Die „Fournée Luxembourgeoise“in Esch schließt nach fast 30 Jahren
Das Ladensterben in der Rue de l'Alzette geht weiter. Doch es gibt auch gute Nachrichten
Und wieder macht ein Geschäft in Esch dicht: Die besten Croissants, Pains au chocolat und Sandwiches in der Rue de l‘Alzette sind ab morgen Geschichte. So sehen es die Stammkunden, die an diesem allerletzten Freitag in die Bäckerei gekommen sind und den Schock über die Nachricht noch immer nicht verdaut haben.
Seit 1995 versorgt die „Fournée Luxembourgeoise“die Escher Münder mit Süßem und Deftigem. Hier, auf Nummer 135, am Ende der längsten Einkaufsstraße des Landes, die sich nun noch weiter lichten wird. Am Freitag spielt sich im Verkaufsraum fast ein kleines Drama ab. Immer wieder kommen Kunden zur Tür herein, um ihr Mitgefühl auszudrücken, eine Frau hat sogar ein Geschenk dabei, „Danke für alles“.
„Traureg ass dat“, sagt Isabelle, die einer Kundin einen Espresso an den Tisch bringt. „Ich kenne die Kinder, die früher aus der Brillschule herkamen und die heute ihre eigenen Kinder von der Schule abholen und hier ihr Brot holen. Die Fournée ist wie eine Institution in Esch“, sagt die Verkäuferin mit ernster Miene, sichtlich bewegt. „Alle kamen hierher, die Gemeindearbeiter vor ihrer Frühschicht, die Polizei, sogar Leute, die längst aus Esch weggezogen sind. Ich kann es nicht glauben.“
„Wo sollen wir denn jetzt hin?“
Das kann auch Andrea nicht. Seit sieben Jahren wohnt sie in Esch, jeden Tag komme sie zur Fournée, „weil ich mich gut aufgehoben fühle, sie sind wie eine Familie für mich“, sagt sie und schaut zu Isabelle, die sie spontan in den Arm nimmt. Und dann laufen dicke Tränen über Andreas Gesicht. Sie habe schon viel geweint, seit sie von der Schließung erfahren hat. Sogar Fotos hat sie noch gemacht, die sie auf dem Handy zeigt: von außen, von der Ladentheke, hinter der Dreikönigskuchen und Schwarzwälder Kirschtorte um die Wette glänzen. Bilder, die die Erinnerungen wachhalten sollen. „Wo sollen wir denn jetzt hin? Hier ist doch sonst nichts“, sagt sie und auch, dass sie „das nicht akzeptieren“werde. Andrea sagt: „Wir würden helfen, damit alles wieder in Ordnung kommt.“
Doch dazu wird es nicht mehr kommen, es ist zu spät. „Ich bin pleite“, sagt Philippe Eder, der aus seiner Backstube kommt und sich an den Tisch setzt, um zu erzählen. Seit 2007 betreibt der Bäcker aus Frankreich das Lokal. „Wir hatten Probleme mit dem neuen Besitzer, nach zwei Jahren wollte er mir kündigen, weil er eine Brasserie haben möchte.“Philippe wehrte sich, aber die Probleme hörten nicht auf. Immer mehr ging kaputt, die Heizung fiel regelmäßig aus, in den Fliesen am Boden sind große Löcher, die Wände haben Risse oder Schimmelspuren und auch sonst wirkt das Lokal alles andere als einladend. Neulich sei wegen eines Wasserschadens von oben alles in die Backstube gelaufen.
„Ich habe zum Besitzer gesagt, wenn er das nicht endlich repariert, zahle ich keine Miete mehr.“Sieben Monate lang zahlte Philippe nichts, dann entschied das Gericht, sie müssen raus. „Das war ein Fehler, ich hätte weiterzahlen sollen, jetzt habe ich alles verloren.“Philippe bleibt nicht nur auf den Anwaltskosten sitzen.
„On vit dans un monde de business“, beklagt Denis Laurella, erst seit zwei Jahren Philippes Buchhalter und auch anwesend. „Es ist nicht so, dass wir nicht genug Kunden hätten.“Tatsächlich geben sich die Kunden an diesem Freitag die Klinke in die Hand. „Philippe hat über die Jahre 40.000 Euro Schulden angehäuft, die Löhne aber immer bezahlt. 100.000 Euro Kredit hätten uns geholfen, aber die Bank lehnte ab.“
Philippe hat nie Urlaub gemacht, er hat das nicht verdient. Denis Laurella, Buchhalter von „Fournée Luxembourgeoise“
Auch die monatliche Miete von 4.400 Euro sei eine Belastung gewesen. „Das ist viel zu viel für dieses Loch, würden Sie hier reinkommen, so wie das hier aussieht?“, fragt er die Reporterin. Eine Anfrage für die ehemaligen Räumlichkeiten der Konditorei Kill in der Avenue de la Gare, die seit 2022 leer stehen, scheiterte, da der Eigentümer einen zu hohen Fonds de Commerce gefordert hätte.
„Philippe arbeitet 365 Tage im Jahr, er hat in 17 Jahren nicht einen einzigen Tag Urlaub gehabt, das hier war sein Lebensprojekt. Philippe hat das nicht verdient“, sagt Denis Laurella abschließend. Am Donnerstag wird Philippe Eder seinen Bäcker für immer schließen.
Bis dahin wird Carla noch jeden Tag auskosten. Die Escherin sitzt mit ihrem Sohn Kevin vor einer Tasse Kaffee und Kuchen. „Wir kommen fast jeden Tag her, „je suis chez moi ici“. Was denkt sie über das Ende ihrer Lieblingsbäckerei? „Esch devient une ville fantôme“, sagt sie. Zum Einkaufen fahre sie nach Foetz.
Geschäfte verschwinden scheinbar über Nacht
Wie schlimm oder nicht schlimm es tatsächlich um die Rue de l‘Alzette steht, wollte das „Luxemburger Wort“bei der Stadt Esch erfragen. Aber die Mails zu
Statistiken, Geschäftsschließungen und Neueröffnungen blieben bisher unbeantwortet. Auch der Geschäftsverband, der sich eigentlich um die Belange der Händler kümmern sollte, ist untergetaucht. Kurz vor Redaktionsschluss kam dann doch noch die Mitteilung, dass man sich in ein paar Wochen dazu äußern wolle.
Ein Spaziergang über die Meile offenbart, dass aktuell rund 24 Geschäfte geschlossen sind. „In der Rue de l‘Alzette befinden sich 129 Geschäftslokale, zwölf davon stehen aktuell leer, die theoretisch vermietet oder verkauft werden könnten“, stand vor gut einem Jahr in einem Artikel des LW. Ein Jahr später hat sich die Zahl der leeren Geschäfte also verdoppelt. Dabei hieß es damals noch, dass die Zahlen der Leerstände im Escher Zentrum im Vergleich zu den Vorjahren rückläufig seien.
Verschwunden seit der letzten Recherche sind unter anderem der Sneakershop „Sneak In“, die portugiesische Modemarka „Salsa“, „Sephora“und „Hanf, der etwas andere Bioladen“. Seit einer Woche auch „définitivement fermé“: das „Tally Weijl“.
Bleibt zu hoffen, dass die Neuankömmlinge in der Rue de l‘Alzette länger als ein Jahr durchhalten. Sofia Pereira hat ihr Geschäft „Déco D‘Ailleurs“im November letzten Jahres in der Nummer 113 eröffnet, wo früher CBD-Öl zu erstehen war. Sie verkauft Dekoration und Teppiche aus der ganzen Welt. Das Interieur ist edel, weiße Tonschalen reihen sich an elegante Vasen und naturfarbenes Geschirr. „Im Dezember ist es sehr gut für mich gelaufen, jetzt ist Weihnachten vorbei und es ist etwas ruhiger“, erzählt sie. „Die Leute sind stolz, so ein Geschäft in Esch zu haben.“Immer wieder würden ihr Kunden sagen, dass sie die Straße von früher kennen und traurig sind, dass so vieles geschlossen wurde. „Es ist auch nicht selbstverständlich, dass die Leute bis hierher kommen“, sagt Pereira. Aktuell würde das Uelzecht Mobil nicht fahren. Die Geschäftsfrau, die seit 2022 auch einen Online-Shop hat, ist dennoch zuversichtlich. „Einmal im Monat kommen zwei Freundinnen vorbei und kaufen irgendetwas bei mir ein, um mich zu unterstützen.“
Ein paar Schritte weiter, in der Rue Dicks auf Nummer 28, backt Céline Lacroix Geburtstags- und Hochzeitstorten für den anspruchsvollen Gaumen. Aber nicht nur. Von Mittwoch bis Samstag bietet sie täglich bis 14 Uhr Lunch an. Ob Kaffee, Kuchen oder Avocadotoast – alles ist frisch und selbst gemacht.
Seit September ist sie in Esch zu finden, nachdem sie zunächst im Pop-upStore in Differdingen und anschließend in der Minettmetropole erfolgreich war. Obwohl ihre Eltern Köche sind, hat sich die junge Frau zunächst für die Buchhaltung entschieden. Jetzt hat sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. „Das ist noch schwer abschätzbar“, so ihre Antwort auf die Frage, was die Zukunft wohl für sie bringen wird. Wenn sie so viel Erfolg haben sollte wie auf ihrem Instagram-Kanal, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.