Sunak übersteht vorerst parteiinterne Rebellion
Der britische Premier hat seinen umstrittenen Ruanda-Plan durch das Parlament gebracht. Doch die Debatte wird ihn weiter belasten und viele juristische Fragen bleiben offen
Rishi Sunak möchte Zuversicht ausstrahlen, als er am Donnerstagvormittag in seinem Amtssitz in der Downing Street an das Rednerpult tritt. „Die konservative Partei ist zusammengekommen, und das Ruanda-Gesetz wurde verabschiedet“, sagt Sunak und blickt dabei in die Kamera. „Jetzt ist es an der Zeit, dass die Lords dieses Gesetz ebenfalls verabschieden.“Gemeint sind die Mitglieder des Oberhauses des Parlaments, die sich in der nächsten Runde mit dem umstrittenen Gesetzentwurf befassen werden.
Jetzt gebe es nur noch eine Frage, fährt Sunak fort: „Werden die Opposition und das ernannte House of Lords versuchen, den Willen des Volkes, wie er vom gewählten Parlament zum Ausdruck gebracht wurde, zu vereiteln?“
Innerparteiliches Hickhack
Es klingt beinahe so, als flehe Sunak die Mitglieder der Oberhauses an. Tatsächlich wirkt er an diesem Morgen noch ein wenig aufgekratzter als sonst. Aus gutem Grund: Schon während der zweitägigen Debatte im Unterhaus am Dienstag und Mittwoch war von der beschworenen Einigkeit nicht viel zu sehen. Mehr als 60 Rebellen vom rechten Rand von Sunaks konservativer Partei stimmten gegen den Willen der Regierung für eine Reihe von Änderungsanträgen, die das Ziel hatten, das ohnehin schon umstrittene Gesetz weiter zu verschärfen. Zwei stellvertretende Parteichefs traten sogar von ihren Posten als Vize-Parteichefs zurück, damit sie sich den Rebellen anschließen konnten.
Die Änderungsanträge gingen nur deswegen nicht durch, weil auch die Opposition dagegen stimmte. Bei der endgültigen Abstimmung darüber, ob der Gesetzentwurf in die nächste Runde des Gesetzgebungsprozesses gehen sollte, bekamen die Rebellen offenbar kalte Füße – und stimmten wohl vor allem deswegen für das Gesetz, um Sunak nicht versehentlich zu stürzen.
Doch der Schaden war angerichtet. Das innerparteiliche Hickhack dominierte tagelang die Schlagzeilen. Das fügte dem ohnehin schon ramponiertem Ansehen des Premiers weiteren Schaden zu. In einer YouGov-Umfrage, die diese Woche durchgeführt wurde, baute die oppositionelle Labour-Partei ihren Vorsprung vor den Tories auf 27 Prozent aus.
Weiterer Streit vorprogrammiert
Weiterer Streit um das Ruanda-Gesetz ist daher so ziemlich das Letzte, was Sunak gebrauchen kann. Doch der ist beinahe garantiert. Denn im House of Lords, wo die Tories keine Mehrheit haben, formiert sich bereits seit Wochen Widerstand. Der Jurist Alex Carlile, der als parteiloses Mitglied im Oberhaus sitzt, bezeichnete die Pläne der Regierung als „Schritt in Richtung Totalitarismus“. Die Mitglieder des Oberhauses könnten für eigene Änderungsanträge stimmen oder versuchen, den Gesetzentwurf ganz zu stoppen oder zu verzögern.
Denn das geplante Gesetz legt einseitig fest, dass Ruanda ein sicherer Drittstaat sei. Gerichte sollen daher nicht länger in Erwägung ziehen dürfen, ob Ruanda für Flüchtlinge ein sicheres Land ist oder nicht. Kritiker sehen in dem geplanten Gesetz aus gutem Grund einen autoritären Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.
Die kontroversen Ruanda-Abschiebepläne hat Sunak von seinem Vor-Vorgänger Boris Johnson geerbt. Der gab diese im April 2022 bekannt – just zu der Zeit, als er sich nach einer Reihe von Skandalen gegen Rücktrittsforderungen stemmte. Die damalige Innenministerin Priti Patel und Ruandas Außenminister Vincent Biruta unterzeichneten kurz darauf ein entsprechendes Abkommen.
Die Abschiebungen sollen Flüchtlinge davon abhalten, in Booten von Frankreich aus über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu kommen. Jedes Jahr wagen Tausende von Menschen die gefährliche Überfahrt, bei der es immer wieder zu Todesfällen kommt.
Ihre Zahl ist relativ überschaubar: Im vergangenen Jahr kamen weniger als 30.000 von ihnen auf diesem Weg nach Großbritannien. Die Zahl der (legalen und illegalen) Netto-Zuwanderer betrug 2022 laut der Statistikbehörde ONS 745.000. Das Phänomen der Bootsflüchtlinge ist eine direkte Folge des EUAustritts. Denn seit dem Ende der Brexit-Übergangsfrist Anfang 2021 hat Großbritannien kein Rückführungsabkommen mehr für Flüchtlinge mit seinen europäischen Nachbarländern.
Ob die geplanten Abschiebungen die erhoffte Abschreckungswirkung haben werden, ist mehr als fraglich. Denn bislang wäre Ruanda lediglich dazu in der Lage, einige hundert Flüchtlinge im Jahr aufzunehmen. Und das, obwohl London bereits mindestens 240 Millionen Pfund nach Kigali überwiesen hat.
Juristische Hürden
Die umstrittenen Pläne der Regierung stießen nach deren Bekanntgabe 2022 schnell auf juristische Hürden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stoppte im Juni desselben Jahres den ersten geplanten Flug nach Ruanda. Britische Gerichte begannen, sich mit den geplanten Abschiebungen zu befassen. Der Supreme Court in London, das oberste Gericht des Landes, erklärte die Pläne im vergangenen Oktober in letzter Instanz für illegal.
Rishi Sunaks Regierung unterzeichnete daraufhin im Dezember ein leicht abgewandeltes Abkommen mit der Regierung in Kigali. Und sie setzte den umstrittenen Gesetzentwurf in Gang.
Die ruandische Regierung reagiert auf das Hickhack in London unterdessen zunehmend genervt. Kein Wunder, schließlich rückt der Streit die problematische Menschenrechtslage in dem Land immer wieder ins Rampenlicht. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos darauf angesprochen, bot Ruandas Präsident Paul Kagame Großbritannien an, das bereits gezahlte Geld zurückzuzahlen.
Eine Sprecherin der ruandischen Regierung ruderte später zurück. Sie bot aber an, „eine Rückerstattung eines Teils der zur Unterstützung der Migranten bereitgestellten Mittel“zu überprüfen, falls London sein Geld wiederhaben wolle.