„Die Polizei weiß nicht, ob ich noch um ein Sandwich bitten darf“
Nach der Sensibilisierungskampagne wurde gestern Morgen die repressive Phase umgesetzt. Eine sechsköpfige Patrouille zog durch die Hauptstadt
Sechs uniformierte Mitglieder der Polizei umkreisen einen Haufen aus Schlafsäcken und dicken Decken. Ein Stück Pappe mit der Aufschrift „Bonjour, je suis SDF, s‘il vous plais aidez-moi“steht dort, daneben ein Kästchen, in das sich nur vereinzelte Schneeflocken verirren. Daneben steht das gesamte Hab und Gut gestapelt in Tüten und Taschen. Einer der Polizisten weckt das Paar, um ihre Personalien aufzunehmen.
Es ist Montagmorgen auf dem Hamilius-Platz. Nach der Sensibilisierungskampagne wurde nun die repressive Phase des Bettelverbots umgesetzt. Nachdem das Verbot bereits Mitte Dezember in Kraft getreten war, wurden Menschen auf der Straße zunächst durch Flyer aufmerksam gemacht. Doch nun sollen vermehrt Patrouillen durch die Hauptstadt zirkulieren.
„Glaubst du wirklich, dass die Menschen aufhören werden zu betteln?“, fragt Sonia, während sie ihre Turnschuhe anzieht. Seit vier Monaten leben sie und ihr Partner auf der Straße. Versprochen wurde ihnen ein Job und eine Wohnung. Gehalten wurde nichts von beidem. Ohne festen Wohnsitz verbringt das Paar nun den Winter auf der Straße.
Die Armut wird nicht verschwinden
Doch nicht nur die Polizei durchstreift die Straßen der Hauptstadt. Zusammengetan haben sich einige Gegner des Verbots, unter anderem auch Guy Foetz, ehemaliger Gemeinderat von Déi Lénk. „La richesse attire la pauvreté“, so Foetz. Auch Serge Kollwelter wollte sich selbst ein Bild von der Vorgehensweise der Polizei machen. „Es wurde noch immer gebettelt. Zu denken, nur wegen eines Verbots würde das Phänomen verschwinden, ist eine Illusion“, so der Menschenrechtsaktivist.
An der Ecke der Groussgaass und der Rue des Capucins scharrt eine ältere Frau den Schnee mit ihren dicken Wanderschuhen beiseite, bevor sie sich auf einem
gestreiften Stück Schaumstoff und einer Isomatte vor einem Schmuckladen niederlässt. Vor ihr steht ein blauer Becher aus Plastik und in den Händen hält sie ein Stück Pappe, auf das sie „Solidarité avec les mendiants“geschrieben hat. Marie-Marthe Muller möchte ein Zeichen gegen das Verbot setzen.
Nora Schneider und ihre Hündin Judy lassen sich ebenfalls nieder. Die 20-Jährige hat bereits in den vergangenen Wochen immer wieder durch symbolische Aktionen gegen das Verbot protestiert. Sie hege eine extreme Wut gegen die Maßnahmen, die beschlossen wurden.
„Als Mensch kann ich diese Entscheidung nicht akzeptieren“, so die 60-jährige Menschenrechtsaktivistin. Und die Protestaktion führe sie als eigene Person durch, als Marie-Marthe Muller, nicht als Politikerin der Piratenpartei. Es könne nicht sein, dass Menschen so aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. „Wir sollten uns Gedanken machen, wo wir als Gesellschaft hinsteuern“unterstreicht sie. Eine Passantin regt sich im Vorbeigehen auf. Sie begrüßt das Verbot und beschwert sich über die Menschen, die auf eine aggressive Weise nach Geld betteln. Dass durch die neue Verordnung jedoch alle Menschen auf der Straße betroffen sind, scheint sie nicht weiter zu stören.
Keine genauen Richtlinien
Gilles sitzt mit seiner Tasse in der Avenue de la Porte-Neuve. Für den gebürtigen Belgier ist es der dritte Winter auf der Straße. Im Rahmen der Sensibilisierungskampagne wurde er auf das neue Verbot aufmerksam gemacht. Wie die Polizei das Gesetz umsetzen soll, wisse sie selbst nicht: „Die Polizei weiß nicht, ob ich noch um ein Sandwich bitten darf.“
Zwei Stunden später sind Bruno und Sonia am Hamilius nicht anzutreffen. Ihr Hab und Gut steht aber immer noch ordentlich gestapelt an der Mauer. Offizielle Zahlen, wie viele Menschen am Montag von der Polizei angehalten wurden, teilte die Polizei auf Nachfrage bislang noch nicht mit.