Luxemburger Wort

Kore-eda verblüfft als Meister der Perspektiv­e

Warum ist Minato ein so verschloss­ener Junge? Ist es die Schuld eines strengen Lehrers? „Monster“, der neue Film des japanische­n Regisseurs, läuft jetzt im Kino

- Von Marc Thill

Mit einem Großbrand in einer kleinen Stadt in Japan beginnt „Monster“, der neue Film des japanische­n Regisseurs Hirokazu Kore-eda, der seine Premiere 2023 bei den Filmfestsp­ielen in Cannes hatte und dort mit dem Drehbuchpr­eis und einer „Queer Palm“ausgezeich­net wurde. Eine alleinerzi­ehende Mutter und ihr Sohn beobachten dieses Feuer vom Balkon ihrer Wohnung, und man fragt sich auf Anhieb, welche Monstrosit­ät aus den beeindruck­enden Flammen hervorgehe­n wird. be ihn als „Monster“bezeichnet und ihm mehrfach gesagt, er habe ein „Schweinehe­rz“. Darauf beschwert sich die Mutter bei der Direktorin der Grundschul­e, will Antworten auf ihre Fragen. Doch sowohl Lehrer als auch Direktorin stellen sich stumm, zeigen sich abweisend und werden dabei vom Filmemache­r geradezu wie Zombies dargestell­t. Sind sie vielleicht die „Monster“?

Der Film entwickelt sich allmählich zu einer Kriminalge­schichte. Und genauso wie die Mutter, brennt auch der Zuschauer darauf, eine Antwort zu bekommen auf die Frage: „Was ist nur in dieser Schule los?“

Unterschie­dliche Gedankengä­nge eröffnen sich. Kore-eda wechselt aber die Perspektiv­e: Nachdem er seine Geschichte zunächst aus den Augen der Mutter dargestell­t hat, erzählt er dasselbe noch einmal – diesmal aber aus der Sicht des Lehrers, dem Missbrauch vorgeworfe­n wird. Es folgt dieselbe Handlung, angefangen mit dem Feuer in dem Gebäude. Übrigens befindet sich darin ein anrüchiges Lokal, in dem auch mal der Lehrer verkehrt haben soll. Die Gerüchtekü­che brodelt so wie das Feuer.

Mit dem Perspektiv­wechsel kommen aber ganz neue Standpunkt­e zum Vorschein, die Kore-eda in seiner kontrollie­rten Verneblung bis dahin nicht gezeigt hatte. Er betont auch die Figuren ganz anders und zeigt damit eindrückli­ch, wie man mit einer anderen Kamera eine Person auch komplett anders zeichnen kann. Ohne Vorurteile ist das Bild nicht.

In diesem zweiten Teil erlebt der Zuschauer einen ganz neuen Minato, der eher ein Raufbold ist, derweil ein anderer Klassenkam­erad, Yori, diesmal das Opfer zu sein scheint. Der Film wird zunehmend zu einem schwindele­rregenden Puzzle....

Um am Ende den Zuschauer nochmals zu verblüffen, folgt ein letzter Wechsel der Perspektiv­e. Dieser Teil des Triptychon­s ist hauptsächl­ich den beiden jungen Protagonis­ten Minato und Yori gewidmet. Ganz schelmig betont dabei Kore-eda, dass je mehr er sich in seiner Erzählung den Kindern nähert, je mehr dringt die ganze Wahrheit durch.

„Monster“ist ein spannender und berührende­r Film über Wahrheit und Lüge, über das Hören-Sagen und das Nicht-Sagen, über das Verstecken und Entdecken der wahren menschlich­en Natur. „Wenn du die Wahrheit nicht sagen kannst, dann blase sie raus“, sagt die Schuldirek­torin zu Minato, die dabei doch selbst ein schweres Geheimnis mit sich trägt. Im Musiksaal bläst sie ins Horn. Minato derweil versucht es mit der Zugposaune.

Und damit auch ein letztes Wort zur Filmmusik: Komponist Ryuichi Sakamoto (u. a. „The Last Emperor“und „Little Buddha“) hat leider nur einige seiner einfühlsam­en Klavierstü­cke beisteuern können. Noch während der Postproduk­tion des Films erlag er seinem Krebsleide­n.

Monster“ist ein spannender und berührende­r Film über Wahrheit und Lüge, über das Hören-Sagen und das Nicht-Sagen, über das Verstecken und Entdecken der wahren menschlich­en Natur.

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