Neue Steuern sollen das Wohnungsproblem lösen
Eine Menge potentielles Bauland liegt brach. Die Reform, die das ändern soll, lässt auf sich warten
Die Bautätigkeit im Land kann nicht mit dem Wachstum Schritt halten. Dieses Kernproblem der Luxemburger Wohnungskrise ist seit Jahren unbestritten. Über die Analyse der Gründe für die Misere herrscht hingegen Uneinigkeit. Die Bauunternehmen machen das Übermaß an Bürokratie und staatlicher Gängelung verantwortlich. Wissenschaftler um Antoine Paccoud, der das Luxemburger „Housing Observatory“am Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) koordiniert, sehen die Ursache hingegen vor allem darin, dass ein großer Teil des verfügbaren Baulandes im Staat sich im Besitz von einer Handvoll von Familien und Firmen konzentriert.
Laut einer Studie der Forscher aus dem Jahr 2021 gehören 72,5 Prozent des bebaubaren Lands Privatpersonen. Dabei verfügt ein Prozent der Landbesitzer nach Wert gemessen über etwa ein Viertel der Grundstücke. Bei den Entwicklern ist die Konzentration noch stärker. Laut Paccoud sind es vor allem die fünf großen Unternehmen Giorgetti, Arend & Fischbach, Stugalux, Tracol und Promobe, die den Luxemburger Immobilienmarkt dominieren. „Es handelt sich also um eine Art doppelter Konzentration. Die fünf Firmen sind sehr gut darin, zu wissen, wann die grundbesitzenden Familien Land verkaufen, wann es eine Erbschaft oder eine Auktion gibt. Damit hat man einen Transfer von einer kleinen Gruppe von Familien an eine kleine Gruppe privater Entwickler“, sagt Paccoud. „Das gesamte System wird also von einer geringen Anzahl von Akteuren kontrolliert, und alle gemeinsam haben ein Interesse daran, nicht zu viel zu produzieren und nicht zu viel zu verkaufen, denn damit wird der Wert ihrer Produkte zunehmen.“
Strategische Reserve
In ihrer Untersuchung des Luxemburger Immobilienmarkts äußern die Wissenschaftler die Vermutung, dass die Entwickler einen Anteil des bebaubaren Landes bewusst zurückhalten, um sich nicht gegenseitig die Preise zu verderben. „Wir schätzen, dass jeder der fünf Entwickler Land von etwa einer halben Milliarde Euro als Reserve hat. Hier sprechen wir von insgesamt über 300 Hektar. Auf diesem Land kann man eine Menge Unterkünfte bauen“, sagt Paccoud.
Die Immobilienwirtschaft widerspricht dieser Lesart. Die Bauentwickler brauchten diese Reserven an Land, um ihre Geschäftsaktivitäten am Laufen zu halten, weil es in Luxemburg zu lange dauere, bis solche Projekte abgeschlossen werden können, sagt Jean-Paul Scheuren, der Präsident der Immobilienkammer, der auch dabei auf die Ergebnisse der im Juli 2023 vorgestellten Studie der Wettbewerbsbehörde über den Wohnungsmarkt verweist.
Als die großen Bremser im Wohnungsbau sieht er vielmehr den Staat und die Gemeinden an. Vor einiger Zeit hätten staatliche Einrichtungen weniger als acht Prozent der Grundstücke besessen, der Anteil sei aber inzwischen auf zwölf Prozent angewachsen. „Das ist einfach, weil sie nicht vorankommen mit ihren Projekten“, sagt er.
Steuerregeln aus der Besetzungszeit
Ein möglicher Weg, die Wohnungskrise anzugehen, wäre es, die Landbesitzer und Entwickler dazu zu bringen, mehr potenzielles Bauland auf den Markt zu bringen. Ein Weg dahin sind höhere Steuern auf Boden, die es unattraktiver machen würden, bebaubares Land zu horten.
Eine von vielen Ökonomen bevorzugte Methode, die richtigen Anreize in der Wohnungspolitik zu setzen, ist die sogenannte Bodenwertsteuer. Dahinter steckt die simple Idee, Grundstücke nach ihrem tatsächlichen Wert zu besteuern. Das ist aber nicht so einfach umzusetzen. Die Bewertung und Besteuerung von Land ist in Luxemburg derzeit noch sehr uneinheitlich und geht in seiner jetzigen Form auf Beschlüsse aus der Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zurück, erklärt Paccoud.
„Seither ist es nicht aktualisiert worden. Heute kann es sein, dass zwei Häuser direkt nebeneinander stehen und die Eigentümer des einen zahlen die doppelte Grundsteuer wie die des anderen, einfach weil auf dem einen Grundstück 1941 noch ein Feld war und das andere damals bereits Stadtgebiet“, erklärt der Geograf. Generell gehörten aber die Abgaben auf Landbesitz in Luxemburg zu den niedrigsten in Europa. „Wir haben dafür keine genauen Daten“, sagt er. „Aber es liegt so zwischen 50 und 100 Euro für den Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses. Der Besitzer eines Feldes, auf dem man 500 Häuser bauen könnte, zahlt vielleicht 1.000 Euro im Jahr“, sagt er.
In Luxemburg bedeute es daher kaum einen Nachteil, bebaubares Land unbebaut zu lassen. „Je nach Jahr steigt es um sieben, acht oder zehn Prozent an Wert – aktuell vermutlich weniger. Aber das Land ist da, man hat kaum Erhaltungskosten. Es gibt also keinen Grund, zu verkaufen“, sagt er. Das werde verschärft dadurch, dass bei einer Übertragung in direkter Line auch keine Erbschaftssteuer fällig werde. „Die Grundstücke bleiben also über Generationen hinweg im Besitz derselben Familien. Das konnten wir anhand der von historischen Daten zeigen. Etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung besitzen etwa 50 Prozent des Landes, auf dem man Wohnungen bauen kann; also ein paar tausend Familien, in der Regel mit landwirtschaftlichem Hintergrund“, sagt er.
„Unverdientes Einkommen“
Antoine Paccoud hält eine Anhebung der Steuern auf Land auch aus einem noch viel grundsätzlicheren Grund für geboten. „In gewisser Weise sind die Einnahmen, die man durch ein Stück Land erhält, unverdientes Einkommen. Vor der Industriellen Revolution war der Wert eines Grundstückes überwiegend an seine landwirtschaftliche Produktivität gekoppelt, die Beschaffenheit des Bodens, seine Fruchtbarkeit und so weiter“, so Paccoud. „Aber heute, in unserer urbanen, industriellen Gesellschaft, hat der Wert eines Grundstücks kaum noch einen Bezug zum Boden an sich. Was ihm Wert verleiht, ist seine Lage, der Zugang zu Verkehrsinfrastruktur, der Zugriff auf öffentliche Dienstleistungen. In gewisser Weise wird also ein großer Teil des Wertes des Landes durch Faktoren erzeugt, die nicht in der Kontrolle eines einzelnen Grundbesitzers liegen und durch Steuermittel finanziert werden.“
Nach den Erkenntnissen des „Housing Observatory“habe sich der Wert von Baugrundstücken in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und sei sogar schneller gewachsen als der von Häusern und Wohnungen. Daher sei es nur gerecht, wenn die Eigentümer einen Teil dieser Vermögenssteigerungen an die Gesellschaft zurückgebe.
Das gesamte System wird von einer geringen Anzahl von Akteuren kontrolliert, und alle gemeinsam haben ein Interesse daran, nicht zu viel zu produzieren. Antoine Paccoud, Luxembourg Institute of Socio-Economic Research
Neuer Anlauf einer Reform
In den letzten 20 Jahren hat sich jede Regierung, egal aus welcher politischen Richtung, auf die Fahnen geschrieben, die Besteuerung von Bodenbesitz in Luxemburg zu modernisieren. Erfolgreich war bisher keiner der Versuche. Im Oktober 2022 wagte die damalige Gambia-Regierung den nächsten Vorstoß. Der Gesetzesentwurf sah die Einführung eines neuen Modells für die Bewertung von Grundstücken vor, „das objektiver, transparenter und gerechter ist“, wie die Regierung zu der Zeit schrieb.
Neben einer neuen Berechnung des Steuersatzes aufgrund des tatsächlichen Wertes war vorgesehen, eine Mobilisierungssteuer einzuführen, die auf erschlossene, sofort bebaubare Grundstücke erhoben wird. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Eigentümer auf ihren Grundstücken keine Wohnungen errichten, obwohl diese hierfür vorgesehen sind, während immer mehr Menschen, junge Leute, Familien, nicht
mehr die Mittel haben, in Luxemburg zu wohnen“, begründete die damalige Innenministerin Taina Bofferding den Schritt. Laut dem Entwurf soll die Mobilisierungssteuer von Jahr zu Jahr steigen, sodass der Druck auf die Eigentümer, das Land zu bebauen, beständig größer wird.
Im vergangenen Sommer hatte der Staatsrat eine Reihe von Einwänden gegen das Gesetz vorgebracht, so dass das Vorhaben in der vergangenen Legislaturperiode wieder nicht umgesetzt werden konnte. Prinzipiell stehe die neue Regierung hinter dem Vorhaben in der 2022 vorgestellten Fassung, „da der Gesetzentwurf zum einen die längst überfällige Reform der Grundsteuer an sich beinhaltet und, darüber hinaus, eine Mobilisierunsgssteuer einführt, die ein wichtiger Bestandteil ist zur Bekämpfung der Wohnungskrise in Luxemburg“, schreibt das Innenministerium auf Anfrage.
Entscheidend ist die Entfernung zur Hauptstadt
Die Umsetzung ist komplex. Letztlich weiß man erst nach dem Verkauf eines Grundstücks sicher, was es wert ist. Inzwischen gebe es aber ökonometrische Modelle, mit denen man den wahrscheinlichen Preis eines Stücks Land relativ genau bestimmen könne, sagt Paccoud. „In Luxemburg ist der Hauptfaktor für die Preisunterschiede zwischen Nachbarschaften die Zeit, die man benötigt, um von dort mit dem Auto nach Luxemburg-Stadt zu fahren. Etwa 80 Prozent der Preisunterschiede hängen von dieser Variable ab“, sagt er. „Daneben schaut man sich die Entfernung zu bestimmten öffentlichen Einrichtungen an: Wie weit ist die nächste Schule, die nächste Bushaltestelle, das nächste Krankenhaus weg? Man versucht, alle Faktoren auszublenden, die ein Stück Land spezifisch und individuell machen, und so objektiv zu ermitteln, was es wert wäre, wenn zu bestimmten Zeitpunkten verkauft wird.“
Nach Angaben des Ministeriums müssen der Wert und die Bemessungsgrundlage für etwa 300.000 Parzellen neu bestimmt werden. Dazu müssen die Verwaltungen sämtliche administrativen Prozesse überarbeiten, außerdem sollen neue Softwareinstrumente entwickelt werden, um die Vorgänge zu automatisieren.
Die Festlegung der Steuersätze ist dabei ein Balanceakt – einerseits müssen die Abgaben hoch genug sein, um die richtigen Anreize zu setzen, andererseits muss vermieden werden, Eigenheimbesitzer übermäßig zu belasten, erklärt Antoine Paccoud. „Es gibt keinen Grund, Menschen Tausende von Euro Grundsteuer zahlen zu lassen, denen nur das Haus gehört, in dem sie leben. Das Wichtigste ist hier, sicherzustellen, dass dadurch das Horten von Land minimiert wird“, sagt er.
Die Einwände des Staatsrates würden zurzeit in den Gesetzentwurf eingearbeitet, schreibt das Innenministerium. Zusätzlich sollen neuen Erkenntnisse, „die bei der Entwicklung der informatischen Instrumente zum Umsetzten der Grundsteuer“gewonnen wurden, in die Änderungsanträge einfließen, die laut Ministerium voraussichtlich noch 2024 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Die Entwicklung der notwendigen Computerprogramme bestimme maßgeblich den Zeithorizont, wann das Gesetz in Kraft treten kann. „Laut aktuellem Kenntnisstand wäre ein realistischer Zeithorizont zum Inkrafttreten des Gesetzes demnach 2025 oder 2026, sodass die neue Grundsteuer erstmals für das Steuerjahr 2026 oder 2027 geschuldet wäre“, so das Ministerium in einer Stellungnahme.
Grundsätzlich habe man im Sektor nichts gegen Steuern auf Spekulationen, sagt Scheuren. „Wenn jemand ein Projekt entwickelt und das dauert 15 Jahre, weil die staatlichen Prozeduren nun mal so sind, wie sie sind, dann kann man den nicht mit einer zusätzlichen Steuer belasten“, so der Unternehmer. „Wenn aber jemand wissentlich und strategisch Grundstücke zurückhält, um die Preise hochzuhalten, muss man sich natürlich diese Frage stellen. (...) Wir sind der Meinung, dass Besitz verpflichtet.“