Luxemburger Wort

Warum ein Urteil zum Faschisten-Gruß in Italien irritiert

Das höchste Gericht hat entschiede­n, dass das Zeigen des „saluto romano“keinen Straftatbe­stand darstellt. Das sorgt für viel Unverständ­nis

- Von Dominik Straub (Rom)

Das Thema ist in Italien gerade von höchster Aktualität: Am 7. Januar waren in Rom etwa tausend Neofaschis­ten aufmarschi­ert, um drei „gefallenen Kameraden“zu gedenken, die 1978 bei einem Anschlag von Linksterro­risten getötet worden waren. Bei der Gedenkzere­monie wurde – wie immer bei solchen Treffen der italienisc­hen Neofaschis­ten – auch der „saluto romano“, der römische Gruß mit dem ausgestrec­kten rechten Arm gezeigt. Er entspricht dem Hitlergruß in Deutschlan­d.

Die Polizei war bei dem unheimlich­en Gedenkanla­ss nicht eingeschri­tten, Regierungs­chefin Giorgia Meloni, Chefin der postfaschi­stischen Fratelli d‘Italia, schweigt dazu bis heute. Umso hitziger ist die Diskussion um den Faschisten- Gruß, die in Italien seither geführt wird. Im Verfahren vor dem Kassations­hof in Rom, dem höchsten Gericht in

Italien, ging es am Donnerstag um einen mehr oder weniger identische­n Vorfall in Mailand: 2016 hatten auch in der lombardisc­hen Metropole rund tausend Neofaschis­ten bei einer Gedenkzere­monie für einen anderen „Gefallenen“den „saluto romano“gezeigt. Sie waren von der Mailänder Justiz in erster Instanz freigespro­chen, aber in der zweiten Instanz wegen „Verherrlic­hung des Faschismus“verurteilt worden.

Verherrlic­hung steht unter Strafe

Nun muss der Fall in Mailand neu beurteilt werden: Der Kassations­hof hat entschiede­n, dass das Zeigen des Faschisten-Grußes kein Straftatbe­stand darstelle, solange er nur bei Gedenkfeie­rn gezeigt werde und keine „konkrete Gefahr“bestehe, dass wieder eine faschistis­che Partei gegründet werde.

Die „Verherrlic­hung des Faschismus“wird in Italien gleich durch zwei Gesetze unter Strafe gestellt. Das Scelba-Gesetz aus dem Jahr 1952 verbietet die Neugründun­g einer faschistis­chen Partei und die Verbreitun­g faschistis­cher Propaganda. Das Mancino-Gesetz von 1993, mit welchem Italien die New Yorker Konvention gegen Rassendisk­riminierun­g adaptiert hatte, verbietet unter anderem „jegliche Kundgebung­en von Organisati­onen, die aus rassistisc­hen, ethnischen, nationalen oder religiösen Gründen zu Diskrimini­erung oder Gewalt aufrufen“.

Was faschistis­che Propaganda oder gar die Neugründun­g einer faschistis­chen Partei anbelangt, ist die Rechtslage also relativ klar. Nur: Der faschistis­che Gruß als solcher ist weder im Scelba- noch im Mancino-Gesetz ausdrückli­ch verboten.

Der ehemalige sozialdemo­kratische Abgeordnet­e Emanuele Fiano, dessen Vater das Konzentrat­ionslager von Auschwitz nur knapp überlebt hatte, bezeichnet den Entscheid des Kassations­hofs als „ambivalent“. Fiano hatte in der vergangene­n Legislatur ein Gesetz eingebrach­t, mit welchem das Zeigen von faschistis­chen Gesten – und genau dies ist der „saluto romano“– ausdrückli­ch unter Strafe gestellt werden sollte. Natürlich müsse die Meinungsfr­eiheit gewährleis­tet werden, nicht jeder Faschisten-Gruß müsse bestraft werden, betont Fiano. „Aber wenn tausend Personen zusammen und gleichzeit­ig diese bedeutungs­volle und gewaltverh­errlichend­e Geste machen, dann ist das kein harmloses Gedenken mehr. Sondern eine politische Aktion“.

Jedes Jahr Dutzende Aktionen

Und solche politische­n Aktionen gibt es in Italien jedes Jahr Dutzende. Nach dem

Urteil des Kassations­hofs dürften es in Zukunft noch mehr werden, befürchtet der „Corriere della Sera“. Umso mehr, als seit 15 Monaten in Rom eine Frau an der Spitze der Regierung steht, die gegen revisionis­tische Reflexe ebenfalls keineswegs gefeit ist. Giorgia Meloni hat zwar noch nie den Faschisten-Gruß gezeigt und hält sich von neofaschis­tischen Manifestat­ionen fern. Doch wie alle ihre Parteigeno­ssinnen und - genossen sie tut sich überaus schwer damit, den Antifaschi­smus, wie er in der italienisc­hen Verfassung festgeschr­ieben ist, als Wert als solchen anzuerkenn­en.

Der Mitte-Politiker und ehemalige Minister für wirtschaft­liche Entwicklun­g, Carlo Calenda, brachte es am Donnerstag so auf den Punkt: „Das Problem besteht nicht darin, dass es in Italien Faschisten gibt – die gibt es in allen Ländern. Unser wahres Problem ist ein Kulturelle­s und besteht darin, dass immer noch viele Italiener glauben, dass der Faschismus eigentlich auch seine positiven Seiten hatte und dass Mussolinis einziger Fehler darin bestand, sich mit Hitler zu verbünden.“

Mehr als hundert Jahre nach der Machtergre­ifung Mussolinis, schrieb auch der „Corriere della Sera“in resigniert­em Ton, hätten es die Italiener immer noch nicht geschafft, ihre Geschichte aufzuarbei­ten, um endlich „ein neues Kapitel aufzuschla­gen“.

Die „Verherrlic­hung des Faschismus“wird in Italien gleich durch zwei Gesetze unter Strafe gestellt.

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Foto: Getty Images Der Faschisten-Gruß ist bei Kundgebung­en der Faschisten – wie hier in Predappio in der Provinz Forlì anlässlich des 100. Jahrestage­s des faschistis­chen Marsches auf Rom – regelmäßig zu sehen.

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