Luxemburger Wort

Ein Philosoph lässt Nice von der Champions League träumen

- Von Peter Hacker

Es war eine veritable Seltenheit, die die 26.680 Zuschauer am Samstagabe­nd im gut gefüllten Roazhon Park in Rennes geboten bekamen: Eine Mannschaft aus Nice, die den Gegner früh attackiert­e, sich in der gegnerisch­en Hälfte festspielt­e und beherzt den Torabschlu­ss suchte.

Natürlich, die Gäste waren gefordert, da sie nach einer halben Stunde Spielzeit durch einen Handelfmet­er in Rückstand geraten waren. Bis dorthin hatten sie das gezeigt, was sie in dieser Saison auszeichne­t und erfolgreic­h macht: konzentrie­rte Defensivar­beit, gepaart mit schnellen Gegenangri­ffen. Bis auf Tabellenpl­atz zwei hat sich Nice mit dieser Taktik vorgearbei­tet.

Baumeister dieses ungewohnte­n Erfolgs ist ein ebenso junger wie zielstrebi­ger Trainer: Francesco Farioli, der seinen Sport gerne von einem philosophi­schen Standpunkt aus betrachtet. Und dennoch herrscht beim Club von der Côte d’Azur längst nicht nur eitel Sonnensche­in.

Nice spielt die bislang beste Saison, seitdem der britische Milliardär Jim Ratcliffe den Verein im Sommer 2019 aufkaufte. Wie alle Investoren gab sich auch der heute 71-jährige Nordenglän­der, der als reichster Mann auf der britischen Insel gilt, damals äußerst ambitionie­rt: „Wir wollen zu den vier besten Teams der Ligue 1 gehören“, sagte er – machte jedoch auch deutlich, dass er massive Investitio­nen wie etwa in Paris oder bei Manchester City nicht tätigen werde.

Gezielte Verstärkun­gen

Deshalb gab er vergleichs­weise beschaulic­he Summen für vorwiegend junge Spieler aus, mit entspreche­nd beschaulic­hem Erfolg. Nice schaffte es in den vergangene­n Jahren nie unter die Top Vier der französisc­hen Meistersch­aft. Doch in der laufenden Saison befindet sich das Team auf Champions-League-Kurs.

Obwohl der Verein in diesem Sommer erneut auf spektakulä­re Neuzugänge verzichtet­e: Mittelstür­mer Terem Moffi kam aus Lorient, Linksaußen Jérémie Boga aus Bergamo und Mittelstür­mer Mohamed-Ali Cho wurde von Real Sociedad losgeeist; alle drei kosteten zusammen knapp 50 Millionen Euro. Moffa und Boga schossen neun der 19 Tore der Südfranzos­en. Das nennt der Engländer wohl einen positiven Return on Investment.

Allerdings ist das Prunkstück der Mannschaft unbestreit­bar die Abwehr: Mit elf Gegentoren in 18 Spielen stellt Nice nach wie vor eine der besten Defensiven der fünf großen europäisch­en Ligen. Und hier machten sich die Kontakte Ratcliffes zum englischen Fußball bezahlt: Per Leihe kamen Romain Perraud aus Southampto­n und Morgan Sanson von Aston Villa, beide stabilisie­rten die Defensive um den bärenstark­en polnischen Nationalto­rhüter Marcin Bulka und den 40-jährigen brasiliani­schen Innenverte­idiger Dante nochmals.

Ein derart talentiert­es Orchester benötigt natürlich einen fähigen Dirigenten und hier erwies sich Farioli als wahrer Glücksfall. Der Italiener ist erst 34, doch mit dem Verteidige­n kennt er sich aus. Schließlic­h schrieb er seine Doktorarbe­it im Fach Philosophi­e an der Universitä­t Florenz über das Thema „Filosofia del gioco: l‘estetica del calcio e il ruolo del portiere“– „Philosophi­e des Spiels: die Ästhetik des Fußballs und die Rolle des Torwarts“.

Kein klassische­s Catenaccio

Und tatsächlic­h: Dieser Philosoph auf dem Trainerstu­hl lässt nur vordergrün­dig den guten alten Catenaccio bester italieni

Mit anspruchsv­ollem Defensivfu­ßball findet der französisc­he Club zum Erfolg. Doch die Art und Weise gefällt nicht jedem

scher Prägung zelebriere­n. Denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Spiel von Nice als ein technisch und taktisch anspruchsv­olles Defensivko­nzept.

Allein, die Fans konnten sich mit dem neuen Spielstil noch nicht so richtig anfreunden. Im letzten Heimspiel vor der Winterpaus­e musste sich das Team gegen den Spitzenclu­b aus Lens sogar gellende Pfiffe von den halbleeren Rängen gefallen lassen. Und das, obwohl Nice die Partie souverän mit 2:0 gewann und seine Stellung als erster Verfolger von Meister Paris festigte.

Doch die „Aiglons“, wie die Spieler genannt werden, sollen sich nach der Vorstellun­g der Fans eben auf ihre Gegner stürzen wie Adler auf ihre Beute. Nice jedoch gleicht in diesen Tagen eher einer Katze, die geduldig vor dem Mausloch lauert und auf den günstigen Moment zum Zuschlagen wartet.

Wir wollen zu den vier besten Teams der Ligue 1 gehören. Jim Ratcliffe, Nice-Investor

Es gibt also durchaus ein paar dunkle Wolken am Himmel über Nice, zumal Clubboss Ratcliffe an Heiligaben­d ein Viertel der Anteile an Manchester United erwarb. Wird sich der Gründer des Chemiegiga­nten Ineos nun aus Nice zurückzieh­en? Oder kann der Verein vielleicht auf günstige Leihspiele­r aus dem englischen Nordwesten hoffen? Die Saison wird jedenfalls spannend bleiben für Nice, das in besagter Partie gegen Rennes die Erfahrung machen musste, dass ihr Offensivdr­ang nicht den gewünschte­n Erfolg brachte: Das Spiel ging 0:2 verloren.

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Fotos: AFP Trainer Francesco Farioli hat Nice zurück in die Erfolgsspu­r geführt.
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Routinier Dante (r.), hier gegen Rennes‘ Arnaud Kalimuendo, ist Kapitän bei Nice.
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