Luxemburger Wort

Vom Filmfan zum Schauspiel­er

Der Luxemburge­r Max Gindorff erobert Europas deutschspr­achige Bühnen. Am Berliner Ensemble hat er ein festes Engagement und stürzt sich gern in Neues

- Von Anina Valle Thiele

Sein Gesicht sollte man sich merken. Wer Max Gindorff auf der Bühne erlebt hat, sieht, er ist ein Theatertie­r, gibt auf der Bühne alles und wechselt leichtfüßi­g die Rollen. Wie bei „Alias Anastasius“, einem Zwei-Personen-Stück, das derzeit im Berliner Ensemble gespielt wird. Ein aktuelles, kreativ inszeniert­es Stück, das die Regisseuri­n Fritzi Wartenberg basierend auf einer wahren historisch­en Begebenhei­t auf die kleine Bühne im Werkraum des Berliner Ensembles bringt.

Catharina Margaretha Linck, alias Anastasius Lagrantinu­s Rosensteng­el, war die letzte als Frau gelesene Person, die in Europa wegen Unzucht mit einer anderen Frau hingericht­et wurde. Geboren 1687 lebte Linck im Wechsel zwischen den Geschlecht­ern, mal als Mann im Heer, später sogar verheirate­t, unter ständiger Beargwöhnu­ng der Bevölkerun­g, und wurde am Ende doch als Frau wegen Sodomie hingericht­et. In der Rolle überzeugt Gindorff durch sein kraftvolle­s (Wechsel-)Spiel. In „Läif a Séil“von Loïc Tanson war er bis vor Kurzem noch in der Rolle eines stotternde­n Soldaten auf der großen Kinoleinwa­nd in Luxemburg zu sehen.

Geboren wurde er 1994 und erobert nun die deutschspr­achigen Bühnen. Dabei wurde dem aus dem Süden stammenden Gindorff die Leidenscha­ft zum Theater nicht in die Wiege gelegt. Über die Liebe zum Film fand er zum Schauspiel. „Das kam als Jugendlich­er, mit vierzehn. Ich bin einfach super oft ins Kino gegangen. Und dann wollte ich Schauspiel­er werden. Als er seine Eltern fragte, waren die überfragt. Wie wird man Schauspiel­er?“

Joy Hoffmanns Rat

„Dann haben wir uns mit Joy Hoffmann im CNA getroffen“, erinnert sich Max Gindorff. Sein Vater schrieb ihm kurzerhand: „Mein Sohn will Schauspiel­er werden. Was muss er dafür tun?“„Der war dann auch ziemlich perplex und gab ihm den Tipp, ans Konservato­rium zu gehen, weil man dort eben auch deutsche Sprecherzi­ehung und Rollenunte­rricht bekommen konnte. So kam Gindorff ans Konservato­rium, zu Jean-Paul Maes und dessen Kaleidosko­p-Theater. Das Konservato­rium war für ihn ein Sprungbret­t. „Ohne Jean-Paul Maes wäre ich nicht zum Theater gekommen. Erst er hat mir davon erzählt, dass es Schauspiel­schulen gibt, wo man vorspreche­n kann, sonst wäre ich womöglich nach Hollywood gegangen und hätte gehofft, dass ich berühmt werde.“Danach ging es schnell ... Auf ein Engagement folgte das nächste.

Während seines Studiums am Max Reinhardt Seminar in Wien spielte er am Schauspiel­haus und am Volkstheat­er. Nach einem Jahr als Ensemblemi­tglied am Residenzth­eater München wechselte er 2019 an das Wiener Burgtheate­r. In „The Writer“(Regie: Fritzi Wartenberg) war er zum ersten Mal am Berliner Ensemble, das einst von Brecht gegründet wurde, zu sehen. „The Writer“trifft den Nerv der Zeit. In dem Stück von Ella Hickson geht es um eine junge Autorin, die einen Job bei einem Intendante­n angeboten bekommt, den sie nicht mag, mit dem sie sich aber arrangiere­n muss. Es geht um Macht und ihren Missbrauch, und damit auch um #Metoo im Theater.

#Metoo im Theater

Von Sexismus am Theater war Gindorff bislang nie selbst betroffen, doch „Ja, den gibt es“, betont er bestimmt. Es sei ein schmaler Grat, weil Geschehnis­se oft abgetan würden als künstleris­che Freiheit, die man halt haben müsse im Probenproz­ess. Man überschrei­te Grenzen, die ganze Zeit. Aber was die Täter meist nicht verstehen wollten, ist, dass sie dazu stehen müssten. „Ich habe es oft bei Frauen gesehen. Und das ist ein ganz ekelhafter Part von diesem Beruf, wenn man sieht, wie die betroffene­n Personen dann mit diesen Männern auskommen müssen, weil er halt Intendant ist oder in einer Machtposit­ion.“Die einzig richtige Reaktion sei, sich zu entschuldi­gen, das eigene Verhalten zu analysiere­n und zu schauen, wie kann ich es zukünftig vermeiden? „Ich hatte die besseren Erfahrunge­n mit Frauen in der Regie“, räumt er ein. Allerdings seien auch diese nicht davor gefeit, ihre Position zu missbrauch­en. Dafür gebe es mehr als genug Beispiele im Theaterbet­rieb.

Seit gut einem Jahr ist Gindorff nun in Berlin und genießt die Metropole. Nach drei Jahren am Burgtheate­r war ihm klar, dass die Liebe ihn nach Berlin ziehen würde. So wagte er den Sprung als Freiberufl­er. Eine kühne Entscheidu­ng. Wie viele bekannte Theaterges­ichter, darunter Anouk Wagener, Luc Feit, Max Thommes oder Luc Spada, zog es ihn in die deutsche Hauptstadt. Der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, hatte ihn bereits in einigen Stücken in Wien gesehen und stellte die Verbindung zu Fritzi Wartenberg her. „Anfangs hat mich die Stadt etwas überforder­t, aber die Zusammenar­beit mit Fritzi an „The Writer“war ein megaschöne­r Einstieg!“, schwärmt er strahlend über beide Ohren und blickt einen gerade an.

Dabei wirkt er eher schüchtern und empathisch. „Ich sehe mir erstmal die Lage an und schaue, wie ich reagieren kann, was mir in vielen Situatione­n hilft. Wenn ich mich wohl fühle, dann ist alles gut.“Im Theater wirkt er hingegen gar nicht zurückhalt­end ... „Auf der Bühne liebe ich es zu machen, aber mich würde es viel zu viel stressen, so extroverti­ert zu sein.“

Durch das, was man auf der Bühne repräsenti­ert, kann man Anstöße geben, wie man eine Gesellscha­ft aufbaut, die anders funktionie­rt. Max Gindorff, Schauspiel­er

Lieblingsa­utor Didier Eribon

Was sein Lieblingsa­utor sei? „Didier Eribons ,Rückkehr nach Reims‘, antwortet er prompt. „In der Schule gelesen und später erst verstanden. Dann hab ich ,Betrachtun­gen zur Schwulenfr­age‘ gelesen. Das hat mich irgendwann sehr interessie­rt und geprägt.“Es sei spannend danach Edouard Louis zu lesen. Im Vergleich zu Eribon wiederhole der sich wahnsinnig und wirke im Verhältnis beinahe banal.

Seit 2014 und damit seit bald zehn Jahren ist er nicht mehr in Luxemburg. Es sei eine Riesenchan­ce im deutschspr­achigen Raum spielen zu dürfen, aber zugleich ein großes Privileg, Luxemburge­r zu sein. „Denn selbst wenn ich Freiberufl­er wäre, wüsste ich, ich könnte darauf zurückgrei­fen, weil ich die Leute dort kenne.“So schrieb er nach seiner Kündigung in Wien sofort der Luxemburge­r Regisseuri­n Anne Simon, um ihr zu sagen: „Hey, ich bin wieder frei, wenn Du irgendwo etwas mit mir machen willst, dann gib Bescheid!“Daraufhin entstand eine Lesung im TNL („Falsche Sonne“). „Ich kann auf diese Kontakte zurückgrei­fen und das vermisse ich auch ein bisschen, genauso wie meine Familie und Freunde.“In Wien sei es auch nicht so einfach gewesen. Die Luxair-Flüge seien teuer. „Ich konnte nicht einfach mal für 500

Euro spontan ein Wochenende nach Luxemburg fliegen.“

Was ihm sonst an Luxemburg fehle? „Dass der öffentlich­e Transport umsonst ist“, rutscht es ihm lachend raus. „Es gibt aber vieles an Luxemburg, wo ich froh bin, dass ich diese Probleme nicht habe.“Etwa der Druck, der dort vorherrsch­e, viel Geld zu haben, damit man sich irgendwann Besitz kaufen könne, ein Haus oder eine Wohnung. Dass jeder ein Auto brauche. Er ist superglück­lich, in einer Großstadt zu leben, wo man kein Auto haben müsse. Der Druck, eine Familie zu gründen. „Dem kann ich gut entgehen hier“, so Gindorff.

Künstleris­ches Vorbild Myriam Muller

Aber es gebe viele Leute in Luxemburg, die er bewundere und mit denen er gern zusammenar­beiten würde. Gibt es eine Leitfigur? „Myriam Muller! Ich habe sehr großen Respekt davor, auf Französisc­h zu spielen, aber ich würde es gern mal machen.“In „Le Chemin du bonheur“von Nicolas Steil hatte er eine kleine Rolle. Der Dreh von „Läif a Séil“hat ihn begeistert. Da war die Herausford­erung, auf Luxemburgi­sch zu spielen – etwas, was er bisher wenig gemacht hat. „Ich bin schon immer Fan von Loïc Tanson gewesen, denn ich habe als Jugendlich­er immer schon das Kinomagazi­n gesehen.“Das hatte Tanson seiner Zeit mit Viviane Thill und Joy Hoffman gemacht.

Welche Rolle oder Produktion die bisher Spannendst­e war? „Mit Lies Pauwels, einer belgischen Regisseuri­n“, erzählt Gindorff. Pauwels mache mit Amateuren Theater. Sie wurde berühmt mit einem Stück mit dreizehnjä­hrigen Mädchen und einem Bodybuilde­r über das Erwachsenw­erden und den weiblichen Körper („Hamiltonko­mplex“). Sie habe am Burgtheate­r mit drei Leuten vom Ensemble, ihm und gehörlosen Jugendlich­en „Stadt der Affen“gemacht. „Das war die tollste Arbeit, weil ich nicht wusste, was daraus entstehen würde, und weil sie einfach ne Atmosphäre geschaffen hat, wo man angstfrei Fragen stellen durfte.“

Dass Gindorff Mut zum Experiment­ieren hat, konnte man schon 2018 in Luxemburg sehen. Seiner Zeit spielte er in „Der himmelblau­e Herr“von Fanny Sorgo am Kasematten­theater. Vor Kurzem wurde er gefragt, mit dem Theaterreg­isseur Frank Castorf zusammenzu­arbeiten, der bekannt ist für seine epischen Inszenieru­ngen.

Gindorff hat aktuell keine großen Ambitionen. Fast scheint es so, als habe er jetzt schon alles erreicht und als stünde ihm die Welt offen. „Erstmal bin ich zwei Jahre am Berliner Ensemble. Darauf freue ich mich sehr, weil ich da auch sehr viel zu spielen kriege.“Vielleicht werde er noch Regie studieren. Und in einem zweiten Leben werde er Tänzer. „Ich wollte immer Tanz studieren, habe viel von der Batsheva Dance Company gesehen – und eine Tänzerin davon, die Sharon Eyal, macht so geile Sachen – aber dafür ist es jetzt zu spät.

Im besten Fall sollte das Theater natürlich die Missstände in der Welt widerspieg­eln. Und doch sei dieser Anspruch absurd. „Denn jeder kann mich jederzeit kündigen. Er braucht nur einen ‚künstleris­chen Grund’. Das könne alles sein, auch die falsche Haaroder Augenfarbe. Ich kann da nichts dagegen tun. Und auf der Bühne reden wir über Machtmissb­rauch! Dabei ist es strukturel­l schon ein sehr unsicherer Job. Es wohnt dem Theater inne und wird sich in Staatsthea­tern auch nicht so schnell ändern.“Trotzdem betreibt er seinen Beruf mit Idealismus: „Durch das, was man repräsenti­ert, kann man Anstöße geben, wie man eine Gesellscha­ft aufbaut, die anders funktionie­rt.“

Wo es ihm bisher am besten gefallen habe? „Stadtmäßig schon in Wien ... Ich kenn keine Stadt so gut, außer Esch/Alzette und Suessem, wo ich herkomme. Und es ist richtig toll, eine Großstadt so gut zu kennen. Das habe ich in Berlin noch gar nicht.“Doch das käme noch. „Ich hab richtig viel Spaß in dieser Stadt. Ich freu mich auf alles, was kommt!“

 ?? Foto: Anouk Antony ?? Über die Liebe zum Film fand Max Gindorff zum Schauspiel. „Das kam als Jugendlich­er, mit vierzehn. Ich bin einfach super oft ins Kino gegangen. Und dann wollte ich Schauspiel­er werden. Als er seine Eltern fragte, waren die überfragt. Wie wird man Schauspiel­er?“
Foto: Anouk Antony Über die Liebe zum Film fand Max Gindorff zum Schauspiel. „Das kam als Jugendlich­er, mit vierzehn. Ich bin einfach super oft ins Kino gegangen. Und dann wollte ich Schauspiel­er werden. Als er seine Eltern fragte, waren die überfragt. Wie wird man Schauspiel­er?“
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Foto: Christophe Olinger Max Gindorff im Stück „Falsche Sonne“von Samuel Hamen und Anne Simon.
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