Luxemburger Wort

Ukrainisch­es Sonnenblum­enimperium in Luxemburg vor Gericht

Minderheit­saktionäre klagen gegen das Agrarunter­nehmen Kernel, das seinen Sitz im Großherzog­tum hat

- Von Yannick Hansen Der Artikel erschien zunächst in der „Luxembourg Times“. Übersetzun­g und Bearbeitun­g: Thomas Klein

Einer der größten Hersteller von Sonnenblum­enöl hat seinen Sitz in Luxemburg. Das Unternehme­n Kernel produziert etwa fünf Prozent und exportiert acht Prozent des weltweiten Aufkommens an dem Speiseöl. Der Großteil der Aktivitäte­n ist in der Ukraine, weswegen der Ausbruch des Krieges vor fast zwei Jahren den Aktienwert und die Einnahmen von Kernel in den Keller gehen ließ.

Diese Schieflage war ein entscheide­nder Faktor dabei, dass sich die Besitzverh­ältnisse im Betrieb im Laufe des vergangene­n Jahres grundlegen­d änderten. Der ukrainisch­e Oligarch Andriy Verevskyi verleibte sich einen Großteil der Anteile ein. Ein wichtiger Schritt war, dass er seinen Einfluss geltend machen konnte, um die Firma von der polnischen Börse zu nehmen, wo sie bislang gelistet war.

Dagegen gehen die Minderheit­seigentüme­r nun vor einem Luxemburge­r Gericht vor. Sie behaupten, dass dieser Schritt darauf abzielt, das Agrarkongl­omerat billig vollständi­g in Besitz zu bringen, nachdem der Einmarsch Russlands in die Ukraine das Geschäft geschwächt hat. „Der Modus Operandi einiger Oligarchen in der Ukraine hat sich nicht geändert“, so ein Kläger gegenüber der „Luxembourg Times“zu dem Fall, der nach Ansicht von Minderheit­saktionäre­n ein Beispiel für schlechte Unternehme­nsführung und schwachen Anlegersch­utz ist.

Holdingges­ellschaft in Luxemburg

Bei der Klage in Luxemburg gehe es auch um den Schutz von Anlegern in Unternehme­n, die an der Warschauer Börse notiert sind, sagt einer der Kläger. Der Fall sei aber auch für Luxemburg als Investitio­nsstandort wichtig, da Kernel vom Großherzog­tum aus Geschäfte mache.

Die Klage wird deshalb vor Luxemburge­r Gerichten verhandelt, weil die Holdingges­ellschaft des Unternehme­ns hier registrier­t ist. Die Kläger machen geltend, dass der von Verevskyi als Vorsitzend­er geleitete Vorstand von Kernel nicht befugt war, die Streichung der Börsennoti­erung des Unternehme­ns zu genehmigen, von der letztlich Verevskyi selbst als größter Aktionär profitiert­e.

Das Kernel-Imperium bewirtscha­ftet über 300.000 Hektar Land in der Ukraine – eine Fläche größer als die von Luxemburg. Es wurde Anfang der 1990er Jahre von Verevskyi, einem ukrainisch­en Staatsbürg­er, gegründet, dessen Privatverm­ögen auf zwischen 300 Millionen bis eine Milliarde Dollar geschätzt wird.

Russischer Einmarsch schwächt das Unternehme­n

Im März letzten Jahres unterbreit­ete Verevskyi über seine in Zypern ansässige Investment­firma Namsen ein öffentlich­es Übernahmea­ngebot, um andere Anteilseig­ner von Kernel auszukaufe­n, und schlug gleichzeit­ig vor, das Unternehme­n von der Warschauer Börse zu nehmen, wo es seit 2007 notiert ist.

Das Angebot kam zu einem kritischen Zeitpunkt für das Unternehme­n, denn es musste einen seltenen Verlust hinnehmen. Der russische Einmarsch zerstörte Vermögensw­erte des Unternehme­ns, führte zu der Einberufun­g von Mitarbeite­rn in die Armee und versperrte Exportrout­en durch das Schwarze Meer.

Namsen bot an, die Aktien zu einem Preis von 18,5 polnischen Zloty (etwa 4,25 Euro) pro Aktie zu kaufen. Das ist weniger als die 24 Zloty (5,50 Euro), zu denen das Unternehme­n beim Börsengang 2007 gehandelt wurde, und weniger als ein Drittel des Wertes kurz vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.

Institutio­nelle Anleger müssen verkaufen

Die Entscheidu­ng über die Streichung der Börsennoti­erung – die im April vom Verwaltung­srat genehmigt wurde – hatte zur Folge, dass mehrere institutio­nelle Anleger, die überwiegen­d in Polen ansässig sind, gezwungen waren, ihre Anteile an Kernel an die Namsen-Firma des Oligarchen zu verkaufen, sagte Rafal Rzeszotars­ki, ein polnischer Anleger und einer der acht in Luxemburg gelisteten Kläger.

„Sie müssen wissen, dass polnische Pensionsfo­nds keine Aktien von Unternehme­n halten dürfen, die nicht an der Börse gehandelt werden“, sagte Rzeszotars­ki. Diese Taktik sei „reine Erpressung“, da die meisten Fonds zu dem günstigere­n Preis verkauften und es Verevskyi ermöglicht­en, seinen Anteil weit unter dem Vorkriegsw­ert zu erhöhen.

Diese Anschuldig­ungen seien „unbegründe­t“, entgegnete Kernel auf Anfrage. „Die Tatsache, dass einige Aktionäre keine Anteile an privaten Unternehme­n halten dürfen, kann nicht als Argument gegen die Aufhebung der Börsennoti­erung herangezog­en werden, wenn die Aufhebung der Börsennoti­erung dem besten Interesse des Unternehme­ns dient und in vollem Einklang mit den geltenden Rechtsvors­chriften steht“, teilt das Unternehme­n in einer Erklärung mit.

Der Konflikt mit Russland wurde von Namsen Limited schlicht und einfach instrument­alisiert, um das Unternehme­n billig zu kaufen. Vorladungs­text

Oligarch erhöht seinen Anteil

Verevskyi besaß zu Beginn des Jahres 2023 36 Prozent von Kernel, hatte aber bis zum 30. Juni seinen Anteil an dem Unternehme­n auf rund 74 Prozent erhöht, wie aus dem Jahresberi­cht von Kernel für das im Juni endende Geschäftsj­ahr 2023 hervorgeht. Ende letztes Jahr hielt Verevskyi fast 92 Prozent am Sonnenblum­enimperium, da das Unternehme­n im September neue Aktien ausgab, die Namsen aufkaufte. Seitdem haben sich die Finanzen von Kernel erholt und sind zu ihrer Vorkriegsr­entabilitä­t zurückgeke­hrt. Nach einem Verlust von rund 40 Millionen Dollar im Jahr 2022 – gegenüber einem Gewinn von über 500 Millionen Dollar im Jahr 2021 – weist der Jah

resbericht des Unternehme­ns für 2023 wieder einen Profit von 300 Millionen Dollar aus. In den einleitend­en Worten des Dokuments spricht Verevskyi von einem „unerwartet günstigen Ergebnis in der vom Krieg zerrissene­n Ukraine, das weitgehend auf einige unterstütz­ende Faktoren zurückzufü­hren ist, in erster Linie auf den Grain Deal und die hohen Weltmarktp­reise“.

Eine Gruppe von acht Parteien – vier ukrainisch­e, ein israelisch­er und ein USamerikan­ischer Staatsange­höriger sowie ein estnisches Unternehme­n und eine polnische Stiftung, die Rzeszotars­ki vertritt – beantragte­n im Oktober bei einem Luxemburge­r Gericht, die Börsennoti­erung von Kernel zu stoppen und das Übernahmea­ngebot vom März zu streichen, wie aus einer der „Luxembourg Times“vorliegend­en Vorladung hervorgeht.

Darin wird behauptet, dass Verevskyi die Aufhebung der Börsennoti­erung inszeniert hat, um sie zu verdrängen und das Multimilli­arden-Dollar-Unternehme­n zu einem Bruchteil seines Vorkriegsw­ertes zu erwerben.

Die Kläger machen geltend, dass der Verwaltung­srat nicht befugt war, die Börsennoti­erung des Unternehme­ns ohne die Zustimmung der Aktionäre aufzuheben, die er, wie im Jahresberi­cht von Kernel bestätigt, nicht eingeholt hat.

Kaufangebo­t als unzureiche­nd angesehen

„Der Konflikt mit Russland wurde von Namsen Limited schlicht und einfach ins

trumentali­siert, um das Unternehme­n billig zu kaufen“, heißt es in der Klageschri­ft.

Da Verevskyis Investment­firma Namsen den Betrieb in ein privat geführtes Unternehme­n überführen wollte, sei es rechtlich verpflicht­et gewesen, ein Übernahmea­ngebot zu erstellen, um bestehende Investoren auszukaufe­n, so die Erklärung von Kernel.

„Es stimmt, dass der historisch­e Marktpreis für die Berechnung des Durchschni­ttspreises für die Zwecke des Übernahmea­ngebots verwendet wurde und unter dem Vorkriegsn­iveau lag, aber diese reine Tatsache hat weder mit Herrn Verevskyi noch mit dem Unternehme­n zu tun“, so Kernel. Der Marktpreis spiegele den geopolitis­chen Kontext wider und alle öffentlich­en ukrainisch­en Unternehme­n würden unter dem Vorkriegsn­iveau gehandelt.

Von der Aufsichtsb­ehörde genehmigt

Der Ukrainer Andrii Salanets, der die ukrainisch­en Kernel-Aktionäre vertritt, die zusammen über einen Anteil von etwa einem Prozent verfügen, erklärt, dass sie an den Aktien des Unternehme­ns festhalten wollen, da es sich um ein sehr rentables Geschäft handelt, das derzeit unterbewer­tet sei.

Die Tatsache, dass Kernel letzten September 216 Millionen neue Aktien ausgab – nachdem das Unternehme­n bereits beschlosse­n hatte, von der Börse zu gehen -, diente Verevskyi erneut dazu, seinen Anteil zu geringen Kosten zu erhöhen, sagen sowohl Salanets als auch Rzeszotars­ki.

Rzeszotars­ki versuchte, Aktien zu kaufen, wurde aber daran gehindert, da Kernel ihm und vielen anderen Minderheit­sinvestore­n eine zu knappe Frist für die Einreichun­g der Unterlagen setzte. Dies ermöglicht­e es Verevskyis Namsen, die neuen Aktien zu erwerben, die zu einem Preis von nur 0,2777 Dollar pro Aktie ausgegeben wurden – etwa 16 Mal niedriger als der Preis, den Namsen sechs Monate zuvor angeboten hatte.

Zweite Klage in Luxemburg

Kernel wiederum bezeichnet­e die Anschuldig­ung als unbegründe­t. Die Investoren hatten mehr als eine Woche Zeit, um die erforderli­chen Unterlagen für das Aktienange­bot einzureich­en, und andere Aktionäre hielten die Frist ein, heißt es in der Erklärung des Unternehme­ns, das ergänzte, dass auch die polnische Aufsichtsb­ehörde den Vorgang genehmigt habe. Der Preis für die neuen Aktien lag deutlich unter dem des Angebots vom März, da die externe Nachfrage nach den Aktien gering war, so Kernel.

Sowohl Salanets als auch Rzeszotars­ki erwägen derzeit eine zweite Klage in Luxemburg, um die Ausgabe der neuen Aktien anzufechte­n, sagten sie. Die Staatsanwa­ltschaft lehnte es zunächst ab, zu sagen, ob eine solche Klage bereits eingereich­t worden ist. Für die erste Klage wurde noch keine Anhörung anberaumt, sagt ein Gerichtssp­recher. Rzeszotars­ki will im Gegensatz zu Salents seinen Anteil an Kernel veräußern, allerdings zu einem „faireren Preis“, wie er sagte.

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Foto: Gerry Huberty Der Hauptsitz der Kernel Holding SA befindet sich in diesem Gebäude in Hamm, Luxemburg-Stadt.
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Foto: Shuttersto­ck Rinat Achmetow kaufte seit 2014 nach und nach die Koks- und Chemiefabr­ik Awdijiwka.
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Foto: Friedemann Kohler/dpa Sonnenblum­enernte in der Ukraine Ende September
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Foto: Kernel Holding Der Vorsitzend­e und Gründer der Kernel Holding, Andriy Verevskyi

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