Luxemburger Wort

Was dieses Bettelverb­ot über uns aussagt

- Kontakt: marc.thill@wort.lu

Viel Porzellan hat der neue Innenminis­ter Gloden zerbrochen, als er grünes Licht für das Bettelverb­ot der Stadt Luxemburg gab. Künstler und Künstlerin­nen haben ihre Stimmen erhoben, bekamen aber Schelte vom Minister. Ein Rechtspopu­list schüchtert­e einen Karikaturi­sten ein, worauf der Kulturmini­ster reagierte. Mittlerwei­le lästern Medien im Ausland über das reiche Luxemburg, sein Bettelverb­ot und das Einschücht­ern der Künstler. Der Schaden ist groß. Ganz schockiert hat die Menschenre­chtskommis­sion den mahnenden Finger erhoben, und Kardinal-Erzbischof Hollerich sieht Luxemburg „fast schon als einen repressive­n Staat“.

Das Oberhaupt der Luxemburge­r Kirche sagte, der CSV-Minister hätte vielleicht zuvor seine Hilfsorgan­isationen konsultier­en sollen. Der Kirchenman­n ist die rechte Hand des Papstes – und dessen Revier war, als er noch Seelsorger in Argentinie­n war, nun mal das Elend. In seiner Heimat zählte er zur „calle“, zur Straße, wie man in Lateinamer­ika all die bezeichnet, die sich um Bettler und Gestrandet­e kümmern. Nach Überzeugun­g des Papstes müsste übrigens jeder Erdbewohne­r ein Armer sein, ein Mensch, genauso verbeult wie die Schuhe, mit denen Jorge Bergoglio einst durch die „calle“seiner Favelas lief.

Aber, welch ein Wirbel um ein Bettelverb­ot, von dem man ja bestimmt nicht behaupten kann, dass es für Luxemburg in irgendeine­r Form zukunftsre­levant sein kann! Da gibt es bestimmt Wichtigere­s zu tun.

Aber die Kontinuitä­t ist gewahrt. Bereits im 15. Jahrhunder­t schrieb der deutsche Dichter Sebastian Brant „Das Narrenschi­ff“, und anlehnend daran malte Hieronymus Bosch sein gleichnami­ges Bild. In beiden Werken werden Bettler als „Überflüssi­ge der Gesellscha­ft“aufs Schiff verbannt. Man wollte, die Abweichler loswerden, sie aus den Städten vertreiben. Und genau das wollen wir heute auch.

Die Gestrandet­en der Gesellscha­ft sind jedoch ein Teil von uns, auch wenn manche sie nicht sehen wollen. Man will sie ausstoßen, unsichtbar machen, „normal“werden lassen. Genau darin spielt sich ausgehend von der Politik eine tiefgreife­nde Gewalt ab, an der sich auch unsere eigene unterdrück­te Gewalt messen lässt. Wollen wir tatsächlic­h diese herzlose Gesellscha­ft sein?

Warum mögen wir keine Bettler? Weder die „guten“noch die „schlechten“, also weder den Obdachlose­n am Bahnhof noch die organisier­ten Banden der Bettelei in der Oberstadt? Vielleicht weil sie uns an unser eigenes Bitten, Betteln und Betrügen erinnern. Wir betteln um soziale Anerkennun­g, um Gehaltserh­öhungen, wir betrügen um Subvention­en und bei der Steuer. Und ohne es zu wissen, sehen wir vielleicht auch in all den Menschen, die auf der Straße leben, das Schicksal, das uns droht, wenn wir nicht unermüdlic­h darum kämpfen, nützlich und wesentlich zu sein, um nicht in die Müllhalden des Kapitalism­us abzustürze­n, aus denen es keine Rettung gibt. Das Bettelverb­ot sagt so manches über uns und unsere Gesellscha­ft aus.

In den Bettlern erkennen wir unser eigenes Betteln, Bitten und Betrügen.

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Marc Thill

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