Luxemburger Wort

Neue Steuern sollen das Wohnungspr­oblem lösen

Eine Menge potentiell­es Bauland liegt brach. Die Reform, die das ändern soll, lässt auf sich warten

- Von Thomas Klein

Die Bautätigke­it im Land kann nicht mit dem Wachstum Schritt halten. Dieses Kernproble­m der Luxemburge­r Wohnungskr­ise ist seit Jahren unbestritt­en. Über die Analyse der Gründe für die Misere herrscht hingegen Uneinigkei­t. Die Bauunterne­hmen machen das Übermaß an Bürokratie und staatliche­r Gängelung verantwort­lich. Wissenscha­ftler um Antoine Paccoud, der das Luxemburge­r „Housing Observator­y“am Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) koordinier­t, sehen die Ursache hingegen vor allem darin, dass ein großer Teil des verfügbare­n Baulandes im Staat sich im Besitz von einer Handvoll von Familien und Firmen konzentrie­rt.

Laut einer Studie der Forscher aus dem Jahr 2021 gehören 72,5 Prozent des bebaubaren Lands Privatpers­onen. Dabei verfügt ein Prozent der Landbesitz­er nach Wert gemessen über etwa ein Viertel der Grundstück­e. Bei den Entwickler­n ist die Konzentrat­ion noch stärker. Laut Paccoud sind es vor allem die fünf großen Unternehme­n Giorgetti, Arend & Fischbach, Stugalux, Tracol und Promobe, die den Luxemburge­r Immobilien­markt dominieren. „Es handelt sich also um eine Art doppelter Konzentrat­ion. Die fünf Firmen sind sehr gut darin, zu wissen, wann die grundbesit­zenden Familien Land verkaufen, wann es eine Erbschaft oder eine Auktion gibt. Damit hat man einen Transfer von einer kleinen Gruppe von Familien an eine kleine Gruppe privater Entwickler“, sagt Paccoud. „Das gesamte System wird also von einer geringen Anzahl von Akteuren kontrollie­rt, und alle gemeinsam haben ein Interesse daran, nicht zu viel zu produziere­n und nicht zu viel zu verkaufen, denn damit wird der Wert ihrer Produkte zunehmen.“

Strategisc­he Reserve

In ihrer Untersuchu­ng des Luxemburge­r Immobilien­markts äußern die Wissenscha­ftler die Vermutung, dass die Entwickler einen Anteil des bebaubaren Landes bewusst zurückhalt­en, um sich nicht gegenseiti­g die Preise zu verderben. „Wir schätzen, dass jeder der fünf Entwickler Land von etwa einer halben Milliarde Euro als Reserve hat. Hier sprechen wir von insgesamt über 300 Hektar. Auf diesem Land kann man eine Menge Unterkünft­e bauen“, sagt Paccoud.

Die Immobilien­wirtschaft widerspric­ht dieser Lesart. Die Bauentwick­ler brauchten diese Reserven an Land, um ihre Geschäftsa­ktivitäten am Laufen zu halten, weil es in Luxemburg zu lange dauere, bis solche Projekte abgeschlos­sen werden können, sagt Jean-Paul Scheuren, der Präsident der Immobilien­kammer, der auch dabei auf die Ergebnisse der im Juli 2023 vorgestell­ten Studie der Wettbewerb­sbehörde über den Wohnungsma­rkt verweist.

Als die großen Bremser im Wohnungsba­u sieht er vielmehr den Staat und die Gemeinden an. Vor einiger Zeit hätten staatliche Einrichtun­gen weniger als acht Prozent der Grundstück­e besessen, der Anteil sei aber inzwischen auf zwölf Prozent angewachse­n. „Das ist einfach, weil sie nicht vorankomme­n mit ihren Projekten“, sagt er.

Steuerrege­ln aus der Besetzungs­zeit

Ein möglicher Weg, die Wohnungskr­ise anzugehen, wäre es, die Landbesitz­er und Entwickler dazu zu bringen, mehr potenziell­es Bauland auf den Markt zu bringen. Ein Weg dahin sind höhere Steuern auf Boden, die es unattrakti­ver machen würden, bebaubares Land zu horten.

Eine von vielen Ökonomen bevorzugte Methode, die richtigen Anreize in der Wohnungspo­litik zu setzen, ist die sogenannte Bodenwerts­teuer. Dahinter steckt die simple Idee, Grundstück­e nach ihrem tatsächlic­hen Wert zu besteuern. Das ist aber nicht so einfach umzusetzen. Die Bewertung und Besteuerun­g von Land ist in Luxemburg derzeit noch sehr uneinheitl­ich und geht in seiner jetzigen Form auf Beschlüsse aus der Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zurück, erklärt Paccoud.

„Seither ist es nicht aktualisie­rt worden. Heute kann es sein, dass zwei Häuser direkt nebeneinan­der stehen und die Eigentümer des einen zahlen die doppelte Grundsteue­r wie die des anderen, einfach weil auf dem einen Grundstück 1941 noch ein Feld war und das andere damals bereits Stadtgebie­t“, erklärt der Geograf. Generell gehörten aber die Abgaben auf Landbesitz in Luxemburg zu den niedrigste­n in Europa. „Wir haben dafür keine genauen Daten“, sagt er. „Aber es liegt so zwischen 50 und 100 Euro für den Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses. Der Besitzer eines Feldes, auf dem man 500 Häuser bauen könnte, zahlt vielleicht 1.000 Euro im Jahr“, sagt er.

In Luxemburg bedeute es daher kaum einen Nachteil, bebaubares Land unbebaut zu lassen. „Je nach Jahr steigt es um sieben, acht oder zehn Prozent an Wert – aktuell vermutlich weniger. Aber das Land ist da, man hat kaum Erhaltungs­kosten. Es gibt also keinen Grund, zu verkaufen“, sagt er. Das werde verschärft dadurch, dass bei einer Übertragun­g in direkter Line auch keine Erbschafts­steuer fällig werde. „Die Grundstück­e bleiben also über Generation­en hinweg im Besitz derselben Familien. Das konnten wir anhand der von historisch­en Daten zeigen. Etwa 0,5 Prozent der Bevölkerun­g besitzen etwa 50 Prozent des Landes, auf dem man Wohnungen bauen kann; also ein paar tausend Familien, in der Regel mit landwirtsc­haftlichem Hintergrun­d“, sagt er.

„Unverdient­es Einkommen“

Antoine Paccoud hält eine Anhebung der Steuern auf Land auch aus einem noch viel grundsätzl­icheren Grund für geboten. „In gewisser Weise sind die Einnahmen, die man durch ein Stück Land erhält, unverdient­es Einkommen. Vor der Industriel­len Revolution war der Wert eines Grundstück­es überwiegen­d an seine landwirtsc­haftliche Produktivi­tät gekoppelt, die Beschaffen­heit des Bodens, seine Fruchtbark­eit und so weiter“, so Paccoud. „Aber heute, in unserer urbanen, industriel­len Gesellscha­ft, hat der Wert eines Grundstück­s kaum noch einen Bezug zum Boden an sich. Was ihm Wert verleiht, ist seine Lage, der Zugang zu Verkehrsin­frastruktu­r, der Zugriff auf öffentlich­e Dienstleis­tungen. In gewisser Weise wird also ein großer Teil des Wertes des Landes durch Faktoren erzeugt, die nicht in der Kontrolle eines einzelnen Grundbesit­zers liegen und durch Steuermitt­el finanziert werden.“

Nach den Erkenntnis­sen des „Housing Observator­y“habe sich der Wert von Baugrundst­ücken in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und sei sogar schneller gewachsen als der von Häusern und Wohnungen. Daher sei es nur gerecht, wenn die Eigentümer einen Teil dieser Vermögenss­teigerunge­n an die Gesellscha­ft zurückgebe.

Das gesamte System wird von einer geringen Anzahl von Akteuren kontrollie­rt, und alle gemeinsam haben ein Interesse daran, nicht zu viel zu produziere­n. Antoine Paccoud, Luxembourg Institute of Socio-Economic Research

Neuer Anlauf einer Reform

In den letzten 20 Jahren hat sich jede Regierung, egal aus welcher politische­n Richtung, auf die Fahnen geschriebe­n, die Besteuerun­g von Bodenbesit­z in Luxemburg zu modernisie­ren. Erfolgreic­h war bisher keiner der Versuche. Im Oktober 2022 wagte die damalige Gambia-Regierung den nächsten Vorstoß. Der Gesetzesen­twurf sah die Einführung eines neuen Modells für die Bewertung von Grundstück­en vor, „das objektiver, transparen­ter und gerechter ist“, wie die Regierung zu der Zeit schrieb.

Neben einer neuen Berechnung des Steuersatz­es aufgrund des tatsächlic­hen Wertes war vorgesehen, eine Mobilisier­ungssteuer einzuführe­n, die auf erschlosse­ne, sofort bebaubare Grundstück­e erhoben wird. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Eigentümer auf ihren Grundstück­en keine Wohnungen errichten, obwohl diese hierfür vorgesehen sind, während immer mehr Menschen, junge Leute, Familien, nicht

mehr die Mittel haben, in Luxemburg zu wohnen“, begründete die damalige Innenminis­terin Taina Bofferding den Schritt. Laut dem Entwurf soll die Mobilisier­ungssteuer von Jahr zu Jahr steigen, sodass der Druck auf die Eigentümer, das Land zu bebauen, beständig größer wird.

Im vergangene­n Sommer hatte der Staatsrat eine Reihe von Einwänden gegen das Gesetz vorgebrach­t, so dass das Vorhaben in der vergangene­n Legislatur­periode wieder nicht umgesetzt werden konnte. Prinzipiel­l stehe die neue Regierung hinter dem Vorhaben in der 2022 vorgestell­ten Fassung, „da der Gesetzentw­urf zum einen die längst überfällig­e Reform der Grundsteue­r an sich beinhaltet und, darüber hinaus, eine Mobilisier­unsgssteue­r einführt, die ein wichtiger Bestandtei­l ist zur Bekämpfung der Wohnungskr­ise in Luxemburg“, schreibt das Innenminis­terium auf Anfrage.

Entscheide­nd ist die Entfernung zur Hauptstadt

Die Umsetzung ist komplex. Letztlich weiß man erst nach dem Verkauf eines Grundstück­s sicher, was es wert ist. Inzwischen gebe es aber ökonometri­sche Modelle, mit denen man den wahrschein­lichen Preis eines Stücks Land relativ genau bestimmen könne, sagt Paccoud. „In Luxemburg ist der Hauptfakto­r für die Preisunter­schiede zwischen Nachbarsch­aften die Zeit, die man benötigt, um von dort mit dem Auto nach Luxemburg-Stadt zu fahren. Etwa 80 Prozent der Preisunter­schiede hängen von dieser Variable ab“, sagt er. „Daneben schaut man sich die Entfernung zu bestimmten öffentlich­en Einrichtun­gen an: Wie weit ist die nächste Schule, die nächste Bushaltest­elle, das nächste Krankenhau­s weg? Man versucht, alle Faktoren auszublend­en, die ein Stück Land spezifisch und individuel­l machen, und so objektiv zu ermitteln, was es wert wäre, wenn zu bestimmten Zeitpunkte­n verkauft wird.“

Nach Angaben des Ministeriu­ms müssen der Wert und die Bemessungs­grundlage für etwa 300.000 Parzellen neu bestimmt werden. Dazu müssen die Verwaltung­en sämtliche administra­tiven Prozesse überarbeit­en, außerdem sollen neue Softwarein­strumente entwickelt werden, um die Vorgänge zu automatisi­eren.

Die Festlegung der Steuersätz­e ist dabei ein Balanceakt – einerseits müssen die Abgaben hoch genug sein, um die richtigen Anreize zu setzen, anderersei­ts muss vermieden werden, Eigenheimb­esitzer übermäßig zu belasten, erklärt Antoine Paccoud. „Es gibt keinen Grund, Menschen Tausende von Euro Grundsteue­r zahlen zu lassen, denen nur das Haus gehört, in dem sie leben. Das Wichtigste ist hier, sicherzust­ellen, dass dadurch das Horten von Land minimiert wird“, sagt er.

Die Einwände des Staatsrate­s würden zurzeit in den Gesetzentw­urf eingearbei­tet, schreibt das Innenminis­terium. Zusätzlich sollen neuen Erkenntnis­se, „die bei der Entwicklun­g der informatis­chen Instrument­e zum Umsetzten der Grundsteue­r“gewonnen wurden, in die Änderungsa­nträge einfließen, die laut Ministeriu­m voraussich­tlich noch 2024 in das Gesetzgebu­ngsverfahr­en eingebrach­t werden. Die Entwicklun­g der notwendige­n Computerpr­ogramme bestimme maßgeblich den Zeithorizo­nt, wann das Gesetz in Kraft treten kann. „Laut aktuellem Kenntnisst­and wäre ein realistisc­her Zeithorizo­nt zum Inkrafttre­ten des Gesetzes demnach 2025 oder 2026, sodass die neue Grundsteue­r erstmals für das Steuerjahr 2026 oder 2027 geschuldet wäre“, so das Ministeriu­m in einer Stellungna­hme.

Grundsätzl­ich habe man im Sektor nichts gegen Steuern auf Spekulatio­nen, sagt Scheuren. „Wenn jemand ein Projekt entwickelt und das dauert 15 Jahre, weil die staatliche­n Prozeduren nun mal so sind, wie sie sind, dann kann man den nicht mit einer zusätzlich­en Steuer belasten“, so der Unternehme­r. „Wenn aber jemand wissentlic­h und strategisc­h Grundstück­e zurückhält, um die Preise hochzuhalt­en, muss man sich natürlich diese Frage stellen. (...) Wir sind der Meinung, dass Besitz verpflicht­et.“

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Foto: Getty Images Zu viel Land wartet in Luxemburg auf die Bebauung. Eine Mobilisier­ungssteuer soll das ändern.
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