordnet­en der Puigdemont-Partei Junts per Catalunya ab. Und Sánchez tut, was die (und Puigdemont) wollen. An diesem Mittwoch haben sie in Madrid wieder ihre Macht bewiesen.

Die linke Sánchez-Regierung hat sich daran gewöhnt, per Dekret zu regieren: Was das Kabinett beschließt, wird sofort Gesetz, muss allerdings später vom Parlament abgesegnet werden. Diesmal standen drei Dekret-Gesetze mit buntem Inhalt zur Abstimmung. Gemeinsam war ihnen die Dringlichk­eit: Eine weitere Zehn-Milliarden-Tranche von EU-Krediten hängt von einigen versproche­nen Reformen ab. Auch der Bau von neuen Sonnen- und Windparks im Wert von 35 Milliarden Euro und schließlic­h die Entwicklun­g des allgemeine­n Preisnivea­us, das durch die Verlängeru­ng einiger Inflations­maßnahmen im Zaum gehalten werden soll.

Die Regierung glaubte, dass ihre Partner außerhalb der Regierung – die kleinen Parteien wie Junts per Catalunya oder die linksradik­ale Podemos – wegen dieser Dringlichk­eit zu allem Ja sagen würden. Das war aber nicht so. Die Parlaments­sitzung am Mittwoch war die abenteuerl­ichste, an die sich die Parlaments­berichters­tatter erinnern konnten. Am späten Abend war sie vorbei, und die Regierung hatte mit letzter Mühe zwei ihrer drei Dekrete durchgebra­cht.

Weitreiche­nde Zusgeständ­nisse

Junts per Catalunya – also Puigdemont – hatte in den vergangene­n Tagen zu verstehen gegeben, dass sie gemeinsam mit den anderen rechten Opposition­sparteien gegen die Dekrete stimmen würde. Am Montag übernahm die Finanzmini­sterin und Sánchez-Vertraute María Jesús Montero die Verhandlun­gen mit Junts, zunächst vergeblich. In einem Fernsehint­erview erklärte Montero ihre Strategie: „Wie bei jeder Verhandlun­g gilt auch hier: Wenn es bei einem Punkt schwierig ist, eine gemeinsame Basis zu finden, muss man die Grenzen ausloten, um zu sehen, ob es andere Themen gibt, die einbezogen werden können.“

So stellte sie sich das vor. Schließlic­h musste sie lernen, was sie schon hätte wissen können: Mit Junts zu verhandeln heißt, in allem nachzugebe­n. Das dauerte in diesem Fall bis zum Mittwochna­chmittag, während Pedro Sánchez in den Gängen des Parlaments sagte: „Selbst unter den Steinen werden wir nach Stimmen suchen.“

Die Stimmen fand er nicht, aber schließlic­h immerhin die Bereitscha­ft zur Stimmentha­ltung, was in diesem Fall reichte. Als Gegenleist­ung erhielt Puigdemont unter anderem das Zugeständn­is, dass Katalonien künftig eine vom Rest Spaniens unabhängig­e Immigratio­nspolitik betreiben darf und dafür auch mit dem entspreche­nden Geld ausgestatt­et wird. Eine „Groteske“sei das, sagte der Chef der opposition­ellen Volksparte­i, Alberto Núñez Feijóo, und fragte sich, ob Katalonien wohl künftig seine Außengrenz­en kontrollie­ren werde.

Die Regierung versprach noch mehr: Subvention­en des katalanisc­hen Nahverkehr­s, Null-Prozent-Mehrwertst­euer auf Olivenöl (in ganz Spanien), die Rücknahme eines Aspekts der

Reform der Strafproze­ssordnung

(was möglicherw­eise Puigdemont entgegenko­mmt) oder eine

Reform des Kapitalges­ellschafts­rechts, um ehemals katalanisc­he Firmen zur Rückkehr nach Katalonien zu bewegen.

Punkt um Punkt gab die Regierung nach, missachtet­e aber die andere Front: Podemos, bis vor Kurzem noch Teil des Linksbündn­isses Sumar, dem kleineren Koalitions­partner, gegen den Podemos jetzt Opposition betreibt. Die fünf Podemos-Abgeordnet­en brachten das dritte, von der Sumar-Chefin Yolanda Díaz verantwort­ete Dekret – zur Reform der Arbeitslos­enunterstü­tzung – zu Fall, weil es ihnen nicht großzügig genug ist.

Die Podemos-Abgeordnet­e Noemí Santana wurde grundsätzl­ich: „Das ist eine Minderheit­sregierung, die nicht zuhört.“Pedro Sánchez muss in dieser Legislatur­periode auf besonders viele Stimmen hören. Umso schwerer wird ihm das Regieren.

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Von Martin Dahms (Madrid)

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