So argumentiert Gloden juristisch beim Bettelverbot
Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Taina Bofferding hält der Innenminister es für begründet und verhältnismäßig
Das Bettelverbot der Stadt Luxemburg sorgt seit Wochen für Aufruhr. Die vorherige Ministerin für Inneres, Taina Bofferding (LSAP), hatte die polizeiliche Verordnung der Stadt Luxemburg zum Bettelverbot im Anschluss an eine Prüfung der Gesetzmäßigkeit am 15. Mai verworfen: Sie sei nicht im Einklang mit nationalem Recht, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und Grundfreiheiten.
Die Stadt Luxemburg forderte am 17. August in einem Einspruch die Aufhebung des Verbots, Innenminister Léon Gloden (CSV) gab dem im Dezember statt. Auf die parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Meris Sehovic erklärt Gloden nun seine juristische Argumentation.
Seit mehreren Jahren verbietet die Polizeiverordnung der Stadt Luxemburg bereits jede organisierte oder Bandenbettelei sowie das Betteln von Minderjährigen und Personen in Begleitung eines Minderjährigen. Am 27. März 2023 billigte der Gemeinderat der Stadt Luxemburg eine Ausweitung dieses Verbots „im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Hygiene“auf „jede andere Form der Bettelei“. Zwischen sieben Uhr morgens und 22 Uhr abends an den sieben Wochentagen darf im Stadtzentrum, auf den großen Achsen des Bahnhofsviertels, auf Spielplätzen, Skaterparks und öffentlichen Plätzen sowie Parkplätzen nicht mehr um Gaben gebeten werden. So will es nun Artikel 42 der städtischen Polizeiverordnung.
Es betrifft die gesamte Zone innerhalb des Perimeters der Innenstadt, der von folgenden Straßen abgesteckt wird: den Boulevard Royal, die Côte d'Eich, die Rue du Palais de Justice, Rue Wiltheim, Rue Large, Rue du Saint Esprit, das Plateau du Saint Esprit und den Boulevard F.D. Roosevelt. Im Bahnhofsviertel gilt es auf folgenden Straßen: der Avenue de la Liberté, Avenue de la Gare, auf dem Boulevard de la Pétrusse, dem Pont Adolphe und in der Rue de Strasbourg.
Gab es Störungen der öffentlichen Ordnung?
Bofferdings Ablehnung des Bettelverbots beruhte hauptsächlich darauf, dass keine Be
weise dafür vorgelegt wurden, dass die Bettelei für reale Störungen der öffentlichen Ordnung sorgten, erklärt Gloden. In ihrem Einspruch verweise die Stadt Luxemburg aber sehr wohl auf eine ganze Reihe an schriftlichen Beschwerden und Klagen, die von Taten zeugen, die von bettelnden Personen begangen wurden: Aggressivität, Drohungen, Beschimpfungen, Beleidigungen, öffentliche Trunkenheit, Verstöße gegen die öffentliche Moral und andere Handlungen, die oftmals mit exzessivem Lärm tags und nachts verbunden sind.
Die Berichte der Beschwerdeträger, die durch weitere, von Mandatsträgern der Stadt vorgebrachte Sachbestände gestützt werden, bewiesen, dass die Verstöße gegen die Hygiene und die öffentliche Sicherheit sowie die Ruhestörungen, die sich aus dem Verhalten von Bettlern ergeben, nachweisbar seien. „Die Störung der öffentlichen Ordnung wurde ausreichend nachgewiesen, der Gemeinderat ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, sowohl präventiv als auch repressiv zu handeln, insbesondere über die allgemeine Polizeiverordnung“, schreibt Gloden.
Die Störung der öffentlichen Ordnung wurde ausreichend nachgewiesen. Innenminister Léon Gloden (CSV)
Ist das Bettelverbot mit nationalem Recht vereinbar?
Er weist auch darauf hin, dass das Bußgeld für einfache Bettelei nach Artikel 563 des Strafgesetzes weiterhin existiert. Daher sei das Verbot des einfachen Bettelns durch eine Gemeindeverordnung nicht rechtswidrig, sondern eigentlich überflüssig, da es ohnehin auf einer hierarchisch höheren Ebene angesiedelt ist. Insofern bestehe eine explizite legale Basis.
Sind die Maßnahmen verhältnismäßig im Sinne der neuen Verfassung?
In der neuen Verfassung, die am 1. Juli 2023 in Kraft trat, steht in Artikel 37, dass jede Einschränkung eines Grundrechts von einem Gesetz vorgesehen sein und dessen wesentlichen Inhalt respektieren muss. Um das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu respektieren, dürfen Einschränkungen nur verhangen werden, wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind und wirksam Antworten auf Ziele im Allgemeininteresse oder das Bedürfnis des Rechts- und Freiheitsschutzes anderer geben. Im Gegensatz zur Einschätzung der vorherigen Innenministerin, betrachtet Gloden das Bettelverbot als nicht allgemein und absolut, sondern zeitlich und örtlich begrenzt. Es lasse bedürftigen Personen ausreichend Freiheit, an die Großzügigkeit der Mitbürger zu appellieren, um, wenn nötig, ihren Unterhalt bestreiten zu können. Art. 37 sei schlichtweg nicht anwendbar: Die von der Verordnung geahndeten Formen des aggressiven Bettelns stellten keine Aktivitäten oder Verhaltensweisen dar, die in den Anwendungsbereich irgendeiner öffentlichen Freiheit fallen. Diese Formen des Bettelns seien nach dem Strafgesetzbuch verboten.
Ist es mit europäischem Recht vereinbar?
Gloden befindet, dass die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zum wiederholt angeführten Fall Lacatus einen Einzelfall der Bettelei betrifft und wegen der persönlichen Umstände und der Härte der Strafe nicht vergleichbar sei mit der Art, wie die Stadt Luxemburg vorgehen möchte. Auf eine Menschenrechtsverletzung zu schließen, sei nicht möglich, weil das Verbot nicht unverhältnismäßig sei.