Luxemburger Wort

Vor 20 Jahren sorgte der Ombudsman für Aufregung

Am 21. Januar 2004 wurde Marc Fischbach als erster Bürgerbeau­ftragter Luxemburgs vereidigt. Seine Wahl wurde damals zum Politikum. In die Kritik geriet auch seine Nachfolger­in Lydie Err

- Von Simone Molitor

„Knouterman­n“nannte ihn der ehemalige Premiermin­ister Jean-Claude Juncker (CSV) und meinte damit Marc Fischbach beziehungs­weise die Instanz, die heute vor allem als Ombudsman bekannt ist. In einem Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“stellte der Berichters­tatter des Gesetzes, Paul-Henri Meyers (CSV), im Juli 2003 klar, dass es sich nicht um einen Nörgler, sondern um „einen Vermittler“handele, dessen Rolle „eine konstrukti­ve“sei. Als einen der Hauptgründ­e für die Schaffung des Amtes nannte Meyers „die zunehmende politische Verunsiche­rung der Bürger“.

Luxemburg war eines der letzten europäisch­en Länder, das eine solche Institutio­n geschaffen hat: vor 20 Jahren – dabei lag ein erster Entwurf bereits 1976 auf dem Tisch, der aber nie Gesetzeskr­aft erlangte. Erst im zweiten Anlauf, ein Vierteljah­rhundert später, klappte es mit dem Bürgerbeau­ftragten – 194 Jahre, nachdem in Schweden der erste Ombudsman sein Amt angetreten hatte. Von dort stammt auch der geschlecht­sneutrale Begriff „Ombudsman“, der so viel wie „Vermittler“oder „Fürspreche­r“bedeutet.

Fischbach setzt sich gegen fünf Mitbewerbe­r durch

Am 16. Juli 2003 gab das luxemburgi­sche Parlament grünes Licht. Das Gesetz folgte am 22. August. Und am 18. Dezember 2003 bekam der erste Bürgerbeau­ftragte des Großherzog­tums mit Marc Fischbach ein Gesicht. 32 Abgeordnet­e entschiede­n sich – in geheimer Wahl, ohne Fraktionsz­wang – für den ehemaligen CSVMiniste­r, der seit 1998 Richter am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg war.

Fünf weitere Kandidaten hatten sich um das Amt beworben. Hauptkonku­rrentin Fischbachs war seine spätere Nachfolger­in, die LSAP-Abgeordnet­e Lydie Err. Sie und der Rechtsanwa­lt Jean-Jacques Schonckert erhielten je elf Stimmen, der Rechtsanwa­lt Aly May und der Richter am Verwaltung­sgerichtsh­of Marc Feiereisen je eine Stimme, während der ADEM-Berater Jean-Pierre Dahm leer ausging.

Opposition wittert „politische­n Kuhhandel“

Fischbachs Personalie war umstritten. Die Opposition warf ihm seine politische Vergangenh­eit vor, obwohl er das nationalpo­litische Parkett sechs Jahre zuvor verlassen hatte. Hinter der Prozedur wurde ein „politische­r Kuhhandel“vermutet. Der damalige Fraktionsc­hef von Déi Gréng, François Bausch, sprach von einer „koalitions­intern abgemachte­n Sache“.

Die Grünen hatten dafür plädiert, den Posten parteipoli­tisch neutral zu besetzen und sprachen in einer Stellungna­hme von „einem schlechten Tag für die Demokratie“. „Anstatt auf eindeutige Sachkenntn­is und politische Neuerung zu setzen, wurde die Parteiräso­n in den Vordergrun­d gestellt und somit ein klares parteipoli­tisches Aushängesc­hild auf diesen wichtigen Posten gehoben“, kritisiert­e Bausch vor mehr als 20 Jahren.

Scharfe Kritik kam seinerzeit auch von der Staatsbeam­tengewerks­chaft CGFP, die eine solche Stelle für „überflüssi­g“hielt und befürchtet­e, dass der Ombudsman vor allem die Beamten kontrollie­ren wolle.

Trotz aller Kontrovers­en wurde Marc Fischbach am 21. Januar 2004 als erster Bürgerbeau­ftragter Luxemburgs vereidigt. Am 2. Mai 2004 öffnete die neue Anlaufstel­le in den Räumen des ehemaligen Passbüros ihre Türen für Bürgerinne­n und Bürger, die sich vom Verwaltung­sapparat benachteil­igt fühlen. Als Fischbach seine Arbeit offiziell aufnahm, lagen bereits 30 Dossiers auf seinem Schreibtis­ch.

Ära Marc Fischbach beginnt mit viel Gegenwind

Fischbach selbst sah sich als „Partner und Berater der Verwaltung­en, als Vermittler zwischen dem Bürger und dem Verwaltung­sapparat – und nicht als Kontrolleu­r“. Von Mai bis September 2004 gingen 587 Beschwerde­n in seiner Dienststel­le ein. Insgesamt hatten sich rund 1.100 Personen mit Anfragen an ihn gewandt. Hauptgrund der Beanstandu­ngen: zu lange Antwortfri­sten.

Zwischen Oktober 2004 und September 2005 befasste sich der Médiateur mit 953 Beschwerde­n. „Ich habe zwar mit zahlreiche­n Fällen gerechnet, doch der rege Zuspruch deutet auf einen tiefgreife­nden Bedarf hin“, sagte er in einem Interview mit dem Télécran im Mai 2005. Der Umgang mit dem Bürger lasse sehr zu wünschen übrig und sei dringend verbesseru­ngswürdig, so Fischbach bei der Vorstellun­g des Berichts. Besonders beanstande­te er das langsame Arbeiten der für Immigratio­n zuständige­n Abteilung im Außenminis­terium.

Im Mai 2006 wurde eine Anlaufstel­le in Wiltz eingericht­et. Wegen zunehmende­r Beschwerde­n aus dem Gefängnis hatte Fischbach zudem beschlosse­n, regelmäßig­e Sprechstun­den in Schrassig und Givenich zu organisier­en.

In seiner Zeit als Bürgerbeau­ftragter hat sich der erste Ombudsman Luxemburgs nicht nur Freunde gemacht. So reagierte etwa Umweltmini­ster Lucien Lux (LSAP) im November 2006 heftig auf die Vorwürfe gegen die Umweltverw­altung. Am Ende seiner Amtszeit zog Fischbach dennoch eine weitgehend positive Bilanz. Manches, was er vor Jahren an

: Ich habe zwar mit zahlreiche­n Fällen gerechnet, doch der rege Zuspruch deutet auf einen tiefgreife­nden Bedarf hin. Marc Fischbach, Ombudsman von 2004 bis 2012

gestoßen habe, sei inzwischen in Gesetzeste­xte gegossen worden, rief er in einem Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“im Februar 2017 in Erinnerung. Als Beispiele nannte er die Online-Petitionen, die Reform des Strafvollz­ugs sowie der ADEM und die Schaffung des „Conseil national de la justice“.

Ära Lydie Err sorgt für Schlagzeil­en

Nachfolger­in von Marc Fischbach wurde am 1. Februar 2012 die LSAP-Abgeordnet­e Lydie Err. Einziger Gegenkandi­dat war der damalige ADR-Generalsek­retär Roy Reding, der jedoch nur drei Stimmen erhielt. Err bekam 44. „Man kann nicht in allen Fällen etwas ändern. Ich kann und will aber dafür sorgen, dass die Menschen verstehen, wie und warum administra­tive oder politische Entscheidu­ngen zustande gekommen sind“, versprach sie.

Einige Jahre später, bei der Vorstellun­g des Berichts im März 2015, stellte sie fest, dass die Institutio­n kaum noch infrage gestellt werde. Die einzige Ebene, auf der es noch problemati­sche Haltungen gebe, seien die Gemeinden. Nicht alle würden kooperiere­n und die Antwortfri­sten einhalten – eine Kritik, die ihre Nachfolger­in Claudia Monti später wiederhole­n sollte. Außerdem bedauerte Err, dass „von den 50 Empfehlung­en, die seit Bestehen des Büros der Ombudspers­on ausgesproc­hen wurden, nur die Hälfte berücksich­tigt wurde“.

Gleich zu Beginn ihrer Mandatszei­t kam es unterdesse­n zu internen Spannungen mit dem Personal. Einige Mitarbeite­r waren mit der Art und Weise, wie Lydie Err die Dienststel­le führte, unzufriede­n und sprachen von chaotische­n Zuständen. Der Rechnungsh­of untersucht­e den Vorwurf möglicher Unregelmäß­igkeiten in der Finanz- und Buchführun­g, konnte aber „keine signifikan­ten Fehler“feststelle­n.

Lydie Err blieb nur fünf Jahre im Amt. Wegen der Altersgren­ze von 68 Jahren wurde sie vorzeitig ersetzt.

Ära Claudia Monti dauert noch bis April 2025

Dritte Bürgerbeau­ftragte wurde die damals 45 -jährige Juristin und DP-Mitglied Claudia Monti, die seit April 2017 im Amt ist. Sie setzte sich mit 35 Stimmen gegen vier Mitbewerbe­r durch. Es sei ihr wichtig, „dass die Verwaltung­en sie nicht als Feind sehen“, sagte Monti bei ihrem Amtsantrit­t. Zu Beginn war die Flüchtling­sproblemat­ik ein Schwerpunk­t, zuletzt beschäftig­te sie die zunehmende Digitalisi­erung der öffentlich­en Dienste. Ihr Mandat endet im April 2025.

Ihr letzter Bericht geht auf das Jahr 2021 zurück, wo sie sich mit 975 Beanstandu­ngen befasste. 780 Beschwerde­n betrafen staatliche Verwaltung­en oder Einrichtun­gen. „Bei den Problemen handelt es sich größtentei­ls um Langwierig­keit, ausbleiben­de Antworten und übertriebe­ne Rigidität. Oder die Menschen verstehen schlicht nicht, was da entschiede­n wurde“, fasste sie bei der Vorstellun­g im Juli 2022 zusammen.

Derweil steht die Veröffentl­ichung der Berichte aus den Jahren 2022 und 2023 noch aus. Im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“geht die Bürgerbeau­ftragte auf die Gründe ein und gibt erste Einblicke in die beiden Bilanzen. Das Interview lesen Sie nächste Woche.

: Man kann nicht in allen Fällen etwas ändern. Ich kann und will aber dafür sorgen, dass die Menschen verstehen, wie und warum administra­tive oder politische Entscheidu­ngen zustande gekommen sind. Lydie Err, Bürgerbeau­ftragte von 2012 bis 2017 : Anstatt auf eindeutige Sachkenntn­is und politische Neuerung zu setzen, wurde die Parteiräso­n in den Vordergrun­d gestellt. François Bausch, damaliger Fraktionsc­hef von Déi Gréng

 ?? Foto: LW-Archiv / Montage: Sabina Palanca ?? Die bisherigen Ombudspers­onen auf einen Blick: Marc Fischbach (20042012), Lydie Err (2012-2017) und Claudia Monti (2017 bis heute)
Foto: LW-Archiv / Montage: Sabina Palanca Die bisherigen Ombudspers­onen auf einen Blick: Marc Fischbach (20042012), Lydie Err (2012-2017) und Claudia Monti (2017 bis heute)

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg