Luxemburger Wort

Nein, wir wären nicht „hungrig, nackt und nüchtern“

- Thomas Klein

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, lautet ein bekannter Leitspruch der Arbeiterbe­wegung. Dass man die Räder noch gründliche­r stilllegen kann, wenn der Arm einen 400-PS-Traktor lenkt, haben zuletzt die deutschen Bauern bewiesen, als sie am Montag Berlin belagerten.

Protest ist legitim. Dass es den Landwirten im Nachbarlan­d wirtschaft­lich nicht gut geht, kann man den Zahlen zum Höfesterbe­n ablesen. Das rechtferti­gt aber nicht die Art und Weise, wie die Aktionen ausgeufert sind: Regierungs­vertreter wurden bedrängt, auf Kreisverke­hren wurden vielerorts Galgen gepflanzt, tonnenschw­ere Landwirtsc­haftsmasch­inen blockierte­n Straßen.

Der Protest macht deutlich, wie sich die Erwartungs­haltung an den Staat verändert hat. Bei hoher Inflation, teurer Energie oder ähnlicher Unbill muss er, und damit der Steuerzahl­er, ran, um Schaden von möglichst allen abzuhalten. Staatliche Hilfen, wenn sie einmal gewährt sind, werden häufig von den Empfängern als Anrecht angesehen, das ihnen einfach zusteht. Der Bauernverb­and verlangt, dass der Staat alle geplanten Kürzungen rückgängig macht.

Die deutschen Bauern wurden ursprüngli­ch von der Kfz-Steuer ausgenomme­n, um die Motorisier­ung der Landwirtsc­haft zu fördern. Das war 1922 und die Proteste haben deutlich gemacht, dass die Landwirte inzwischen hinreichen­d motorisier­t sind. Dennoch wurde die vorgesehen­e Streichung dieses Privilegs inzwischen wieder kassiert. Auch beim vergünstig­ten Diesel wird den Landwirten nicht etwas weggenomme­n, es wird ihnen nur weniger gegeben und sie werden damit gleichgese­tzt mit anderen Berufsgrup­pen.

Landwirte sind vor allem Unternehme­r und damit den Bedingunge­n des Marktes unterworfe­n. Der Markt hat sich in den letzten Jahrzehnte­n nicht zugunsten der heimischen Bauern entwickelt. Sie sind bei den Kosten kaum konkurrenz­fähig mit den großen Agrarkonze­rnen in den USA und Südamerika. Die Verhandlun­gsmacht liegt bei den großen Handelsket­ten, die die Preise diktieren.

Auf einigen Schildern der Bauern war zu lesen: „Ohne uns wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern.“Das ist ein markiger Spruch und suggeriert eine starke Verhandlun­gsposition, ist aber inhaltlich falsch. Schließlic­h laufen auch nicht alle barfuß herum, seitdem es kaum noch kleine Schuhmache­r gibt. Die Schuhe kommen nun eben von großen Konzernen und werden in Billiglohn­ländern gefertigt. Niemand kann wollen, dass das auch in der Landwirtsc­haft so kommt, nicht zuletzt, weil man sich in der Lebensmitt­elversorgu­ng nicht von den Weltmärkte­n abhängig machen sollte. Daher ist es richtig, dass die europäisch­en Bauern weiterhin Geld aus Brüssel und von den nationalen Regierunge­n bekommen.

Aber Teil des Deals muss es eben auch sein, dass die Hilfen von gewählten Volksvertr­etern auf den Prüfstand gestellt werden können, ohne dass gleich das ganze Land lahmgelegt wird. Zur Demokratie gehört es auch, Kompromiss­bereitscha­ft zu zeigen und in der Debatte einen gemäßigten Ton anzuschlag­en.

Was als staatliche Hilfe gewährt wird, wird von Empfängern bald als Anrecht verstanden.

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