„Die DDR hat’s nie gegeben“
Arwed Messmers neues Fotobuch über Architekturruinen Ostdeutschlands
Arwed Messmers Interesse gilt schon lange den politischen Prozessen in der deutschen Geschichte. Sein Buch „Berlin 1966 – 1970“warf einen ganz besonderen Blick auf das Jahr 1968 und zeigte die Studentenproteste aus der Bild-Perspektive der Berliner Schutzpolizei. Dafür wühlte sich der Künstler durch verschiedene Archive der öffentlichen Hand und recherchierte vor allem auch in der Polizeihistorischen Sammlung Berlin um eine filmische, künstlerische Neukomposition, einen anderen, sequenziellen Blick auf die historischen Geschehnisse zu ermöglichen.
Nun ist es das eigene Fotoarchiv, das zu einer intensiven Auseinandersetzung taugt: Das neue Buch von Arwed Messmer, wie immer markant gestaltet vom Leipziger Verlag Spector Books, trägt den Titel „Tiefenenttrümmerung. Der Traum vom Reich“. Es versammelt verschiedene Serien und Bildfolgen und richtet seinen Blick auf die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung. Die zum Teil bisher unveröffentlichten Farb- und Schwarzweißbilder – auch als Kontaktabzüge gedruckt – zeugen von den großen baulichen Veränderungen jener
Jahre, vom Abriss wichtiger Teile des modernen Erbes im Osten Deutschlands – oder auch von den Bauarbeiten in Berlin.
Es sind Trümmerlandschaften, die dieser Band zusammenbringt – etwa jene des einstigen Palasts der Republik, dessen Betongerippe Messmer 2007 fotografiert hat. Diese Architekturruinen der Moderne sind Zeichen, sind Allegorien des modernen Denkens. Sie öffnen die Augen für die Geschichte – stehen auch für Bereinigung. Doch muten diese Fotografien kaum optimistisch an. Im Gegenteil: Was uns hier als ruinöse Landschaft entgegentritt, kann man als Vorstufe einer Zukunft begreifen, vor der man Angst haben konnte – die neue, wiedervereinigte Bundesrepublik.
Und so fasst auch Lennart Labrenz in seiner Besprechung des Fotobuchs in der taz zusammen: „Messmers Blick auf Berlin und Ostdeutschland vermittelt bereits eine Renitenz, die sich bald breitmachen wird: Während in Städten noch DDR-Moderne abgerissen wird, wachsen schon investorenkalte Häuser. Kapitalertragsästhetik drängt dazwischen, neue Balkone verkünden Miethöhen. Das Leben auf dem
Land, ahnen wir, wird den Anschluss verpassen. Die Enttrümmerung beseitigt Erinnerung.“
Weitere Bilder zeigen die ehemalige Heeresversuchsanlage in Peenemünde und Niedersachswerfen, wo in der Zeit des Nationalsozialismus Raketentechnologie entwickelt wurde – bis 1990 war hier militärisches Sperrgebiet. Die Grundsteinlegung des Hotel Adlon am Pariser Platz in Berlin Mitte, das Seebad Bansin bei Wolgast, bereits leere Altbauten in Leipzig – all das präsentiert uns Messmer in seinen Fotografien und Kontaktabzügen. Über, neben den Trümmern, neben Schrott und Müll: Pflanzen, Gestrüpp, Vegetation auf einer Schwundstufe.
Was sagen uns diese Bilder über den Umgang mit der deutschen Geschichte? Enttrümmerung verunmöglicht Erinnerung. Das Vergangene soll verschwinden, das Dunkle. Was tritt dagegen an seine Stelle? Was ist mit der Vergangenheit? Auf einer Fotografie dieses Buchs ragt eine Mauer in die öde Landschaft. Mit weißer Farbe hat jemand darauf gepinselt: „Die DDR hat’s nie gegeben“.
Enttrümmerung verunmöglicht Erinnerung. Das Vergangene soll verschwinden, das Dunkle.