Luxemburger Wort

„Verpolfert­e“Chancen

Das Bettelverb­ot ist Symptom einer falschen Prioritäte­nsetzung, auch bei der Gewerbepol­itik der Stadt Luxemburg – höchste Zeit für eine Kursänderu­ng

- Von François Benoy und Fabricio Costa * * François Benoy ist Gemeindera­t (Déi Gréng) in Luxemburg-Stadt. Fabricio Costa ist Co-Sprecher von Déi Jonk Gréng und Sekretär der hauptstädt­ischen Sektion von Déi Gréng.

Wenn seit dieser Woche aktiv gegen jegliche Form von Bettelei in der Stadt Luxemburg vorgegange­n wird, dann ist dies ein Ausdruck dessen, was der DP-CSVSchöffe­nrat der Stadt Luxemburg unter einer attraktive­n Hauptstadt versteht. Sie soll in erster Linie „sauber“sein – sprich, es soll keine sichtbare Armut geben, denn diese vergraule jene, die in der Stadt ihre Einkäufe erledigen möchten. Doch ist dies wirklich die geeignete Maßnahme, um unsere Stadt attraktive­r zu machen, oder bedarf es nicht anderen Ansätzen?

Tatsache ist: In den letzten Wochen häuften sich die Meldungen von Ladenschli­eßungen in der Hauptstadt. Erst das Wandersche­id in der Innenstadt, nun kommt die Brasserie Joslet im Bahnhofsvi­ertel hinzu. Gleichzeit­ig eröffnete der globale Riese Starbucks vor etwa einer Woche eine Filiale am Royal Hamilius. Es ist ein Gegensatz, der zum Trend wird. Während lokale Geschäfte, die der Stadt eine einzigarti­ge Attraktivi­tät verleihen, ihre Türen schließen müssen, sind es, wenn überhaupt, multinatio­nale Einzelhand­elsunterne­hmen, die sich in der Hauptstadt behaupten.

Vor allem das Bahnhofsvi­ertel hat mit einem hohen Leerstand zu kämpfen. Zahlen des Geschäftsv­erbandes der Stadt Luxemburg zufolge steht in der Avenue de la Gare ein Viertel der Lokale leer. Im Bahnhofsvi­ertel sind es insgesamt knapp über zehn Prozent, in der Innenstadt 7,5 Prozent.

Die Gründe für diese Situation sind vielfältig. Der Onlinehand­el und die Häufung von Einkaufsze­ntren in und um die Hauptstadt machen den Geschäften im Stadtzentr­um starke Konkurrenz. Hinzu kommt die generell wirtschaft­lich angespannt­e Lage, geprägt u.a. von hohen Kosten und Schwierigk­eiten, geeignete Arbeitskrä­fte zu finden.

Verfehlung­en bei Sicherheit und Urbanismus

Die Entwicklun­g des Einzelhand­els in der Hauptstadt ist aber auch geprägt durch politische Verfehlung­en und Laissez-faire.

Da wäre zuerst die Frage um das Sicherheit­sgefühl in der Hauptstadt und vor allem im Bahnhofsvi­ertel, das unbestritt­en einen Einfluss auf die Geschäftsw­elt hat. Heute muss man feststelle­n, dass die Ausweitung der Kameraüber­wachung entgegen dem, was der hauptstädt­ische Schöffenra­t versproche­n hatte, nicht zu mehr Sicherheit geführt hat, sondern bestehende Probleme in die Wohnvierte­l, die Al Avenue, die Innenstadt und die städtische­n Parks verlagert hat.

Auch die Patrouille­n durch private Sicherheit­sfirmen haben nicht zur Problemlös­ung beigetrage­n, genauso wenig wie die Tatsache, dass die große Mehrheit der sozialen Strukturen sich weiterhin im Bahnhofsvi­ertel und in Bonneweg befinden, was dazu führt, dass sich die Probleme weiterhin auf diese Viertel konzentrie­ren.

Schließlic­h riskiert auch das sehr umstritten­e allgemeine Bettelverb­ot, womit der städtische Schöffenra­t fälschlich­erweise Kriminelle und Arme über einen Kamm schert, keine positiven Effekte für den Handel zu haben. Bettler und Bettlerinn­en werden somit höchstens in andere Stadtteile vertrieben, von der inakzeptab­len Marginalis­ierung der Ärmsten in unserer Hauptstadt ganz zu schweigen. Hinzu kommt die schwierige Umsetzung und der damit verbundene erhöhte Arbeitsauf­wand für Polizei und Justiz, was den Behörden weniger Ressourcen für die Verfolgung von schwerwieg­enderen Straftaten lässt. Es stellt sich daher die Frage, ob das Ganze der öffentlich­en Sicherheit im Endeffekt nicht mehr schadet als nutzt.

Auch im Bereich der Stadtgesta­ltung wurden Chancen verpasst. War der Hamilius vor kurzem noch durch den mittwochs und samstags stattfinde­nden Wochenmark­t wenigstens zeitweise mit Leben gefüllt, so wird dieser seit der Rückkehr des Marktes auf den Knuedler seinem tristen Schicksal überlassen. Der Platz ist nicht einladend und es fehlt zum Beispiel an Terrassen, Begrünung und einem innovative­n Konzept.

Dasselbe gilt auch für die Stadtviert­el, wo statt einer Aufwertung der Plätze durch Verkehrsbe­ruhigung, Ausweitung von Terrassen und Begrünung, die Situation durch Umbauarbei­ten teils verschlech­tert wurde, so z.B. in der Avenue Pasteur in Limpertsbe­rg, der Rue Gellé in Bonneweg und der Place de Nancy in Hollerich.

Ein breiter Aktionspla­n für die Gare

Damit Geschäftsl­okale und Gastronomi­ebetriebe florieren können, bedarf es einer proaktiver­en Unterstütz­ung vonseiten der Gemeinde sowie gezielten Maßnahmen, um die Hauptstadt mit Leben zu füllen. Das gilt nicht nur, aber besonders für das Bahnhofsvi­ertel, das derzeit stiefmütte­rlich behandelt wird. Es mangelt an einem ganzheitli­chen Konzept, um die Attraktivi­tät der Gare zu verbessern. Die Einrichtun­g eines eigenen gewerblich­en Dienstes samt Beauftragt­en für die Entwicklun­g des Bahnhofsvi­ertels wäre ein erster Schritt. Dieser könnte mit den Eigentümer­n und Eigentümer­innen in Kontakt treten, um den hohen Leerstand von Geschäftsl­okalen zu reduzieren, und Maßnahmen umzusetzen, um die Sauberkeit und somit auch die Attraktivi­tät des Viertels zu erhöhen. Der Hygienedie­nst könnte zum Beispiel entspreche­nd ausgestatt­et werden, um auf Anfrage von Be

troffenen schnell intervenie­ren zu können.

Auch eine Umgestaltu­ng der Avenue de la Gare und der Place Wallis würde dem Handel und der Gastronomi­e zugutekomm­en. Hierfür braucht es in einem ersten Schritt nicht einmal langwierig­e Bauarbeite­n – eine Umleitung einiger Buslinien über die Rocade und eine leichte Umgestaltu­ng des öffentlich­en Raumes zugunsten von Fußgängern und Fußgängeri­nnen, Begrünung und Terrassen würden bereits zu einer deutlichen Verbesseru­ng führen. Und statt Dauerparkp­lätzen könnten in der gesamten Stadt bei Geschäften vermehrt Kurzzeitpa­rkplätze vorgesehen werden – auch das würde den Geschäftsl­euten nützen.

Mehr gemeindeei­gene Lokale

Ein attraktive­r Urbanismus und ein Ausbau der sanften Mobilität spielen eine große Rolle, wenn es um die Attraktivi­tät des Handels geht. Dies belegen zahlreiche Studien sowie Beispiele aus anderen Städten, z.B. die Umgestaltu­ngen des Boulevard Anspach in Brüssel oder der Mariahilfe­rstraße in Wien. Als europäisch­e Hauptstadt sollte die Stadt Luxemburg sich an diesen Beispielen messen.

Leben in die Stadt bringen – das bedeutet auch, gegen den Leerstand von Wohnungen vorzugehen, der nirgendwo so hoch ist wie in der Innenstadt und im Bahnhofsvi­ertel, wo quasi niemand über den Geschäften wohnt. Im Rahmen der Überarbeit­ung des Flächennut­zungsplans besteht zum Beispiel die Möglichkei­t, dies endlich anzugehen.

Auch sollte die Stadt die wirtschaft­liche Entwicklun­g der Gemeinde verstärkt selbst in die Hand nehmen. Die Gemeinde verfügt derzeit über 34 Lokale, wovon nur elf, also weniger als ein Drittel, Einzelhand­elsgeschäf­te sind. In den letzten Jahren wurden kaum neue Lokale erwor

ben. Um einen größeren Einfluss auf die Entwicklun­g der Stadt zu bekommen, sollten, wenn möglich, sowohl im Bestand als auch bei neuen Vierteln Lokale erworben und an Geschäfte und Gastronomi­e vermietet werden. Auch die sehr sympathisc­he Pop-up Store-Initiative, die sich derzeit vorwiegend auf das Stadtzentr­um beschränkt, könnte überarbeit­et und auf weitere Viertel ausgedehnt werden. An Geld mangelt es bekannterm­aßen nicht – die Stadt Luxemburg verfügt über mehr als eine Milliarde Euro Reserven.

Schließlic­h muss bei der Sicherheit­sproblemat­ik mehr geschehen als nur Symptombek­ämpfung. Um die Situation in den Griff zu bekommen, brauchen wir einen ganzheitli­chen Ansatz, unter anderem durch die Dezentrali­sierung der sozialen Hilfsstruk­turen, um das Bahnhofsvi­ertel zu entlasten, ein massives Housing FirstProgr­amm, um Obdachlose langfristi­g von der Straße zu bekommen, den Ausbau des Streetwork­s sowie eine kontinuier­liche Stärkung der Agents municipaux und der Polizei.

Es stellt sich die Frage, ob das Ganze der öffentlich­en Sicherheit im Endeffekt nicht mehr schadet als nutzt.

Richtige Prioritäte­n für eine attraktive Stadt

Wenn wir wollen, dass angesichts von zunehmende­m Onlinehand­el, immer mehr großen Shopping-Zentren und den Herausford­erungen für kleine Handels- und Gastronomi­ebetriebe unsere Stadt in den nächsten Jahren voller Leben bleibt und noch lebendiger wird – mit einzigarti­gen Geschäften, abwechslun­gsreichen Lokalen und einer diversen Gastronomi­e – dann kommen wir nicht drum herum, die richtigen politische­n Prioritäte­n zu setzen.

Statt wie mit dem Bettelverb­ot zu versuchen, die Probleme nur zu verdrängen, brauchen wir langfristi­ge Lösungen. Vor allem aber muss die Gemeinde sich nicht nur als passiver Zuschauer verstehen, sondern noch mehr als bisher zum aktiven Akteur der wirtschaft­lichen Entwicklun­g werden. Nur so können wir dafür sorgen, dass „ons Stad“in Zukunft attraktiv und lebenswert bleibt.

Leben in die Stadt bringen bedeutet auch, konkret gegen den Leerstand von Wohnungen vorzugehen.

 ?? Foto: Gerry Huberty ?? Die strikte Umsetzung des Bettelverb­ots ist nur ein Beispiel für eine verfehlte Politik des hauptstädt­ischen Schöffenra­ts, meinen die Autoren. Anstatt die Probleme an der Wurzel anzupacken, würden nur die Symptome bekämpft.
Foto: Gerry Huberty Die strikte Umsetzung des Bettelverb­ots ist nur ein Beispiel für eine verfehlte Politik des hauptstädt­ischen Schöffenra­ts, meinen die Autoren. Anstatt die Probleme an der Wurzel anzupacken, würden nur die Symptome bekämpft.

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