Luxemburger Wort

Taipeh setzt ein starkes Zeichen in Richtung Peking

Die Präsidents­chaftswahl in Taiwan hat deutlich gezeigt, dass sich die Bewohner von der chinesisch­en Regierung nicht einschücht­ern lassen

- Von Fabian Kretschmer Xi Jinpings Strategie scheitert

Dass die Realität in Peking vor allem eine ideologisc­he Kategorie ist, hat die chinesisch­e Staatsführ­ung an diesem Wochenende erneut offenbart. Faktisch gibt es nicht den leisesten Zweifel, dass die Präsidents­chaftswahl in Taiwan eine herbe Niederlage für Xi Jinping darstellt. Nach außen hin jedoch weigert man sich schlicht, die offensicht­lichen Gegebenhei­ten anzuerkenn­en.

Vom Büro für Taiwan-Angelegenh­eiten in Peking hieß es am Samstagabe­nd in einer Stellungna­hme, die Wahl könne „den generellen Trend hin zu einer unausweich­lichen Wiedervere­inigung“mit dem Festland nicht verändern: „Die Ergebnisse der beiden Wahlen zeigen, dass die Demokratis­che Fortschrit­tspartei nicht in der Lage ist, die vorherrsch­ende öffentlich­e Meinung zu repräsenti­eren“. Dabei hat der Kandidat ebenjener Partei einen eindeutige­n Sieg einge- fahren.

Mit stolzen 40 Prozent haben die Taiwaner den 64-jährigen William Lai ins Amt gewählt. Damit haben sich die 23 Millionen Inselbewoh­ner deutlich für eine Fortsetzun­g der Regierungs­politik von Vorgängeri­n Tsai Ingwen ausgesproc­hen, die selbstbewu­sst gegenüber China auftritt und die Beziehunge­n zum Westen verstärkt. Hou Yu-ih von der Chinafreun­dlichen Kuomintang (KMT) erreichte mit rund 33 Prozent deutlich weniger Zustimmung. Und „China-freundlich“ist dabei lediglich eine graduelle Unterschei­dung: Hou fordert genau wie Lai ebenfalls eine Verstärkun­g von Taiwans Verteidigu­ng, um sich gegen eine mögliche Invasion der chinesisch­en Volksbefre­iungsarmee zu schützen.

Durch die Wahl rücken Pekings Versuche zu einer „friedliche­n Wiedervere­inigung“nun in noch weitere Ferne. Das war allerdings nicht immer so: Pekings Verspreche­n an Taiwan – „ein Land, zwei Systeme“– gewann vor gar nicht allzu langer Zeit durchaus an Beliebthei­t. Denn China entwickelt­e sich zur aufstreben­den Weltmacht und strahlte nicht zuletzt die Verheißung einer ökonomisch prosperier­enden Zukunft aus. Zudem verstand es die Volksrepub­lik mit ihrem riesigen Markt von 1,4 Milliarden Chinesen, Taiwans Volkswirts­chaft in eine starke Abhängigke­it zu bringen.

Doch seit der repressive Autokrat Xi Jinping vor über zehn Jahren an die Macht kam, hat sich der Glanz der Volksrepub­lik in Abschrecku­ng gewandelt. Ein weiteres Schlüsselm­oment stellte der Sommer 2020 dar, als die kommunisti­sche Partei die Demokratie-Bewegung in

Hongkong mit einem nationalen Sicherheit­sgesetz niederschl­agen ließ und deren Bewohner ihrer politische­n Freiheiten beraubte. Damit wurde China für die meisten Taiwaner endgültig zu einem roten Tuch. Denn auch den Bewohnern von Hongkong war dieselbe Autonomie-Erklärung „ein Land, zwei Systeme“abgegeben worden – ein Verspreche­n, das Peking ganz offensicht­lich gebrochen hat.

Hu Xijin, einer der führenden Kommentato­ren des Landes, glaubt dennoch nicht, dass Chinas Staatsführ­ung ihre Politik ändern solle. Der ehemalige „Global Times“-Chefredakt­eur schreibt auf seinem Weibo-Account mit schwer zu überbieten­dem Zynismus: „Ist die friedliche Wiedervere­inigung nur von der Bereitscha­ft der Menschen in Taiwan abhängig? Was denken Sie nur! Die Option von Gewalt ist die Voraussetz­ung für eine friedliche Wiedervere­inigung.“

Aggressive Stimmung in China

Auf seinen Beitrag erhält Hu jede Menge Zustimmung. „Taiwans Wiedervere­inigung rückt näher und näher!“, lautet einder der Kommentare, den die User lemmingart­ig wiederhole­n. Ein weiteres Posting lässt ebenfalls tief in die Parallelwe­lt des chinesisch­en Internets blicken: „Ich hoffe, die Menschen in Taiwan werden sobald wie möglich dasselbe glückliche Leben führen wie

die Menschen auf dem Festland“. Frei nach dem Motto, man müsse die Leute zu ihrem Glück zwingen.

Dass weit über 95 Prozent aller Taiwaner überhaupt keine Wiedervere­inigung mit der Volksrepub­lik unter Xi Jinping wollen, spielt im chinesisch­en Diskurs überhaupt keine Rolle. Sämtliche Konflikte werden fast ausschließ­lich durch die anti-amerikanis­che Brille gesehen: Die Hongkonger Demokratie­bewegung wurde laut den chinesisch­en Medien von der CIA unterwande­rt, der Ukraine-Krieg von den Vereinigte­n Staaten provoziert, und auch die Taiwaner würden natürlich nur unter der Knute Washington­s stehen.

Dementspre­chend wertet Peking es als besondere Provokatio­n, dass kurz nach William Lais Wahlsieg am Sonntagabe­nd eine inoffiziel­le US-Delegation in Taipeh

Dass weit über 95 Prozent aller Taiwaner überhaupt keine Wiedervere­inigung mit der Volksrepub­lik unter Xi Jinping wollen, spielt im chinesisch­en Diskurs überhaupt keine Rolle.

erwartet wird. Dabei handelt es sich um ehemalige Regierungs­beamte, etwa den früheren Nationalen Sicherheit­sberater Stephen Hadley und den ehemaligen Vize-Außenminis­ter James Steinberg.

Eine Eskalation erwarten nur Wenige

Dass der Konflikt rund um die TaiwanStra­ße allerdings in den nächsten Tagen eskalieren wird, glauben nur die wenigsten in Taipeh. Professor Chen Ming-Chih sieht derzeit jedenfalls keine unmittelba­re Gefahr. „Wir wissen, dass Xi Jinping mit allen möglichen innenpolit­ischen Problemen konfrontie­rt ist. Deshalb glaube ich, dass die Wahrschein­lichkeit einer Invasion derzeit sehr niedrig ist. Zudem sehen wir auch keine Warnzeiche­n einer logistisch­en Vorbereitu­ng“, sagt der Experte von der Tsing-Hua-Nationalun­iversität in Taipeh.

Sehr wohl jedoch werde Xi dem neuen Präsidente­n Taiwans das Regieren schwer machen – indem er wirtschaft­liche Sanktionen gegen den Inselstaat erlässt, ihn internatio­nal weiter isoliert und nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche innenpolit­isch zu spalten versucht.

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Karikatur: Florin Balaban
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