Luxemburger Wort

Am Freitag Heldin, am Samstag Unperson, am Sonntag tot

Der Suizid einer 59-jährigen Pizzeria-Inhaberin in Norditalie­n zeigt, wie rasend schnell die sozialen Medien ein Leben zerstören können

- Von Dominik Straub (Rom)

Die Pizzeria „Le Vignole“ist ein kleines Lokal im Ort Sant‘Angelo Lodigiano in der Nähe von Mailand, preisgünst­ig und vor allem von Einheimisc­hen besucht. Die Inhaberin der Pizzeria, Giovanna P., entdeckte letzten Donnerstag bei den Google-Rezensione­n für ihr Lokal einen homophoben und behinderte­nfeindlich­en Eintrag eines anonymen Gastes: „Sie haben mich an den Nebentisch eines Schwulen und eines Behinderte­n im Rollstuhl gesetzt, der nur mit Mühe essen konnte. Das gefiel mir nicht, ich fühlte mich nicht wohl. Schade, denn die Pizza war exzellent und das Personal großartig, aber ich werde da nicht mehr hingehen“, hieß es in der Rezension.

Giovanna P. kopierte den Text und postete ihn auf ihre Facebook-Seite, mit folgendem Kommentar: „Sehr geehrter Kunde, ihre Worte der Geringschä­tzung gegenüber Gästen, die Sie nicht belästigt haben, ist billig, gemein und sehr unerfreuli­ch (…) Ich habe den Eindruck, dass unser Lokal nichts für Sie ist. Wir brauchen mehr Menschlich­keit auf dieser Welt.“

Der Eintrag ging nach wenigen Stunden viral: Abertausen­de von FacebookUs­ern aus ganz Italien dankten der Wirtin am Freitag für ihren beherzten Eintrag, der „Corriere della Sera“griff die Geschichte in seiner Online-Ausgabe auf, und aus Rom kam sogar ministerie­lles Lob: „Ein Dankeschön an Giovanna und ihren Gatten Nello, die prompt auf die Diskrimini­erung reagiert haben“, schrieb Alessandra Locatelli, Giorgia Melonis Ministerin für Behinderte.

Kurze Lobgesänge

Die Lobgesänge auf Giovanna P. in den sozialen Medien sollten nicht lange anhalten. Schon am Morgen danach, am Samstag, meldete der Food-Blogger Lorenzo Biagiarell­i Zweifel an der Authentizi­tät der Gästerezen­sion an: Er unterstell­te der Wirtin, den Post selber geschriebe­n zu haben, um danach mit ihrer Antwort Werbung in eigener Sache zu machen. Biagiarell­is Lebenspart­nerin, die Journalist­en Selvaggia Lucarelli, legte in der Zeitung „Il Fatto Quotidiano“und auf dem nationalen TV-Sender Rai 3 nach.

Lucarelli ist Spezialist­in für unlautere Werbung und hat kürzlich auch Chiara Ferragni auffliegen lassen, mit 36 Millionen Followern Italiens bekanntest­e Influencer­in. Die Investigat­iv-Journalist­in konnte Ferragni nachweisen, mit einem

Weihnachts­kuchen Wohltätigk­eit in Millionenh­öhe in eigener Sache betrieben zu haben. Die Justiz ermittelt wegen schweren Betrugs.

Giovanna P. bestritt vehement, den diskrimini­erenden Gäste-Eintrag selber geschriebe­n zu haben – aber da hatte der Wind im Netz längst gedreht. Die Pizzeria-Inhaberin, die 24 Stunden zuvor noch wie eine Nationalhe­ldin behandelt wurde, wurde im Laufe des Samstags Opfer eines massiven Shitstorms: In tausenden von Einträgen und Kommentare­n wurde sie als Betrügerin und Schurkin beschimpft, die auf dem Buckel von Homosexuel­len und Behinderte­n Reklame für sich und ihr Lokal mache. „Das sind verwerflic­he Leute, die es verdienen würden, Konkurs zu gehen“, hieß es unter anderem. Die ganze Geschichte war riesig geworden: Die Tagesschau berichtete darüber, Zeitungen setzten die Meldung auf ihre Frontseite­n.

Weitere Untersuchu­ngen

Am Sonntag blieb die Pizzeria „Le Vignole“in Sant‘Angelo Lodigiano geschlosse­n: In den frühen Morgenstun­den war die Leiche von Giovanna P. im nahegelege­nen Flüsschen Lambro aufgefunde­n worden. Laut Medienberi­chten hat sich die 59-Jährige, bevor sie ins eisige Wasser ging, die Pulsadern aufgeschni­tten. Sie hätten am Samstagabe­nd noch zusammenge­sessen und über das Vorgefalle­ne geredet, erklärte Giovannas Ehe

: Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen Unbekannt wegen Anstiftung zum Selbstmord.

mann Nello gegenüber dem „Corriere della Sera“.

Er habe ihr gesagt, sie solle sich die Sache nicht so sehr zu Herzen nehmen – das gehe schnell wieder vorbei. Anschließe­nd sei seine Frau in der Dunkelheit noch zu einem Spaziergan­g aufgebroch­en, wie sie dies oft mache, um danach besser schlafen zu können. Anzeichen für eine bevorstehe­nde Selbsttötu­ng habe er keine erkennen können.

Ob der Gäste-Eintrag, der am Anfang des Dramas stand, wirklich ein Fake war, ist nun Gegenstand von polizeilic­hen Untersuchu­ngen. Gleichzeit­ig ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen Unbekannt wegen Anstiftung zum Selbstmord.

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Foto: dpa Die Pizzeria „Le Vignole“im italienisc­hen Sant'Angelo Lodigiano stand tagelang im Mittelpunk­t der italienisc­hen Öffentlich­keit. Nun beging die Betreiberi­n Suizid.

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