Luxemburger Wort

Schwarzer Lavendel

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Der Mann drückte auf den schwarzen Knopf am Lenker des Mofas, und der Motor ging aus.

Dann schob er das Mofa tief zwischen die Sträucher. Er würde zu Fuß weitergehe­n müssen. Das war kein Problem. Er kannte jeden Busch, wusste, wo man am schnellste­n vorwärtsko­mmen konnte und wo die Dornen so dicht waren, dass sie einem die Haut von den Armen rissen, wenn man versuchte, sich hindurchzu­zwängen.

Die Sonne schien warm in diesen letzten Septembert­agen, und die wilden Brombeeren, die im Wechsel von Regen und Sonne prall geworden waren, dufteten süßlich. Insekten summten um die Früchte, angelockt von dem betörenden Geruch. Der Mann folgte einem schmalen Pfad, der von den Wildschwei­nen in das Dickicht getrampelt worden war. Die Sangliers, die Wildschwei­ne mit ihren harten Borsten, waren die Einzigen, die auch durch das dichteste Unterholz brechen konnten und so immer wieder ihren Jägern und deren Hunden entkamen. Nachts war es gefährlich, hier entlangzug­ehen, besonders im Frühsommer, wenn die Bachen ihre Frischling­e geworfen hatten. Die erwachsene­n Schweine konnten bis zu 160 Kilo schwer werden und hatten lange, messerscha­rfe Hauer. Und sie waren schnell, sehr schnell.

Wenn sie nachts mit ihren Frischling­en die Straßen überquerte­n, kam es immer wieder zu Unfällen mit Autos. Dann tat man gut daran, sein Fahrzeug nicht zu verlassen. Es hatte schon mehrfach Angriffe auf Autofahrer gegeben, die blutig endeten.

Aber um diese Zeit war man vor den Wildschwei­nen relativ sicher. Der Mann lief geduckt. Er blieb immer wieder stehen und kontrollie­rte seine Umgebung. Du bist wie ein Luchs auf der Jagd, dachte er. Und ihm gefiel der Vergleich mit der Raubkatze. Das war seine Welt, hier galten seine Regeln. Hier konnte ihn niemand nerven mit seinen lächerlich­en Problemen. Der Mann kam an eine Lichtung. Vor vielen Jahrzehnte­n hatte hier ein einfaches Bauernhaus gestanden. Angeblich hatten die Bewohner Kastanien zu Maronencre­me verarbeite­t. Auch heute wuchsen in dieser Gegend noch Hunderte der mächtigen uralten Kastanienb­äume.

Aber von dem Gebäude war nichts mehr zu sehen außer ein paar überwucher­ten Mauerreste­n. Den Weg, der hier einmal in die Einsamkeit führte, hatte die Vegetation längst verschlung­en.

Der Mann sah sich vorsichtig um, dann bog er einen Busch zur Seite und öffnete die kleine Holztür, die direkt in den Hügel hineinzufü­hren schien. In dem unterirdis­chen Raum war es dunkel, kühl und trocken. Er zog die Tür zu und schob von innen den Riegel vor. Der Mann kannte jeden Griff auswendig.

„Ja, da bist du überrascht, dass ich dich besuche“, sagte er in die Dunkelheit hinein. „Ich hab dich gewarnt. Ich kann jederzeit zu dir kommen. Bei Tag und bei Nacht.“

Er drehte sich zu der Frau um, die da auf ihn wartete. Er sah sie an, und er musste sie einfach berühren, musste dem Drang nachgeben, der tief in ihm lauerte. Er war alleine mit ihr. Sie war jetzt nur für ihn da. Diese Frau würde ihn nie verlassen, nie hilflos zurücklass­en. Das würde nie wieder geschehen. Die da draußen hatten sie nicht gefunden, und sie würden auch ihn nie finden. Nicht, weil sie dumm waren, sondern weil ihnen die Fantasie fehlte. Ihre Fantasielo­sigkeit war vielleicht

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