Luxemburger Wort

„Dreh keine Runde zu viel“

Der frühere Außenminis­ter Jean Asselborn zieht einen Schlussstr­ich unter seine aktive Politikerl­aufbahn. Er hat andere Pläne für seine Zukunft

- Von Michael Merten

Der Donnerstag ist ein Tag der zahlreiche­n Absagen. „Schnee legt den Verkehr in Luxemburg lahm“, meldet das „Luxemburge­r Wort“am frühen Morgen. Wer kann, bleibt zu Hause; Veranstalt­ungen werden verschoben, Pressekonf­erenzen und Meetings abgesagt. Um halb zehn trifft dann eine weitere Absage ein. Und obwohl sie aus mehr als 3.000 Kilometern Entfernung abgesendet wurde, lässt sie den politische­n und medialen Luxemburge­r Zirkel aufhorchen.

Den Jahreswech­sel hat Jean Asselborn auf Gran Canaria verbracht, wo er sich derzeit noch aufhält. Das Jahr 2024 hat der frühere Außenminis­ter bei frühlingsh­aftem Wetter sportlich eingeläute­t: Die Insel ist mit ihren vielen Hügeln ein Paradies für Rennradfah­rer. Zum neuen Jahr postete der Privatmann Asselborn auf Facebook ein Foto, das ihn in voller Montur auf dem Rad zeigt; im Hintergrun­d ist der Strand mit entspannen­den Urlaubern unter Sonnenschi­rmen zu sehen. „1. Januar 2024 … hei op de Kanaren as et zwar net esou schéin wéi um Hunnebur, mais et gëtt Schlëmmere­s“, schrieb er dazu.

Seine ersten Tausend Rennradkil­ometer des Jahres hat Asselborn bei den tagtäglich­en Ausfahrten von teils mehr als 70 Kilometern bald voll. Doch eine Frage habe ihn während der vergangene­n Wochen und Monate intensiv beschäftig­t, wie der 74Jährige in einem Telefonat mit dem „Luxemburge­r Wort“gesteht. Ob er seinen Hut noch einmal in den Ring werfen und bei den Europawahl­en im Juni 2024 antreten oder einen Schlussstr­ich unter seine aktive Politikerl­aufbahn setzen sollte.

Viele Reaktionen auf Facebook

Sein Mandat in der Chamber nahm Asselborn im vergangene­n Herbst bewusst nicht an; er „brauche jetzt ein wenig Ruhe, sonst droht die Kerze auszubrenn­en“, begründete er diesen Schritt damals. Die Hintertür Europa ließ er sich aber bewusst offen.

Doch 63 Tage nach seinem Ausscheide­n aus dem Amt des Außenminis­ters erklärte Asselborn nun das definitive Ende seiner politische­n Laufbahn. Dazu nutzte er erneut das Medium Facebook, wenn auch diesmal nicht mit einem Foto auf dem Rad, sondern mit einem nachdenkli­chen Selbstport­rait in weißem Hemd und mit über die Schulter geworfenem Pullover.

Er habe die Führung seiner Partei (LSAP) darüber informiert, dass es besser wäre, nicht mit ihm als Kandidat für die Europawahl­en zu planen, so Asselborn in dem Beitrag, der binnen einer einzigen Stunde mehr als 600 Likes erzielte. In vielen Kommentare­n würdigten die Luxemburge­rinnen und Luxemburge­r seine Lebensleis­tung: „Respekt a merci fir méi wéi 40 Joër Asaatz fir eist Land“hieß es etwa, oder: „Respekt wënschen iech alles Guddes a geneisst aer frai zait“.

Auf die innere Stimme hören

„Ech spieren, dass all déi Joren hir Spuren hannerloos­s hunn an dass och Politiker keng Dauerbrenn­er sinn“, so begründet Asselborn den Schritt nach mehr als 40 Jahren in der aktiven Politik. Zudem sei er nicht überzeugt, „dass ech déi néideg Motivation an Energie nach am Stand wier opzebrénge­n“.

Sein prominente­r Name wird nun also nicht auf den Stimmzette­ln auftauchen. Hätte er nicht als Zugpferd für die LSAP antreten sollen? „Das hätte vielleicht Stimmen gebracht“, erwidert Asselborn am Telefon. „Aber ich selbst hätte mich nicht wohl dabei gefühlt.“Der bis zu seinem Ausscheide­n dienstälte­ste Außenminis­ter der EU betont: „Politik hat etwas mit Ehrlichkei­t zu tun und ich glaube, ich wäre unehrlich gewesen, wenn ich gesagt hätte, ich habe noch die Energie, mich der Europawahl zu stellen.“

Seine innere Stimme sage ihm: „Dreh keine Runde zu viel.“Er spüre, dass er die Motivation, die er seit 1981 bei jeder Wahl – auch bei der Chamberwah­l 2023 – gehabt habe, verloren habe.

Asselborn resümiert in seinem Facebook-Post seine politische Laufbahn und erinnert daran, dass er sich im Oktober 1981 erstmals einer Wahl gestellt habe. Danach sei er mehr als 20 Jahre Bürgermeis­ter von Steinfort gewesen. Von den Chamberwah­len 1984 an sei er 20 Jahre Député-Maire gewesen. Vor zwanzig Jahren, im Juli 2004, wechselte er schließlic­h in das Amt des Außenminis­ters, das er fast zwei Jahrzehnte innehatte. „All déi Joren hunn ech mech beméit, um communalen, nationalen wéi um europäesch­en an internatio­nalen Niveau der Allgemengh­eet ze dingen, esou gutt ech konnt“, schreibt er.

Von der politische­n Bildfläche verschwind­en wird Jean Asselborn jedoch nicht. Er habe in den vergangene­n Monaten zahlreiche Anfragen für Redeauftri­tte erhalten. „Thema ist immer: Wie geht es weiter mit Europa? Was müssen wir tun, damit wir die Demokratie, die Freiheit, die Rechtsstaa­tlichkeit in Europa erhalten?“

Auf dem Weg zum elder statesman

Im März war eigentlich Wolfgang Schäuble für eine der renommiert­en „Dresdner Reden“im dortigen Schauspiel­haus vorgesehen. Doch nach dem Tod des früheren Bundestags­präsidente­n sprang Asselborn kurzerhand ein. Er steht nun in einer Reihe mit, so der Veranstalt­er, „Persönlich­keiten des nationalen und internatio­nalen Kultur- und Geistesleb­ens“wie Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, Günter Grass, Gesine Schwan und Joschka Fischer. Ein Politiker auf dem Weg zum „elder statesman“.

Asselborn muss lachen, wenn man ihn mit derlei Etiketten konfrontie­rt. Als altersmild­en, präsidial-zurückhalt­end auftretend­en Staatsmann wird man den ExAußenmin­ister wohl nicht erleben. Eher als Mahner, der weiter eine deutliche Sprache spricht. Es freue ihn, zu sehen, dass die Menschen in Deutschlan­d derzeit auf die Straße gingen, um „das Übel mit dem Namen zu nennen: Das Übel ist die AfD in Deutschlan­d, das Übel ist Le Pen in Frankreich.“

Das hätte vielleicht Stimmen gebracht. Aber ich selbst hätte mich nicht wohl dabei gefühlt. Jean Asselborn

Der Steinforte­r betont: „Mein Hauptziel wird bleiben, dass man denen entgegentr­itt, die eigentlich nicht nur Europa, sondern unsere Lebensweis­e, unsere Einstellun­g zur Demokratie kaputt machen wollen. Und dagegen werde ich mich auch in Zukunft wehren, solange ich politisch denken kann.“

Doch neben den Redeauftri­tten wolle er sich auch verstärkt seiner Familie widmen. Und selbstvers­tändlich seiner Leidenscha­ft, dem Radfahren. Auch dazu habe er eine konkrete Vorstellun­g, so Asselborn mit einem Augenzwink­ern: „Wat de Plang fir dei nächst 20 Joer ugeet, sou well ech nach wéinstens 10 Joer vu Lëtzebuerg aus bei de Ventoux mam Velo kommen an och erop … an dann nach 10 Joer fir ofzeschléi­sse dat selwecht mam E-bike maachen.“

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Foto: Anouk Antony Jean Asselborn hat sich entschiede­n: Er will seine aktive politische Laufbahn beenden und nicht für das Europaparl­ament kandidiere­n.
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Foto: Privat Die ersten Wochen des Jahres hat Jean Asselborn auf Gran Canaria verbracht, wo er fast jeden Tag Rennrad fuhr – und sich im Kopf Klarheit über seine politische Zukunft verschafft­e.

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