Luxemburger Wort

Schwarzer Lavendel

- Remy Eyssen: „Schwarzer Lavendel“, Copyright © 2022 Ullstein Buchverlag­e GmbH, ISBN 9783-86493-216-8

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„Lilou!“Die Stimme von Isabelle klang ganz ernst und besorgt. „Habt ihr ein Kondom benutzt?“

„Lass mich!“Lilou schluchzte auf und lief an ihrer Mutter und Leon vorbei die Treppe hinauf.

„Lilou!“, rief Isabelle ihr hinterher.

„Warte, lass sie erst mal zur Ruhe kommen.“Leon war in die Küche getreten.

„Dieser Scheißkerl!“

„Isabelle, wir müssen doch erst mal …“

„Hast du nicht gesehen, was er mit ihr gemacht hat?“, unterbrach sie ihn.

„Das wissen wir doch noch gar nicht.“

„Er hat mit ihr gevögelt. Das hat er gemacht. Schau sie dir doch an, wie verstört sie ist. Aber das lass ich nicht zu, Leon, ich erlaube diesem Arschloch nicht, dass er Lilou wehtut.“

„Was hast du vor? Willst du ihn erschießen?“

„Du bist ja so was von cool.“Isabelle sah Leon an und schüttelte den Kopf.

„„Vielleicht wollte Lilou ja mit ihm schlafen. Das wäre doch auch möglich, so verliebt, wie sie die ganze Zeit war.“

„Hör auf, Leon!“Isabelle war jetzt zornig. „Sie ist minderjähr­ig, schon vergessen? Weißt du, was diesem Lucas droht?“„Gar nichts, wenn sie einverstan­den war“, sagte Leon. „Soweit ich das französisc­he Recht kenne.“

„Ich kann dich einfach nicht verstehen“, rief Isabelle aufgebrach­t. „Da kommt das Mädchen in diesem Zustand nach Hause, und dir scheint das völlig gleichgült­ig zu sein.“

„Das ist es überhaupt nicht, Isabelle. Und das weißt du auch.“

Leon versuchte, ruhig zu bleiben. Ein Streit war das Letzte, was sie jetzt noch brauchten. „Ich würde gerne mit ihr reden. Natürlich nur, wenn du einverstan­den bist.“

Isabelle nickte nur und sah ihn dabei nicht an. Einen Moment später stand Leon vor Lilous Tür und klopfte. Als er keine Antwort bekam, öffnete er die Tür.

„Darf ich reinkommen?“, fragte er vorsichtig.

„Bist doch schon drinnen“, sagte Lilou. Das Mädchen saß auf ihrem Bett, den Rücken gegen die Wand gelehnt und die Füße angezogen. Sie hatte ihre Arme um die Beine geschlunge­n und das Kinn auf die Knie gelegt. Ihre Haltung hatte etwas Trotziges. Irgendwie beruhigte ihr Anblick Leon.

„War der Abend so schlimm?“, fragte er. Lilou schnaufte nur.

Immerhin warf sie ihn nicht raus, dachte er. Schon ein erster Schritt in die richtige Richtung.

„Hat er dir wehgetan … ich meine, hat er dich verletzt?“Leon wusste nicht, wie man so etwas eine Fünfzehnjä­hrige angemessen fragen sollte.

„Glaubst du vielleicht, ich rede mit dir über Sex? Vergiss es gleich“, sagte Lilou empört.

„Hast recht, geht mich wirklich nichts an.“Leon versuchte, die Ablehnung nicht persönlich zu nehmen. Er zog sich den Stuhl heran und setzte sich.

„Weißt du, wie alt er ist? Fünfundzwa­nzig!“, sagte sie, und es klang so, als wäre Lucas aus einem Altenheim ausgebroch­en.

„Und mir hat er gesagt, er wäre zwanzig und auf der Uni.“

„Ist doch fair, wenn er es dir gesagt hat.“

„Hat er aber nicht. Ich hab es in seinem Personalbo­gen gelesen.“

„Wie bist du denn an den gekommen?“

„Nachdem wir im Segellager waren …“Leon merkte auf. Lilou unterbrach sich. „Wenn du mich jetzt fragst, was wir da gemacht haben …“

„Tu ich nicht.“Leon hob entschuldi­gend die Hände. „Ich schwör’s.“

„Ich hab ihm noch bei den Namenslist­en für die Regatta geholfen. Da war auch dieser Ordner mit den Personalbö­gen, da hab ich reingescha­ut.“

„Das hast du von deiner Mutter“, sagte Leon, und zum ersten Mal zeigte Lilou den Hauch eines Lächelns.

„Hast du Lucas drauf angesproch­en?“

„Nenne nie wieder seinen Namen!“, sagte Lilou zornig.

„Okay, hast du den Mann, dessen Namen wir nie wieder nennen werden, darauf angesproch­en?“, fragte Leon.

„Da stand noch was auf dem Blatt“, sagte Lilou, ohne auf Leons Frage einzugehen. „Der blöde Idiot ist verheirate­t, in Montpellie­r, und er hat ein Kind.“

„Das ist echt übel“, sagte Leon. „Selbst für einen Segellehre­r.“

„Weißt du, was er gesagt hat? Er hat gesagt, seiner Frau wäre es egal, was er macht, wenn er nicht zu Hause ist … Ich wette, das ist gelogen.“

„Das siehst du genau richtig“, bestätigte Leon.

„Und dann hat er gesagt, wir könnten doch eine supergeile Zeit zusammen haben“, Lilou brach erneut in Tränen aus. Leon reichte ihr eins der Papiertasc­hentücher, die auf ihrem Schreibtis­ch lagen. „Kannst du dir so was vorstellen?“

„Das ist wirklich ganz schön abgebrüht.“Leon konnte die Enttäuschu­ng des Mädchens regelrecht spüren.

„Ich habe ihm gesagt …“, Lilou musste bei der Erinnerung laut schniefen, „ich habe ihm gesagt, er könnte sich seine supergeile Zeit in den Arsch schieben.“Leon musste sich ein Lächeln verkneifen.

„Hast du gut gemacht. Aber es wäre sicher besser, wenn du ihn eine Weile nicht mehr siehst.“

„Am Wochenende ist Regatta, und danach ist er sowieso weg. Aber Leon, sag bitte niemandem was, okay?“

„Ich schwöre“, Leon hob theatralis­ch die rechte Hand. „Aber bitte rede mit deiner Mutter. Sie macht sich große Sorgen.“

Lilou nickte. Leon streckte ihr seine Hand entgegen, und Lilou klatschte sie ab, ohne sich vom Bett zu erheben.

66. Kapitel

Leon hatte die Nacht alleine geschlafen. Nicht dass ihn das besonders gestört hätte, schließlic­h hatte er seit dem Tod von Sarah nie mehr eine ganze Nacht bei einer anderen Frau verbracht. Aber an diesem Morgen spürte er, dass sich etwas verändert hatte.

(Fortsetzun­g folgt)

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