„Dreh keine Runde zu viel“
Der frühere Außenminister Jean Asselborn zieht einen Schlussstrich unter seine aktive Politikerlaufbahn. Er hat andere Pläne für seine Zukunft
Der Donnerstag ist ein Tag der zahlreichen Absagen. „Schnee legt den Verkehr in Luxemburg lahm“, meldet das „Luxemburger Wort“am frühen Morgen. Wer kann, bleibt zu Hause; Veranstaltungen werden verschoben, Pressekonferenzen und Meetings abgesagt. Um halb zehn trifft dann eine weitere Absage ein. Und obwohl sie aus mehr als 3.000 Kilometern Entfernung abgesendet wurde, lässt sie den politischen und medialen Luxemburger Zirkel aufhorchen.
Den Jahreswechsel hat Jean Asselborn auf Gran Canaria verbracht, wo er sich derzeit noch aufhält. Das Jahr 2024 hat der frühere Außenminister bei frühlingshaftem Wetter sportlich eingeläutet: Die Insel ist mit ihren vielen Hügeln ein Paradies für Rennradfahrer. Zum neuen Jahr postete der Privatmann Asselborn auf Facebook ein Foto, das ihn in voller Montur auf dem Rad zeigt; im Hintergrund ist der Strand mit entspannenden Urlaubern unter Sonnenschirmen zu sehen. „1. Januar 2024 … hei op de Kanaren as et zwar net esou schéin wéi um Hunnebur, mais et gëtt Schlëmmeres“, schrieb er dazu.
Seine ersten Tausend Rennradkilometer des Jahres hat Asselborn bei den tagtäglichen Ausfahrten von teils mehr als 70 Kilometern bald voll. Doch eine Frage habe ihn während der vergangenen Wochen und Monate intensiv beschäftigt, wie der 74Jährige in einem Telefonat mit dem „Luxemburger Wort“gesteht. Ob er seinen Hut noch einmal in den Ring werfen und bei den Europawahlen im Juni 2024 antreten oder einen Schlussstrich unter seine aktive Politikerlaufbahn setzen sollte.
Viele Reaktionen auf Facebook
Sein Mandat in der Chamber nahm Asselborn im vergangenen Herbst bewusst nicht an; er „brauche jetzt ein wenig Ruhe, sonst droht die Kerze auszubrennen“, begründete er diesen Schritt damals. Die Hintertür Europa ließ er sich aber bewusst offen.
Doch 63 Tage nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Außenministers erklärte Asselborn nun das definitive Ende seiner politischen Laufbahn. Dazu nutzte er erneut das Medium Facebook, wenn auch diesmal nicht mit einem Foto auf dem Rad, sondern mit einem nachdenklichen Selbstportrait in weißem Hemd und mit über die Schulter geworfenem Pullover.
Er habe die Führung seiner Partei (LSAP) darüber informiert, dass es besser wäre, nicht mit ihm als Kandidat für die Europawahlen zu planen, so Asselborn in dem Beitrag, der binnen einer einzigen Stunde mehr als 600 Likes erzielte. In vielen Kommentaren würdigten die Luxemburgerinnen und Luxemburger seine Lebensleistung: „Respekt a merci fir méi wéi 40 Joër Asaatz fir eist Land“hieß es etwa, oder: „Respekt wënschen iech alles Guddes a geneisst aer frai zait“.
Auf die innere Stimme hören
„Ech spieren, dass all déi Joren hir Spuren hannerlooss hunn an dass och Politiker keng Dauerbrenner sinn“, so begründet Asselborn den Schritt nach mehr als 40 Jahren in der aktiven Politik. Zudem sei er nicht überzeugt, „dass ech déi néideg Motivation an Energie nach am Stand wier opzebréngen“.
Sein prominenter Name wird nun also nicht auf den Stimmzetteln auftauchen. Hätte er nicht als Zugpferd für die LSAP antreten sollen? „Das hätte vielleicht Stimmen gebracht“, erwidert Asselborn am Telefon. „Aber ich selbst hätte mich nicht wohl dabei gefühlt.“Der bis zu seinem Ausscheiden dienstälteste Außenminister der EU betont: „Politik hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun und ich glaube, ich wäre unehrlich gewesen, wenn ich gesagt hätte, ich habe noch die Energie, mich der Europawahl zu stellen.“
Seine innere Stimme sage ihm: „Dreh keine Runde zu viel.“Er spüre, dass er die Motivation, die er seit 1981 bei jeder Wahl – auch bei der Chamberwahl 2023 – gehabt habe, verloren habe.
Asselborn resümiert in seinem Facebook-Post seine politische Laufbahn und erinnert daran, dass er sich im Oktober 1981 erstmals einer Wahl gestellt habe. Danach sei er mehr als 20 Jahre Bürgermeister von Steinfort gewesen. Von den Chamberwahlen 1984 an sei er 20 Jahre Député-Maire gewesen. Vor zwanzig Jahren, im Juli 2004, wechselte er schließlich in das Amt des Außenministers, das er fast zwei Jahrzehnte innehatte. „All déi Joren hunn ech mech beméit, um communalen, nationalen wéi um europäeschen an internationalen Niveau der Allgemengheet ze dingen, esou gutt ech konnt“, schreibt er.
Von der politischen Bildfläche verschwinden wird Jean Asselborn jedoch nicht. Er habe in den vergangenen Monaten zahlreiche Anfragen für Redeauftritte erhalten. „Thema ist immer: Wie geht es weiter mit Europa? Was müssen wir tun, damit wir die Demokratie, die Freiheit, die Rechtsstaatlichkeit in Europa erhalten?“
Auf dem Weg zum elder statesman
Im März war eigentlich Wolfgang Schäuble für eine der renommierten „Dresdner Reden“im dortigen Schauspielhaus vorgesehen. Doch nach dem Tod des früheren Bundestagspräsidenten sprang Asselborn kurzerhand ein. Er steht nun in einer Reihe mit, so der Veranstalter, „Persönlichkeiten des nationalen und internationalen Kultur- und Geisteslebens“wie Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, Günter Grass, Gesine Schwan und Joschka Fischer. Ein Politiker auf dem Weg zum „elder statesman“.
Asselborn muss lachen, wenn man ihn mit derlei Etiketten konfrontiert. Als altersmilden, präsidial-zurückhaltend auftretenden Staatsmann wird man den ExAußenminister wohl nicht erleben. Eher als Mahner, der weiter eine deutliche Sprache spricht. Es freue ihn, zu sehen, dass die Menschen in Deutschland derzeit auf die Straße gingen, um „das Übel mit dem Namen zu nennen: Das Übel ist die AfD in Deutschland, das Übel ist Le Pen in Frankreich.“
Das hätte vielleicht Stimmen gebracht. Aber ich selbst hätte mich nicht wohl dabei gefühlt. Jean Asselborn
Der Steinforter betont: „Mein Hauptziel wird bleiben, dass man denen entgegentritt, die eigentlich nicht nur Europa, sondern unsere Lebensweise, unsere Einstellung zur Demokratie kaputt machen wollen. Und dagegen werde ich mich auch in Zukunft wehren, solange ich politisch denken kann.“
Doch neben den Redeauftritten wolle er sich auch verstärkt seiner Familie widmen. Und selbstverständlich seiner Leidenschaft, dem Radfahren. Auch dazu habe er eine konkrete Vorstellung, so Asselborn mit einem Augenzwinkern: „Wat de Plang fir dei nächst 20 Joer ugeet, sou well ech nach wéinstens 10 Joer vu Lëtzebuerg aus bei de Ventoux mam Velo kommen an och erop … an dann nach 10 Joer fir ofzeschléisse dat selwecht mam E-bike maachen.“