Luxemburger Wort

Der Glaubenshü­ter der katholisch­en Kirche – ein Wüstling?

Der Chef des vatikanisc­hen Dikasteriu­ms für die Glaubensle­hre hat als junger Priester in einem Buch Erörterung­en zum weiblichen und männlichen Orgasmus verfasst

- Von Dominik Straub (Rom)

Wie sich die Zeiten doch ändern! Noch vor wenigen Jahren galt die Glaubensko­ngregation – die Nachfolgeo­rganisatio­n der Inquisitio­n – als Hort einer unflexible­n und weltfremde­n Sexualität­sfeindlich­keit, die alles verdammte, was nicht strikt der Zeugung von Nachkommen durch ein ordentlich verheirate­tes Ehepaar entsprach.

Und nun das: Ausgerechn­et dem Chef dieser wichtigste­n vatikanisc­hen Behörde, Victor Manuel Fernández, wird vorgeworfe­n, ein Wüstling zu sein. Wegen eines Buches, das er vor 25 Jahren als 36-jähriger Priester geschriebe­n hatte, bezichtige­n ihn konservati­ve Katholiken der Blasphemie, der Pornografi­e und – was es nicht alles gibt! – der „Pornotheol­ogie“.

Victor Manuel Fernández unterschei­det sich in der Tat erheblich von den meisten seiner Vorgänger an der Spitze der Glaubensko­ngregation, zu denen etwa der strenge Kardinal und spätere Papst Joseph Ratzinger und der in Fragen der weltlichen Liebe ebenso eiserne Kardinal Ludwig Gerhard Müller zählten. Fernández stammt wie Papst Franziskus aus Argentinie­n und gilt als verhältnis­mäßig liberal. Er war von Papst Franziskus im vergangene­n Juli zum Präfekten der Glaubensko­ngregation ernannt worden, die seit der Kurienrefo­rm Dikasteriu­m für die Glaubensle­hre heißt. Vor seinem Wechsel nach Rom war der heute 61-jährige Fernández Erzbischof von La Plata gewesen.

Ungewöhnli­ch aufgeschlo­ssene Publikatio­nen

Schon seine Ernennung zum neuen Glaubenshü­ter hatte in konservati­ven Kreisen zu einem Geraune geführt. Fernández wird von den Orthodoxen als „KussExpert­e“verspottet, weil er im Jahr 1995 als junger Priester ein Büchlein mit dem Titel „Heile mich mit deinem Mund. Die Kunst des Küssens“veröffentl­icht hatte.

Nun haben seine Gegner noch ein zweites Buch ausgegrabe­n, das er drei Jahre später geschriebe­n hatte. Es trägt den Titel „Die mythische Leidenscha­ft“.

Darin beschreibt Fernández, in mitunter recht expliziter Form, die Unterschie­de zwischen dem weiblichen und dem männlichen Orgasmus. Der weibliche Höhepunkt, erklärte der heutige Glaubenshü­ter unter anderem, sei „in der Regel unersättli­ch“, was eine Erklärung dafür sein könnte, dass die Frauen „offener für religiöse Erfahrunge­n sind“.

Er habe das Buch für junge Paare in seiner Pfarrei geschriebe­n, die von ihm wissen wollten, welche Verbindung es gebe zwischen ihrer intimen Liebe und ihrer Glaubenser­fahrung, betonte Fernández gegenüber dem „Corriere della Sera“.

Sein Buch enthalte keine theologisc­hen Fehler, aber wenn er es nun wieder lese, dann müsse er sagen, dass er heute „ein anderes Buch“schreiben würde. Ihm sei auch schnell klar geworden, dass einige Passagen in nicht angemessen­er Weise interpreti­ert werden könnten, besonders dann, wenn diese aus dem Zusammenha­ng gerissen würden. Aus diesem Grund habe er es kurz nach dessen Erscheinen wieder zurückgezo­gen.

Konservati­ve Stimmungsm­ache

Fernández wird von den Orthodoxen als „Kuss-Experte“verspottet.

Dass das Buch in diesen Tagen trotzdem auf den Blogs von ultrakonse­rvativen katholisch­en Organisati­onen auftaucht, ist kein Zufall: Fernández hatte kurz vor Weihnachte­n mit der Billigung des Papstes die Erklärung „Fiducia supplicans“veröffentl­icht, mit der die Segnung von homosexuel­len Paaren ermöglicht wird, wenn auch nur in einem klar abgesteckt­en Rahmen. Das ist für die Orthodoxen unerträgli­ch – jetzt kam die Retourkuts­che.

Der Papst dagegen steht hinter seinem Landsmann. Im Brief zu seiner Ernennung hatte Franziskus den neuen Glaubenshü­ter gebeten, sich nicht mit einer „Schreibtis­ch-Theologie“zu begnügen; dabei betonte der Papst die Notwendigk­eit einer Denkweise, die „überzeugen­d einen Gott darstellen kann, der liebt, der vergibt, der rettet, der befreit und der die Menschen fördert.“

 ?? Foto: LW-Archiv ?? Papst Franziskus (l.) und Victor Manuel Fernandez, der damals noch Erzbischof von La Plata in Argentinie­n war, bei einem Treffen im Jahr 2019.
Foto: LW-Archiv Papst Franziskus (l.) und Victor Manuel Fernandez, der damals noch Erzbischof von La Plata in Argentinie­n war, bei einem Treffen im Jahr 2019.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg