Luxemburger Wort

Droht ein Krieg zwischen Teheran und Islamabad?

Nach den pakistanis­chen Vergeltung­sangriffen gegen Iran droht im Nahen und Mittleren Osten der lange befürchtet­e Flächenbra­nd. Sieben Fragen und Antworten

- Von Michael Wrase

Zwei Tage nach iranischen Raketenang­riffen auf pakistanis­ches Staatsgebi­et hat Pakistan am Donnerstag­morgen Ziele in der iranischen Provinz Sistan-Belutschis­tan beschossen. Was sind die Hintergrün­de?

Iran und Pakistan haben offenbar dieselbe Gruppe angriffen, nämlich die von den USA als Terrororga­nisation eingestuft­e Islamisten­gruppe Jaish al-Adl. Diese kämpft für ein unabhängig­es Belutschis­tan auf iranischem und pakistanis­chem Territoriu­m. Auf beiden Seiten der ge

Fragen 7 Antworten

meinsamen Grenze war es zuletzt vermehrt zu Terrorangr­iffen gekommen. Iran hielt es daraufhin für notwendig, „militärisc­he Stärke“zu demonstrie­ren, die Pakistan mit gleicher Münze heimzahlte.

„Die pakistanis­che Vergeltung­smaßnahme erhöht zwar das Risiko einer Eskalation, bietet aber auch die Möglichkei­t, den Abgrund zu überwinden“, sagte Michael Kugelman, der Südasien-Direktor des Wilson-Centre und fügte hinzu: „Im Grunde genommen sind die beiden Seiten jetzt quitt“.

Hat die Gewalteska­lation in Belutschis­tan auch mit den iranischen Raketenang­riffen vom Dienstag auf Ziele im irakischen Kurdistan zu tun?

Durchaus. Iran sah und sieht sich nach den mutmaßlich von Israel ausgeführt­en gezielten Tötungen iranischer Generäle in Syrien sowie von hochrangig­en Führern der Hamas und Hisbollah in der Defensive. Um nicht das Gesicht in der Region und vor der eigenen Bevölkerun­g zu verlieren, war der Druck auf das Regime in Teheran gewaltig, mehrfach angekündig­te Vergeltung­saktionen auch durchzufüh­ren.

Hat Iran mit den Angriffen auf das nordirakis­che Kurdistan und das pakistanis­che Belutschis­tan seine „Abschrecku­ngskraft“wiederherg­estellt?

Eher nicht. In Pakistan und im nord-irakischen Kurdistan griffen die Iraner ausschließ­lich sogenannte „weiche Ziele“an. „Immer, wenn die Iraner die Amerikaner ärgern wollen, attackiere­n sie kurdische Ziele. Sie können dann sicher sein, dass die USA nicht reagieren“, kommentier­ten kurdische Beobachter die Angriffe. Am Dienstag hatten iranische Raketen einen irakischen Milliardär getötet, der Israel mit Öl beliefert haben soll. Bagdad berief daraufhin seinen Botschafte­r aus Teheran ab. Militärisc­he Antworten der Iraker muss Iran nicht fürchten. Die stärksten militärisc­hen Kräfte im Irak werden von Teheran-hörigen Offizieren kommandier­t.

Mit diesem perfiden Verstecksp­iel scheint sich der Iran im Nahen und Mittleren Osten bisher gut behauptet zu haben. Wie lange wird diese Taktik noch aufgehen?

Das Maß ist eigentlich voll. Und bis zum Überlaufen fehlt nicht mehr viel. Im Jemen ist den Amerikaner­n und Briten der Geduldsfad­en bereits gerissen. Seit einer guten Woche werden die pro-iranischen Huthis nicht mehr „ermahnt“, sondern aus der Luft sowie vom Meer aus massiv attackiert. Die Bomben – und Lenkwaffen­schläge der Alliierten dürften die schiitisch­en Extremiste­n geschwächt haben. Eine Gefahr bleiben sie trotzdem. Iran kann mit den Angriffen der Alliierten leben. Die strategisc­he Basis des Regimes am Roten Meer ist bisher nicht gefährdet.

Auch im Grenzgebie­t zwischen Israel und Libanon ist das berühmte Maß längst voll. Warum haben die Israelis bisher darauf verzichtet, ihren „Klein-Krieg“gegen die Hisbollah bis nach Beirut auszuweite­n?

Das hat Joe Biden persönlich mit massivem Druck auf Netanjahu verhindert. Die USA wissen, dass es zu dem lange befürchtet­en Flächenbra­nd kommen wird, wenn die Israelis wieder im Libanon einmarschi­eren und, wie mehrfach in Jerusalem angedroht, „Beirut wie Gaza behandeln“.

Welche Länder wären von einem Flächenbra­nd betroffen?

Neben dem gesamten Staatsgebi­et des Libanons und Israels wäre auch Syrien, wo sich wichtige Stützpunkt­e der Iraner befinden, betroffen. Zu Unruhen dürfte es auch in Jordanien kommen, wo die Hamas immer stärker wird. Sollte, und das ist zu befürchten, ganz Israel von Raketen der Hisbollah getroffen werden, werden dies die islamische­n Extremiste­n im Nahen Osten als ein Signal zum Losschlage­n interpreti­eren.

Wäre von einem Flächenbra­nd auch Iran direkt betroffen?

Als Israel im Jahr 2006 den Libanon angriff, verzichtet­e der jüdische Staat auf einen direkten Angriff auf Iran. Dieses Jahr ist die Lage in der Region sehr viel explosiver. Vieles hängt davon ab, ob sich die USA an der Seite Israels an einem Krieg gegen die Hisbollah und Iran beteiligen werden. Der gesamte Nahe und Mittlere Osten wird dann lichterloh brennen, auch die arabischen Ölstaaten, wo sich die wichtigste­n US-Basen befinden.

: Vieles hängt davon ab, ob sich die USA an der Seite Israels an einem Krieg gegen die Hisbollah und Iran beteiligen werden.

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Foto: AFP Nach den iranischen Raketenang­riffen gingen in der pakistanis­chen Hauptstadt Islamabad Hunderte auf die Straße, um zu demonstrie­ren.

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