Nein, wir wären nicht „hungrig, nackt und nüchtern“
Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, lautet ein bekannter Leitspruch der Arbeiterbewegung. Dass man die Räder noch gründlicher stilllegen kann, wenn der Arm einen 400-PS-Traktor lenkt, haben zuletzt die deutschen Bauern bewiesen, als sie am Montag Berlin belagerten.
Protest ist legitim. Dass es den Landwirten im Nachbarland wirtschaftlich nicht gut geht, kann man den Zahlen zum Höfesterben ablesen. Das rechtfertigt aber nicht die Art und Weise, wie die Aktionen ausgeufert sind: Regierungsvertreter wurden bedrängt, auf Kreisverkehren wurden vielerorts Galgen gepflanzt, tonnenschwere Landwirtschaftsmaschinen blockierten Straßen.
Der Protest macht deutlich, wie sich die Erwartungshaltung an den Staat verändert hat. Bei hoher Inflation, teurer Energie oder ähnlicher Unbill muss er, und damit der Steuerzahler, ran, um Schaden von möglichst allen abzuhalten. Staatliche Hilfen, wenn sie einmal gewährt sind, werden häufig von den Empfängern als Anrecht angesehen, das ihnen einfach zusteht. Der Bauernverband verlangt, dass der Staat alle geplanten Kürzungen rückgängig macht.
Die deutschen Bauern wurden ursprünglich von der Kfz-Steuer ausgenommen, um die Motorisierung der Landwirtschaft zu fördern. Das war 1922 und die Proteste haben deutlich gemacht, dass die Landwirte inzwischen hinreichend motorisiert sind. Dennoch wurde die vorgesehene Streichung dieses Privilegs inzwischen wieder kassiert. Auch beim vergünstigten Diesel wird den Landwirten nicht etwas weggenommen, es wird ihnen nur weniger gegeben und sie werden damit gleichgesetzt mit anderen Berufsgruppen.
Landwirte sind vor allem Unternehmer und damit den Bedingungen des Marktes unterworfen. Der Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht zugunsten der heimischen Bauern entwickelt. Sie sind bei den Kosten kaum konkurrenzfähig mit den großen Agrarkonzernen in den USA und Südamerika. Die Verhandlungsmacht liegt bei den großen Handelsketten, die die Preise diktieren.
Auf einigen Schildern der Bauern war zu lesen: „Ohne uns wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern.“Das ist ein markiger Spruch und suggeriert eine starke Verhandlungsposition, ist aber inhaltlich falsch. Schließlich laufen auch nicht alle barfuß herum, seitdem es kaum noch kleine Schuhmacher gibt. Die Schuhe kommen nun eben von großen Konzernen und werden in Billiglohnländern gefertigt. Niemand kann wollen, dass das auch in der Landwirtschaft so kommt, nicht zuletzt, weil man sich in der Lebensmittelversorgung nicht von den Weltmärkten abhängig machen sollte. Daher ist es richtig, dass die europäischen Bauern weiterhin Geld aus Brüssel und von den nationalen Regierungen bekommen.
Aber Teil des Deals muss es eben auch sein, dass die Hilfen von gewählten Volksvertretern auf den Prüfstand gestellt werden können, ohne dass gleich das ganze Land lahmgelegt wird. Zur Demokratie gehört es auch, Kompromissbereitschaft zu zeigen und in der Debatte einen gemäßigten Ton anzuschlagen.
Was als staatliche Hilfe gewährt wird, wird von Empfängern bald als Anrecht verstanden.