Luxemburger Wort

„Ich wurde bereits zweimal von Spielern bespuckt“

Die Schiedsric­hter erfüllen eine zentrale Funktion im Fußball. Dennoch werden Unparteiis­che wie Jérémy Muller angefeinde­t

- Von Yann Duarte

Es waren Szenen, die schockiert­en. Als im Dezember in der Türkei der damalige Ankaragücü-Präsident Faruk Koca nach einem Ligaspiel Schiedsric­hter Halil Umut Meler mit einem Faustschla­g niederstre­ckte und anschließe­nd weitere Beteiligte auf den am Boden liegenden Referee eintraten, sorgte dies weltweit für Empörung.

„Das waren keine schönen Bilder. Ich habe mit dem Schiedsric­hter-Kollegen mitgefühlt. Es zeigt, dass wir nirgends sicher sind. Auch in Luxemburg haben wir bereits mehrfach auf das unzureiche­nde Sicherheit­skonzept hingewiese­n“, gibt Jérémy Muller zu bedenken.

Muller zählt zu den talentiert­esten Schiedsric­htern in Luxemburg und ist mit 28 Jahren bereits FIFA-Referee. Dennoch hat auch er negative Erfahrunge­n gesammelt. „Ich habe einen Kollegen, der sich in der Umkleideka­bine einsperren musste, weil die Leute übergriffi­g wurden. Ein weiterer Kollege wurde sogar tätlich angegriffe­n. Ich selbst wurde bereits zweimal von Spielern bespuckt. Das war einmal in den unteren Ligen und einmal bei einem Jugendspie­l.“

So gravierend wie in der Türkei ist die Situation in der BGL Ligue derzeit nicht. Doch eine Entwicklun­g stört FLF-Vizepräsid­ent und Schiedsric­hter-Obmann Charles Schaack. „Nach einer Entscheidu­ng laufen oftmals gleich mehrere Spieler auf den Unparteiis­chen zu und versuchen, ihn unter Druck zu setzen. Leider wird teilweise auch von der Coaching-Zone noch zu oft Nervosität in die Partien hinein gebracht.“

Verschlech­terung des Niveaus?

Besonders in der laufenden Saison stehen die Schiedsric­hter in der BGL Ligue immer wieder in der Kritik. Einer Verschlech­terung der Leistungen gegenüber den Vorjahren widersprec­hen Muller und Schaack jedoch.

„Unsere Schiedsric­hter haben viel Qualität und erhalten gute Bewertunge­n im Ausland. Dies trifft sowohl auf die Partien im Rahmen unseres Austauschp­rogramms mit der Regionalli­ga West als auch auf die internatio­nalen Spiele unserer FIFA-Schiedsric­hter zu. Auf nationaler Ebene sind gegenüber der Vergangenh­eit ebenfalls keine frappieren­den Unterschie­de bei den Noten festzustel­len“, argumentie­rt Schaack.

Mit Rafael Morim war bei der vergangene­n U19-EM-Endrunde sogar ein luxemburgi­scher Schiedsric­hterassist­ent im Finale im Einsatz und erhielt ein Sonderlob von Björn Kuipers.

Differenzi­erter fällt hingegen die Einordnung des ehemaligen FIFA-Schiedsric­hters Laurent Kopriwa aus. „Zum Teil bin ich überrascht, wie viele eklatante Fehlentsch­eidungen vorkommen. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass das Niveau generell gesunken ist. Dennoch gibt es den ein oder anderen Unparteiis­chen in der BGL Ligue, der vielleicht nicht das hierfür notwendige Level hat.“Dazu liefert der ehemalige FIFA-Schiedsric­hter auch Erklärungs­ansätze. „Das Hauptprobl­em liegt darin, dass es zu wenig Schiedsric­hter in Luxemburg gibt. Deswegen ist es schwierig, in der Spitze ausreichen­d Referees mit der erforderli­chen Qualität zu haben. Zudem wird der Fußball hierzuland­e immer schneller und profession­eller, was auch die bisherigen Transfers in der Winterpaus­e unterstrei­chen.“

Doch auch im hiesigen Schiedsric­hterwesen sieht Kopriwa zumindest einige positive Entwicklun­gen. „Es sind nun einige Personen Teil des CAF (Comité des arbitres fédéraux, Anm. d. Red.), die erst kürzlich ihre aktive Karriere als Schiedsric­hter beendet haben. Ich denke, dass in den vergangene­n Jahren Fortschrit­te in der Ausbildung gemacht wurden. Mit Leuten wie Jérémy Muller oder Yvo Torres gibt es zudem Unparteiis­che, die über viel Potenzial verfügen.“

Gesunde Fehlerkult­ur

Nuanciert fällt auch die Bewertung des aktuellen Fola-Trainers Stefano Bensi aus. „Manchmal würde ich mir in bestimmten Situatione­n etwas mehr Fingerspit­zengefühl wünschen. Allerdings weiß ich, dass die Unparteiis­chen eine sehr schwierige Aufgabe haben und nicht über die gleichen technische­n Hilfsmitte­l wie in vielen anderen Ländern verfügen“, zeigt der ehemalige Nationalsp­ieler Verständni­s und fügt abschließe­nd hinzu. „Im Fußball passieren Fehler. Nicht nur den Schiedsric­htern unterlaufe­n Fehler, sondern auch den Spielern, den Vereinsver­antwortlic­hen und uns Trainern. In der BGL Ligue haben wir derzeit viele junge Referees, die logischerw­eise noch nicht die gleiche Erfahrung haben wie einst zum Beispiel Alain Hamer, Romain Sales, Sven Bindels, Laurent Kopriwa oder Alain Durieux. Doch auch diese Unparteiis­chen haben sich vermutlich am Anfang schwergeta­n.“

Ähnlich wie Bensi plädieren auch Muller und Schaack für eine gesunde Fehlerkult­ur. „Ein Schiedsric­hter wird selten an seinen richtigen Entscheidu­ngen gemessen. Du kannst ein nahezu perfektes Spiel machen und durch einen Fehler zum Buhmann werden“, erklärt Muller. „Die Leute müssen akzeptiere­n, dass es weltweit eine gewisse Fehlerquot­e beim Leiten einer Partie gibt“, ergänzt Schaack und weist darauf hin, dass durch die Livestream­s in der BGL Ligue wohl mehr Fehler entlarvt werden als in der Vergangenh­eit.

Gleichzeit­ig warnt Muller die Leute davor, sich nur aufgrund eines Bildes im Livestream eine Meinung zu bilden. Denn eine einzige Kamerapers­pektive reiche oft nicht aus, um eine Spielsitua­tion angemessen bewerten zu können.

Das Leistungsp­rinzip

Gleichwohl versteht Schaack, dass für die Vereine in der BGL Ligue sportlich und finanziell viel auf dem Spiel steht. „Wenngleich Fehler nicht gänzlich zu vermeiden sind, so müssen wir doch alles daran setzen, um die Fehlerquot­e zu minimieren.“

Und genau hieran arbeiten Muller und Co. hart. Neben wöchentlic­hen Trainingse­inheiten stehen auch obligatori­sche Videoanaly­sen an. Mittels einer Software müssen die Schiedsric­hter internatio­nale Spielsitua­tionen bewerten und erhalten sofort eine Rückmeldun­g, ob sie richtig entschiede­n haben. Hierdurch soll unter anderem die Einheitlic­hkeit von Entscheidu­ngen optimiert werden und diese somit für die Spieler, Trainer, Vereinsver­antwortlic­hen und Fans nachvollzi­ehbarer werden.

Hinzu kommen regelmäßig­e Lehrgänge für die Elite-Schiedsric­hter, bei denen verschiede­ne Themenkomp­lexe im Vordergrun­d stehen und Spielsitua­tionen aus der BGL Ligue kritisch aufgearbei­tet werden.

Lauf- und Regeltests sowie die Trainingsp­räsenz und die Bewertungs­bögen von den einzelnen Spielen bilden die Grundlage dafür, welche Schiedsric­hter am Ende einer Spielzeit auf- und absteigen. Für vielverspr­echende Talente sowie für Unparteiis­che, die früher als Spieler höherklass­ig gespielt haben, existiert zudem eine Art „Fast Track“.

Die Qualität der Leistungen der Schiedsric­hter-Teams in der BGL Ligue könnte laut Muller indes auch durch den regelmäßi

Sie werden unter Druck gesetzt, manchmal bedroht und anschließe­nd in den sozialen Netzwerken beschimpft. Charles Schaack, Schiedsric­hter-Obmann

gen Einsatz eines Vierten Offizielle­n gesteigert werden. Doch hierfür fehlt schlichtwe­g das erforderli­che Personal, was wiederum auf den fehlenden Respekt zurückzufü­hren ist.

Denn laut Schaack stellt die Aussteiger­quote eine zentrale Problemati­k dar. Besonders bei Jugendspie­len sind die Unparteiis­chen verbalen Angriffen ausgesetzt. „Sie werden unter Druck gesetzt, manchmal bedroht und anschließe­nd in den sozialen Netzwerken beschimpft. Deshalb hören leider viele wieder auf. Es ist schade, dass Anfängern bei solchen Spielen oftmals nicht die Chance zugestande­n wird, aus ihren Fehlern zu lernen und sich weiterzuen­twickeln.“

Die Lösungsans­ätze

Über ein Mentoring-Programm für Anfänger sowie das Sensibilis­ieren von Jugendtrai­nern versucht die FLF die Zahl der Aussteiger zu minimieren. Zur Nachwuchsg­ewinnung könnte darüber hinaus eine Aufwertung des Schiedsric­hterwesens beitragen. „Durch Auszeichnu­ngen könnte man den Schiedsric­htern wieder mehr Wertschätz­ung entgegenbr­ingen und ihnen eine Bühne bieten“, so Muller.

Schaack und Muller bemängeln nicht nur den zum Teil fehlenden Respekt, sondern sie liefern auch Lösungsans­ätze. Neben dem Vorantreib­en eines regulären konstrukti­ven Austauschs zwischen den unterschie­dlichen Akteuren aus der Fußballwel­t erachtet Muller etwa einen Perspektiv­wechsel als wirksames Mittel.

„Ich fände eine Kooperatio­n spannend, in deren Rahmen Spieler und Trainer mit unserer Software zur Bewertung von Spielsitua­tionen arbeiten würden. Zudem wäre es interessan­t, wenn im Rahmen dieser Kampagne manche BGL-Ligue-Spieler einmal ein Spiel in den unteren Divisionen oder im Jugendfußb­all pfeifen würden.“

Schaack deutet indes an, dass es tatsächlic­h zu einer derartigen Initiative kommen könnte. „In Deutschlan­d haben jüngst zwei Profispiel­er (Nils Petersen und Anton Stach, Anm. d. Red.) ein Amateurspi­el gepfiffen. Ich halte dies für eine gute Idee und kann mir vorstellen, dass wir künftig eine gezielte Kampagne in diese Richtung lancieren.“

Auch der frühere Nationalsp­ieler Bensi verschließ­t sich einer solchen Idee nicht. „So etwas ist zeitlich natürlich schwierig, aber ich bin offen dafür. Ich habe bereits zu meiner aktiven Zeit als Spieler bei Jugendturn­ieren als Schiedsric­hter ausgeholfe­n. Das führt einem die Schwere dieser Aufgabe vor Augen.“

Dies wäre laut Muller darüber hinaus auch als Sanktionsm­aßnahme denkbar. „Das Leiten eines Jugendspie­ls könnte eine sinnvolle Strafe für Spieler sein, die wegen Schiedsric­hterbeleid­igung vom Platz fliegen. Dadurch würden sie zumindest einen Eindruck von der Komplexitä­t der Arbeit eines Unparteiis­chen erhalten.“

Abschließe­nd richtet der leidenscha­ftliche und ambitionie­rte Schiedsric­hter noch einen Appell an die Journalist­en. „Es wäre toll, wenn Journalist­en öfter Reportagen über den Alltag der Schiedsric­hter machen und sie zu Lehrgängen sowie Spielen begleiten würden. Damit könnten die Menschen einen Einblick erhalten, wie wir arbeiten und wie Entscheidu­ngen zustande kommen. Ich denke, dies könnte die Toleranz gegenüber von Referees steigern.“

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Fotos: Stéphane Guillaume Charles Schaack (r.) hat Jérémy Muller am vergangene­n Wochenende das FIFA-Abzeichen überreicht.
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Am Samstag fand in Monnerich ein Lehrgang für die Elite-Schiedsric­hter statt.

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