„Ein Angriff auf das Wesen der Republik“
Seit rechtsextremistische Deportationspläne offenbar sind, diskutiert Deutschland über ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Die Bevölkerung ist gespalten
Alice Weidel lässt sich Zeit bis Dienstagnachmittag. Da ist seit sechs Tagen bekannt, dass ihr persönlicher Referent Roland Hartwig Ende November an einem Treffen mit Neonazis und ebenso vermögenden wie rechtsextremen Unternehmern teilgenommen hat, bei dem Martin Sellner, Österreichs Spitzen-Identitärer, dem Netzwerk ein Konzept vorstellte zur Vertreibung von Millionen Menschen. „Geheimplan gegen Deutschland“hat die Rechercheplattform „Correctiv“ihren Artikel betitelt.
Er hat viel ausgelöst. Im Regierungsviertel eine Debatte, ob die AfD nicht bis in den Kern und an die Spitze verfassungsfeindlich ist – und also reif für ein Verbotsverfahren. Im Internet eine Petition an die Bundesregierung, gegen Björn Höcke – den Anführer der Völkisch-Nationalen in der Partei – ein Verfahren zur Entziehung der Grundrechte anzustrengen: als „ein wahrhaft gefährlicher Feind der freiheitlichen Demokratie“. Bis Mittwochmittag haben den Aufruf mehr als 1,2 Millionen Menschen unterschrieben.
In der Republik schließlich hat die Enthüllung des Treibens im großbürgerlichen Ambiente der einstigen Villa Adlon, nun „Gästehaus am Lehnitzsee“, im Potsdamer Ortsteil Neu-Fahrland für Entrüstung gesorgt und für Protest. In Potsdam demonstrieren am Sonntag zehntausend Menschen für eine offene Gesellschaft und die Demokratie und gegen den rechtsextremen Plan, Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland zu deportieren, in einen „Musterstaat“irgendwo in Nordafrika. Am Montagabend sind es je etwa 7.500 in Leipzig und in Essen, am Dienstagabend dann in Köln 30.000 statt der erwarteten 1.000 – und auch überall sonst in Deutschland gibt es öffentlichen Protest.
Am Dienstagmorgen konstatiert der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD): „Unsere Demokratie ist in einem kritischen Zustand.“Und nennt, was auf den Demonstrationen gefordert wird, zumindest für prüfenswert: ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Alle, die jetzt auf die Straße gehen, lobt Thierse ausdrücklich; sie zeigten, „dass sie diese Gefahr ernst nehmen“.
Hohe Hürden für Verbotsverfahren
Nun haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes – als Reaktion auf die Verbrechen während der Diktatur der ja durch eine demokratische Wahl an die Macht gekommenen NSDAP – in der Verfassung zwar die Möglichkeit eines Parteiverbots vorgesehen. Aber sie haben zugleich die Hürden hoch gesetzt. Es muss also der AfD nachgewiesen werden, dass sie eine der Parteien ist, die „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“.
Nur zwei Parteien sind in knapp 75 Jahren verboten worden: 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP), 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Die NSDAP-Nachfolgerin NPD überstand zwei Verfahren; zuletzt 2017, weil sie dem Bundesverfassungsgericht zu klein schien dafür, ihr erwiesen verfassungsfeindliches Konzept wirklich zu realisieren.
Anders als die NPD schreibt die AfD nicht auf, dass sie der Demokratie an den Kragen will. Ganz im Gegenteil inszeniert sie sich als Hüterin des Rechtsstaats – und wirft anderen vor, ihn zu verachten. Dieser Art von Umkehrargumentation bedient sich am Dienstagnachmittag auch Weidel, Co-Chefin von Fraktion und Partei. „Es ist skandalös“, wettert sie, „wenn linke Aktivisten mit Stasi-, Geheimdienst- und Zersetzungsmethoden eine private Zusammenkunft angreifen, um unbescholtene Bürger abzuhören und auszuspähen.“
Öffentliche Meinung gespalten
Weidels Blick auf das Grundrecht der Pressefreiheit ergänzt die Sicht ihres Parteifreunds Björn Höcke, der in Thüringen im Herbst Ministerpräsident werden will. Höcke führt mit der AfD in den Umfragen klar, hat „das Stadium des Vorbürgerkriegs“ausgerufen und kündigt die Abschaffung des öffentlichrechtlichen Rundfunks an.
Die in der Republik auf die Straßen gehen, finden, das alles reicht für ein Verbotsverfahren. In Berlin-Regierungsviertel aber warnen Regierungs- wie Oppositionspolitiker: Die AfD werde behaupten, sie solle als politische Konkurrenz erledigt werden. Robert Habeck, der grüne Vizekanzler, zeigt die Hürde auf, die zu nehmen ist: „Sollte sicher nachgewiesen sein, dass eine Partei das Land in einen faschistischen Staat verwandeln will, gehört sie verboten, egal, wie stark sie ist.“
Falls so ein sicherer Nachweis überhaupt möglich ist, dauert er Jahre. Und auch wenn Habeck der AfD „einen Angriff auf das Wesen der Republik“attestiert und „aus Deutschland einen Staat wie Russland machen“zu wollen, findet er, dass „die demokratischen Parteien die AfD politisch schlagen müssen“. Die Bevölkerung ist in der Verbots-Frage gespalten: 47 Prozent sind laut dem Institut Forsa dafür, 48 dagegen.
Weidel übrigens hat Hartwig dann doch gekündigt. Im „guten gegenseitigen Einvernehmen“. Und die AfD-Fraktionschefs in den jungen Ländern haben eine Erklärung veröffentlicht, weshalb sie „Remigration“für „das Gebot der Stunde“halten. Ihr letzter Satz dazu: „Deutschland muss wieder deutscher werden.“
: Sollte sicher nachgewiesen sein, dass eine Partei das Land in einen faschistischen Staat verwandeln will, gehört sie verboten, egal, wie stark sie ist. Robert Habeck, Vizekanzler