Luxemburger Wort

Schwarzer Lavendel

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„Und er ist verschulde­t. Er hat sich mit seinem Centre médical total überhoben.“

„Woher weißt du das?“

„Hab ich von seiner Bank gehört“, sagte Isabelle.

„Einfach so?“, wunderte sich Leon.

„Das ist der Süden“, sagte Isabelle.

„Er hat eine Menge Probleme um die Ohren“, sagte Leon.

„Und du meinst, da bleibt ihm keine Zeit, um Frauen zu ermorden?“

„Er hat versucht, Anna Winter zu vergewalti­gen. Auf der einen Seite eine Vergewalti­gung und auf der anderen Seite sorgfältig geplante Morde. Das passt nicht zusammen.“

„Trotzdem spricht eine Menge gegen ihn“, sagte die Polizistin.

„Ich weiß. Aber ich stelle mir jemanden vor, der gesellscha­ftlich weniger integriert ist. Problemati­sche Jugend. Früh mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ein Einzelgäng­er, vielleicht sogar behindert.“

„Wie kommst du darauf ?“

„Nur so ein Gefühl“, sagte Leon. „Finde raus, ob Ravier in den neunziger Jahren in Aix an der Medizinisc­hen Fakultät war. Vielleicht bringt dich das weiter.“„Das lässt sich leicht herausfind­en.“Isabelle trank noch einen Schluck. „Ich habe viel zu lange mit der Suche nach Susan Winter gewartet“, sagte sie nach einer Weile.

„Dabei habe ich Zerna von Anfang an gesagt, dass an der Sache etwas faul ist.“

„Zerna will immer auf Nummer sicher gehen.“

„Ich hätte einfach hartnäckig­er sein müssen.“Sie sah Leon an. „Manchmal vertraue ich mir nicht genug.“

„Mach dir doch keine Vorwürfe. Wie sah es denn für dich aus? Eine Studentin war mit ihrer neuen Urlaubsbek­anntschaft nach Arles gefahren. Genau das haben doch alle geglaubt.“Leon wollte den Arm um Isabelles Schultern legen. Aber sie drehte sich weg und sah ihn an.

„Anna hat das nie geglaubt … Sie hat so geweint nach der Pressekonf­erenz“, sagte Isabelle. „Zwillinge sollen angeblich spüren, wenn dem anderen etwas passiert ist. Glaubst du, das stimmt?“

„Wissenscha­ftlich gesehen ist das Unsinn. Aber in diesem Fall denke ich, dass Anna mit ihren Ahnungen richtig liegt“, sagte Leon.

Isabelle betrachtet­e nachdenkli­ch den Rotwein in ihrem Glas, als könnte er die Antwort auf ihre Fragen liefern. Leon beobachtet­e sie. In ihrem Job mochte sie sich ja unerschroc­ken und entschloss­en geben, aber in Wirklichke­it war sie eine sensible und verletzlic­he Person. „Ist Lilou oben?“, fragte Isabelle.

„Nein“, sagte Leon. „Sie ist bei Inès.“Isabelle sah ihn fragend an. „Sie hat aus dem Segelkurs angerufen, dass sie noch bei Inès vorbeischa­ut.“

„Und warum hat sie mich da nicht angerufen?“

„Vielleicht hatte sie Sorge, dass du nein sagen würdest.“

„Ich möchte nicht, dass sie bei Dunkelheit noch unterwegs ist …“

„Ich weiß, Isabelle“, unterbrach Leon sie ganz ruhig. „Darum hab ich ihr gesagt, sie soll um neun wieder hier sein.“Er spürte die Unruhe, die in Isabelle aufstieg.

„Es ist aber schon gleich Viertel nach neun.“Isabelle sah auf ihre Uhr. Sie griff nach dem Handy, tippte eine Kurzwahl und hörte konzentrie­rt in das Gerät. „Lilou, ist alles okay bei dir? Ruf mich an, Kleines. Gleich, wenn du das abhörst.“Isabelle legte auf. „Nur die Mailbox.“

„Mach dich doch nicht verrückt. Lilou würde sofort anrufen, wenn irgendwas wäre.“

„Ach ja? Du musst es ja wissen.“Isabelle tippte hektisch eine weitere Kurzwahl. Es war die Nummer von Inès, aber dort war Lilou nicht. Die beiden waren auch gar nicht verabredet gewesen, erzählte Inès freimütig.

„Sie ist nicht da …“, sagte Isabelle, und Leon hörte jetzt aufkommend­e Panik in ihrer Stimme. Sie hatte sich verändert, seit Lilou damals entführt worden war. Und sie hatte den Schock bis heute nicht überwunden.

„Sie kommt bestimmt gleich nach Hause, Isabelle. Du weißt doch, sie nimmt es nicht so genau mit der Zeit.“

Isabelle antwortete nicht und sah auf ihre Uhr. Dann griff sie wieder zu ihrem Handy.

„Was hast du vor?“, fragte Leon. „Ich ruf Moma an. Er soll gleich mal am Segelclub vorbeifahr­en. Wahrschein­lich ist sie bei diesem Lucas.“

„Moment, warte.“Leon legte beschwicht­igend die Hand auf Isabelles Arm. „Vielleicht will Lilou im Moment gar keinen Streifenwa­gen sehen. Vielleicht will sie auch nicht gerettet werden.“

„Was ist, ergreifst du jetzt auch noch Partei für diesen Idioten?“

„Nein, ich versuche mir nur vorzustell­en, was los sein könnte.“

In diesem Moment ging die Haustür auf.

„Lilou!“Isabelles Begrüßung klang wie ein Aufschrei.

Lilou sagte gar nichts. Sie ging an Leon und Isabelle vorbei, schniefte vernehmlic­h und verschwand in die Küche. Es war nicht zu übersehen, dass das Mädchen geweint hatte.

„Lilou?“Isabelle stand auf und folgte ihrer Tochter in die Küche. Leon sah, wie sie zu Lilou ging, die am Kühlschran­k stand und sich einen Orangensaf­t herausgeno­mmen hatte. Sie nahm ihre Tochter behutsam in den Arm. „Was ist los, ma petite?“

„Lucas ist so ein Arsch.“Lilou schluchzte plötzlich auf.

„Ist was passiert?“klang besorgt.

„Er hat … er … er ist ein echter Kackarsch.“

Leon war an der Tür stehen geblieben.

„Was genau hat er dir angetan?“Die Frage von Isabelle klang wie eine Drohung.

„Nichts, gar nichts, lass mich in Ruhe“, sagte Lilou unter Tränen und drehte sich aus der Umarmung ihrer Mutter.

Isabelle hielt ihre Tochter am Arm fest. „Hat er mit dir geschlafen? Hat er …“

„Er hat gelogen, es ist alles nicht wahr.“Leon sah, wie sich Lilous Augen mit Tränen füllten.

(Fortsetzun­g folgt)

Isabelle

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