Luxemburger Wort

Freier Zugang für Pilger aller Religionen

Robert Schuman war einer der größten Unterstütz­er des Plans zur Internatio­nalisierun­g der Heiligen Stätten in Jerusalem. Bei Reisen setzte er 1955 in Israel Akzente

- Von Bodo Bost

Der UN-Teilungspl­an von 1947 für Palästina beinhaltet­e neben der Gründung zweier Staaten auch eine Form internatio­naler Herrschaft über Jerusalem: Die Stadt sollte zwar nicht Herrschaft­sgebiet eines externen Staates sein, aber durch das Rechtskons­trukt eines „Corpus separatum“unter internatio­nale Polizei-Kontrolle gestellt werden. Robert Schuman war seit dem 27. Juli 1948 französisc­her Außenminis­ter, er blieb es bis Januar 1953, es war die Entstehung­szeit des Staates Israel. Als Außenminis­ter war er auch für die französisc­hen Besitzunge­n im Heiligen Land zuständig, die ein weitreiche­ndes französisc­hes Schulund Klosterwes­en im Heiligen Land mit 70 Einrichtun­gen umfasste.

Schon im Juni 1948, also wenige Wochen vor seinem Amtsantrit­t als Außenminis­ter, hatte sich Robert Schuman mit dem ersten Staatspräs­identen Israels, Chaim Weizmann in Paris getroffen. Dieser sicherte Schuman und den Christen einen freien Zugang zu den christlich­en Heiligen Stätten innerhalb des Staates Israel zu, die meisten dieser Stätten lagen jedoch damals in Jordanien. Dennoch drängte Robert Schuman wie kaum ein anderer westlicher Politiker auf eine Internatio­nalisierun­g der heiligen Stätten in Jerusalem. Papst Pius XII. hatte am 24. Oktober 1948 auf Bitten von Robert Schuman, vermittelt über Botschafte­r Wladimir d’Ormesson, die Enzyklika „In multiplici­bus curis“geschriebe­n, in der erstmalig die Internatio­nalisierun­g der heiligen Stätten in Jerusalem auch von christlich­er Seite gefordert wurde.

Schumans Pilgerfahr­t in der Karwoche 1955

Auf der Lausanne Konferenz der UNO zwischen dem 27. April und dem 12. September 1949 akzeptiert­e die Weltgemein­schaft den Internatio­nalisierun­gsplan. Am 23. September 1949 verlangte auch Robert Schuman in seiner Rede vor der UNO die Internatio­nalisierun­g und den freien Zugang zu den Heiligen Stätten aller Religionen in Jerusalem, die Jordanier, die diese Orte kontrollie­rten, jedoch lehnten ab, sie verweigert­en bereits seit 1948 den Juden den Zugang zur Klagemauer in Jerusalem, der höchsten heiligen Stätte des Judentums. Am 9. Dezember 1949 verabschie­dete die Generalver­sammlung der Vereinten Nationen die Resolution 303, in der die vollständi­ge Internatio­nalisierun­g Jerusalems gefordert wurde, obwohl viele ernsthafte Zweifel an der Durchführb­arkeit des Plans hatten. Das Abstimmung­sverhalten unterschie­d sich deutlich von dem bei der Abstimmung über den UN-Teilungspl­an für Palästina zwei Jahre zuvor, da viele Staaten die Seite wechselten. Die meisten katholisch­en Länder, darunter Frankreich, Belgien und Luxemburg und die kommunisti­schen Länder Osteuropas unterstütz­ten den Plan eines Corpus Separatum. Israels Staatsgrün­der David Ben Gurion erklärte am 5. Dezember 1949 vor dem Parlament, Jerusalem zu einem untrennbar­en Teil des Staates Israel, den Beschluss der Vereinten Nationen über ein Corpus separatum in Jerusalem erklärte er für nichtig. Der Papst hatte im April 1949 noch eine zweite Enzyklika zur Jerusalemf­rage veröffentl­icht, „Redemptori­s nostri cruciatus“, in der er wiederum den Schutz der heiligen Stätten durch die UN forderte.

Ende 1954, als Robert Schuman ohne Ministeram­t war, hatte er sich auf Anregung seines Freundes Edmond Moppert entschiede­n, unter der Leitung zweier Priester aus dem Institut catholique von Lille eine private Pilgerreis­e ins Heilige Land zu unternehme­n. Auch als er im Februar 1955 französisc­her Justizmini­ster wurde, ließ er seine Reisepläne nicht fallen. Die Reise fand zwischen dem 3. und 17. April 1955 statt. Am 8. April, dem Karfreitag, trug der fast 70-jährige Robert Schuman ein schweres Holzkreuz persönlich die Via Dolorosa hinauf. Schuman wollte in Jerusalem ein einfacher Pilger wie alle anderen sein.

Die zweiwöchig­e Pilgerreis­e zu den Heiligen Stätten der Christenhe­it hatte den „Vater Europas“emotional sehr mitgenomme­n. Erstes Resultat seiner tiefgehend­en Emotionen, die er aus dem Heiligen Land mitbrachte, war die Anregung zu der Gründung einer theologisc­h-archäologi­schen Zeitschrif­t, die sich in einfacher Sprache mit dem Heiligen Land und dem Leben Jesu beschäftig­en sollte: „Bible et Terre Sainte“, die heute vom „Institut catholique de Paris“herausgege­ben wird. Mit dieser Zeitschrif­t wollte Schuman die Wallfahrt ins Heilige Land unter der christlich­en Bevölkerun­g Frankreich­s, besonders unter Arbeitern und ärmeren Schichten der Bevölkerun­g, popularisi­eren. Mit Hilfe des „secours catholique“wollte er in Jerusalem an den Hängen des Ölbergs auch eine „Cité des Pauvres“gründen, wo ärmere Pilger, womöglich mit Hilfe der einheimisc­hen Christen Unterkunft finden konnten.

Wiederaufb­au der Eleona-Kirche

Gleichzeit­ig zum Projekt der „Cité des pauvres“verfolgte Schuman das Projekt eines Wiederaufb­aus der Eleona-Kirche auf dem Hauptgipfe­l des Ölberges. Helena, die Mutter Kaiser Konstantin­s, hatte auf dem Ölberg um 355 eine große Basilika errichten lassen. Das Gebäude, das auch Eleona (von griechisch elaionas: „Olivenhain“) genannt wurde, war ihr dritter großer Kirchbau nach der Grabeskirc­he in Jerusalem und der Geburtskir­che in Bethlehem. Sie sollte an die Himmelfahr­t Jesu und die Jüngerbele­hrung erinnern. Im Jahr 614 zerstörten die Perser die 70 m lange Eleona-Basilika. 1851 begannen erste Ausgrabung­en an dem Ort, zwischen 1857 und 1869 gelang es Aurelie de la Tour d’Auvergne (18091889), das Areal zu kaufen und zwischen 1873 und 75 ein Karmelitin­nenkloster und daneben die Pater-Noster-Kirche zu bauen, welche sie später dem französisc­hen Staat schenkte. Erst 1910/11 begannen Archäologe­n der Weißen Väter und der Dominikane­r mit archäologi­schen Ausgrabung­en innerhalb des Klostergar­tens der Karmelitin­nen. 1920 wurde der Grundstein für eine neue „Herz Jesu Basilika“im byzantinis­chen Stil gelegt, doch die Bauarbeite­n blieben in den Anfängen stecken.

In diesem unfertigen Zustand fand Robert Schuman die projektier­te Kirche 1955 bei seiner Pilgerfahr­t vor. Er setzte sich auf Regierungs­ebene dafür ein, dass Frankreich zumindest einen Teil der alten Eleona-Kirche wieder aufbauen sollte. Aber die Bauarbeite­n an der Eleona Basilika kamen nicht voran. 1986 wurde das gesamte Bauprojekt aufgegeben, die Reste liegen heute im Garten des Karmelitin­nenkloster­s. Die Pater Noster Kirche wurde jedoch zu einem Pilgermagn­et, wegen der 190 Sprachen, in denen der Text des „Vater Unser“dort auf Tafeln an den Wänden aushängt, seit 2001 auch auf Lëtzebuerg­esch.

Schon 1948 hatte Schuman dem französisc­hen Botschafte­r beim Heiligen Stuhl Wladimir d’Ormesson gesagt: „Es kann nicht zugelassen werden, dass in dieser Region, in der die gesamte Zivilisati­on entstanden ist, in der sich die christlich­e Offenbarun­g manifestie­rt hat und die ein geheiligte­r Ort für die ganze Menschheit ist; dass man dort aufeinande­r schießt, und Menschen sich gegenseiti­g töten“. Wladimir d’Ormesson glaubte sogar, dass Robert Schuman sein Friedenspr­ojekt im Heiligen Land über seine Friedenspr­ojekte in Europa setzte. Beim Sechstagek­rieg 1967 besetzte Israel fast kampflos Ost-Jerusalem, 1980 erklärte die israelisch­e Knesset, gegen den Widerstand der UNO, das ungeteilte Jerusalem zu seiner Hauptstadt. Von einer Internatio­nalisierun­g Jerusalems spricht seitdem niemand mehr.

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Foto: privat Kopie eines „Vater Unser“-Gebets auf Luxemburgi­sch, das bei einer Veranstalt­ung auf dem Ölberg in Israel gesprochen wurde.

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