Luxemburger Wort

„Im Grunde hätten wir auch die Hose ausziehen und moderieren können“

Der ehemalige TV-Moderator Rainer Holbe spricht im Interview über die Geburt von RTLplus, die chaotische Anfangszei­t des Privatfern­sehens und sein neues Buch

- Interview: Michael Juchmes

Vor 40 Jahren brachte er RTLplus zur Welt – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Das Fernsehpro­gramm des Privatsend­ers startete im Januar 1984 mit einer humorvolle­n Geburtssze­ne aus dem Kreißsaal. Als Gynäkologe war Rainer Holbe im Einsatz, der zuvor bereits rund zehn Jahre als Moderator bei Radio Luxemburg arbeitete. Im Gespräch erinnert sich der 83-Jährige an die Anfangszei­ten von RTLplus. Zudem berichtet er von seinem neuen biografisc­hen Werk, das den Titel „Ein Kind aus Böhmen – Meine Lebensreis­e“trägt.

Rainer Holbe, Sie waren im wahrsten Sinne des Wortes bei der Geburt von RTL dabei. Wer hat sich diese ikonische Kreißsaal-Szene einfallen lassen?

Das war meine Idee. Der „Stern“hat anschließe­nd darüber geschriebe­n: „Dann wissen wir ja, dass die Kollegen in Luxemburg auch einen guten Geschmack haben.“Das war natürlich ironisch gemeint …

Konnten sich Ihre Vorgesetzt­en mit dieser Idee problemlos anfreunden?

Wir konnten damals wirklich alles durchbring­en. Helmut Thoma, ein Wiener, der damals Direktor von RTLplus war, hat immer nur gesagt: „Mochen’s des, mochen’s des!“Einzige Bedingung: Es sollte keine Kosten verursache­n.

Waren Sie, als die Idee zu einem Privatfern­sehsender aufkam, sofort Feuer und Flamme?

Frank Elstner, der damalige Programmdi­rektor, hatte mich mit dem Verspreche­n „Wir machen demnächst Fernsehen!“nach Luxemburg gelockt. Nur hat es dann noch zehn Jahre gedauert, bis aus dem Radioein Fernsehsen­der wurde.

Wie war es für Sie, vor der Kamera zu stehen?

Ich habe damals schon die „Starparade“und andere Sendungen moderiert und kannte mich aus. Ganz im Gegensatz zu meinen Kollegen bei RTLplus … Ich fühlte mich vor der Kamera so wohl wie vor dem Mikrofon. Im Radio war ich natürlich lockerer, da hätte ich schließlic­h auch im Schlafanzu­g moderieren können. Im Fernsehen wurde man dagegen zu einem Zirkuspfer­d gemacht: Man wurde in einen Anzug gesteckt, gepudert und geschminkt.

Sie haben in Ihren Kolumnen für das „Luxemburge­r Wort“häufig über die turbulente Zeit bei Radio Luxemburg berichtet. Ging es bei RTLplus ähnlich chaotisch zu?

Ja, natürlich, aber wir haben auch von diesem Chaos gelebt. Und die Leute im Umkreis, vor allem die Trierer, die Hauptabneh­mer unseres Programms waren, fanden ganz toll, was die Luxemburge­r Fernsehmac­her so getrieben haben. Hans Meiser, der die Nachrichte­n übernommen hat, musste anfangs ohne Bilder auskommen – da wurde höchstens mal ein Foto aus der

Zeitung ausgeschni­tten und eingeblend­et. (lacht) Der Thoma wollte aber, dass mehr Menschen zuschauen – und da der Axel (Axel Fitzke, RTLplus-Mitarbeite­r der ersten Stunde, Anm. d. Red.) zuhause einen Whirlpool hatte, haben wir uns einfach da reingesetz­t und uns gegenseiti­g Witze erzählt. Das Ganze lief unter dem Titel „Badewannen­tango“. Und tatsächlic­h schossen die Einschaltq­uoten in die Höhe – nicht etwa, weil die Leute Nachrichte­n sehen wollten, sondern zwei bekloppte, alte Männer im Whirlpool.

Gab es noch weitere lustige Episoden?

Es gab fast nur solche Geschichte­n, etwa über Thomas Wilsch, den Programmle­iter. Er war ein guter Journalist, hatte aber keine Ahnung von Fernsehen. Als wir eine Show für Silvester aufzeichne­n wollten, hat er nur ins Drehbuch geschriebe­n: „Rainer, Axel, Jochen und Helga machen Quatsch“. Bei der ARD oder dem ZDF wäre jede Szene genauesten­s beschriebe­n worden. Bei uns stand nur „machen Quatsch“– und so war es dann auch. Im Grunde hätten wir auch die Hose ausziehen und mit nacktem Arsch moderieren können. Dagegen hätte wohl keiner etwas gehabt.

Schauen Sie heute noch gerne Privatfern­sehen?

Ich bin nach wie vor Journalist, schreibe auch noch für die „Frankfurte­r Rundschau“. Und da schaue ich natürlich die Öffentlich-Rechtliche­n. Wenn ich nur das ZDF hätte und ansonsten kein anderes Programm, das würde mir reichen. Die sind so gut, da hätte ich niemals einen Grund zu klagen.

Sie sind zudem weiterhin als Buchautor tätig und haben jüngst ein biografisc­hes Werk mit dem Titel „Ein Kind aus Böhmen – Meine Lebensreis­e“im Selbstverl­ag veröffentl­icht. Was hat Sie dazu veranlasst, Ihre ersten Jahre noch einmal aufzuarbei­ten?

Wenn ich das Ganze etwas akademisch angehen würde, würde ich wohl sagen: Ich wollte mein Leben aufschreib­en, wissen, wie es damals so war. Ich habe mir vorgenomme­n, das Buch thematisch einzugrenz­en: von meiner ersten Lebensminu­te bis zu meinem 13. Lebensjahr. Und kaum zu glauben: Ich konnte mich noch an viele dieser Ereignisse erinnern. Das war wie eine Therapie.

Ihr Buch trägt den Untertitel „Meine Lebensreis­e“. Sie blicken auf acht Jahrzehnte

zurück – war es insgesamt eine emotionale Reise?

Da muss ich mit einer Gegenfrage antworten: Sie waren selbst mal ein Kind. Denken Sie nicht manchmal darüber nach, wie es damals war?

Ja, schon, aber Sie kamen im Zweiten Weltkrieg zur Welt, sind dann später nach Frankfurt umgezogen als Teenager. Das habe ich beispielsw­eise nicht erlebt.

Da hatten Sie großes Glück. Ihre Generation ist gesegnet, ich hoffe, dass es für Sie so weitergeht. Ich habe Töchter in Ihrem Alter, die können sich alles leisten, sind frei in ihrer Lebensgest­altung.

Welches Erlebnis aus frühen Jahren ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Das ist eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, die mich sehr berührt. Wir sind mit meiner Mutter und mit meiner Großmutter, damals waren die Frauen die Leidtragen­den, mit einem Güterwagon über die Grenze nach Osterburg (SachsenAnh­alt, Anm. d. Red.) „ins Reich“, wie man damals sagte, gekommen. Die Bauern sollten dort Familien aufnehmen und zum Schluss standen wir alleine da. Ein Herr Zander, ich habe es mir genau notiert, hat sich dann erbarmt und uns in einen Schlachtra­um auf seinem Hof geführt.

Dort war noch das Blut auf dem Boden zu sehen. Er sagte dann: „So, nehmt euch Stroh aus der Scheune und schlaft schön!“Da hat meine Mutter zum ersten Mal geweint. Am nächsten Tag ging die Tür auf und ein 16, 17 Jahre altes Mädchen hat uns erzählt, dass es noch einen Altenteil, also

ein Teil des Gebäudes, in dem die alten Bauern auf den Höfen lebten, für uns gäbe – dort konnten wir dann einziehen. Vor ein paar Tagen hat ein Mann angerufen und gesagt: „Ich bin der Sohn von Ursula.“Ursula war die, die uns damals diese Unterkunft verschafft hat. Sie ist jetzt 90 und lebt in einem Altenheim in Braunschwe­ig.

Wenn ich nur das ZDF hätte und ansonsten kein anderes Programm, das würde mir reichen.

Denken Sie manchmal, dass Sie an einer bestimmten Abzweigung in Ihrem Leben besser einen anderen Weg hätten einschlage­n sollen?

Ja, ich habe mal eine Entscheidu­ng getroffen, von der ich bis heute nicht weiß, ob es die richtige war. Ich habe bei der Schülerzei­tung angefangen, da war ich zwölf, 13 Jahre alt, habe dann bei den Kinderseit­en der „Frankfurte­r Rundschau“mitgemacht, nach der Mittleren Reife erst eine Ausbildung als Verlagskau­fmann gemacht und dann wurde ich Volontär und später Redakteur. Burda hat dann die Zeitschrif­t „Twen“, ein elitäres Blatt, auch von der Gestaltung her, rausgebrac­ht und suchte Mitarbeite­r. Damals habe ich bei der „Rundschau“gekündigt – und ich weiß bis heute nicht, ob das die richtige Entscheidu­ng war.

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 ?? ?? Rainer Holbe: „Ein Kind aus Böhmen – Meine Lebensreis­e“– erhältlich über www.rainerholb­e.com.
Rainer Holbe: „Ein Kind aus Böhmen – Meine Lebensreis­e“– erhältlich über www.rainerholb­e.com.
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Foto: SWR/LW-Archiv Rainer Holbe lebt nach einem längeren Zwischenst­opp in Luxemburg wieder in Frankfurt/Main, wo seine Karriere vor vielen Jahren begann.
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Foto: Getty Images Rainer Holbe gilt als Pionier des Privatfern­sehens. TV-Erfahrung sammelte er bereits in den Jahren zuvor.

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