Welche Rechte und Pflichten haben Arbeitnehmer bei einer Langzeiterkrankung?
Fällt ein Mitarbeiter mehrere Monate aus, ist er zunächst vor einer Kündigung geschützt. Aber es gibt einige arbeitsrechtliche Fallstricke
Eine Diagnose kann das ganze Leben auf den Kopf stellen: Eine Krebserkrankung, Burn-out oder bereits ein komplizierter Knochenbruch sorgen dafür, dass sich der Alltag von heute auf morgen verändert. Aber auch wenn man in dem Moment andere Sorgen hat, ist es wichtig, einige grundlegende Regeln im Umgang mit dem Arbeitgeber zu beachten, sobald klar ist, dass man für mehrere Monate ausfällt.
Was muss ich dem Arbeitgeber mitteilen?
Nachdem man die Diagnose erhalten hat, sollte man am ersten Tag das Unternehmen über die Arbeitsunfähigkeit informieren. Spätestens am dritten Tage muss der Arbeitgeber in Besitz eines ärztlichen Attests sein, sagt Michel Di Felice, Jurist bei der Chambre des salariés. Dieser Informationspflicht nachzukommen, sei die Voraussetzung, dass der Kündigungsschutz gilt. Daher empfiehlt der Jurist, dass man einen schriftlichen Beweis dafür hat, falls es zu einer Auseinandersetzung vor einem Arbeitsgericht kommen sollte. Das Attest sollte man daher entweder per Einschreiben verschicken oder dem Arbeitgeber aushändigen und per Unterschrift quittieren lassen.
Ab dem Moment der Krankmeldung darf der Arbeitgeber für mindestens 26 Wochen keine Kündigung aussprechen. Nach 77 Tagen übernimmt die Krankenkasse die Zahlung des Lohns für eine Maximaldauer von 78 Wochen. Ob der Angestellte seinen Chef unmittelbar über das Ausmaß der Erkrankung informieren muss, bedeute einen gewissen Konflikt zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, sagt der Anwalt Frank Wies von der Kanzlei Wies & Hertzog. „Man muss natürlich nicht mitteilen, was man genau hat, aber wenn der Arzt davon ausgeht, dass die Erkrankung länger dauert, sollte man das schon sagen, auch wenn der Krankenschein noch nicht die ganze Periode abdeckt“, sagt er.
Wie wird die Krankmeldung kontrolliert?
Geht die Krankmeldung über einen gewissen Zeitraum hinaus, bestellt die Krankenkasse den Arbeitnehmer automatisch zur „Contrôle médical de la sécurité sociale“ein, um zu überprüfen, ob tatsächlich eine schwere Krankheit oder langfristige gesundheitliche Probleme vorliegen und die Krankschreibung gerechtfertigt ist. „Wenn sie dabei zu dem Schluss gelangen, dass der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist, dann ist die Krankenkasse durch dieses Gutachten gebunden und das heißt, das Krankengeld wird eingestellt“, sagt Di Felice.
Seit 2016 kann in dem Fall auch der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung einstellen, und der Kündigungsschutz wird hinfällig, wenn der Versicherte innerhalb von 40 Tagen keinen Widerspruch einlegt. „Aber man muss bedenken, dass ab der Zustellung der negativen Beurteilung der Krankenkasse der Arbeitnehmer kein Geld mehr bekommt bis zur definitiven Entscheidung“, sagt Di Felice. „Häufig gehen sie dann trotzdem arbeiten, obwohl sie krank sind.“
Auch der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, den Arbeitnehmer zu einem anderen Arzt rufen zu lassen, wenn er die Krankmeldung anzweifelt oder der Meinung ist, dass es sich dabei um ein Gefälligkeitsattest handelt. Die Kosten für diese Untersuchung wird nicht von der Krankenkasse übernommen, sondern vom Unternehmen getragen.
„Es gab beispielsweise Fälle vor dem Arbeitsgericht, bei denen der Betrieb wusste, dass der Arbeitnehmer, der mit Rückenschmerzen krankgeschrieben war, gerade sein Haus renoviert“, sagt Wies. Wenn sich dann die Diagnosen der Ärzte des Patienten und des Unternehmens widersprechen, muss ein dritter Arzt konsultiert werden, der eine Entscheidung herbeiführt.
Bin ich zu einer Übergabe an meine Vertretung verpflichtet?
Grundsätzlich gebe es die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass der Betrieb weiterlaufen kann, sagt Wies. Wenn der Mitarbeiter zum Beispiel an einem längerfristigen Projekt arbeitet oder Zugangscodes zu einem Computerprogramm hat, sollte er diese Informationen weitergeben. „Das ist eine der Konsequenzen aus der Loyalitätspflicht. Aber das hängt natürlich immer von der Art der Erkrankung ab. Wenn also jemand im Krankenhaus liegt oder nicht in der Lage ist, eine Übergabe zu machen, kann man ihm das nicht ankreiden“, sagt Wies.
Kann der Arbeitgeber für die Zeit der Erkrankung Arbeitsmaterialien zurückfordern?
Wenn es sich dabei um Arbeitsmaterialien handelt, über die auch andere Arbeitnehmer im Betrieb verfügen, wie eine Arbeitsuniform oder Sicherheitshelme, kann der Mitarbeiter nicht gezwungen werden, diese auszuhändigen. Schließlich besteht das Arbeitsverhältnis weiterhin.
„Das gilt nicht, wenn ich Arbeitsmaterial habe, das die anderen nicht haben. Zum Beispiel, wenn ich einen Dienstwagen habe, weil ich im Außendienst tätig bin, und jemand anders im Betrieb muss die Aufgabe übernehmen, muss ich dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben, wieder an das Fahrzeug zu kommen“, sagt Wies. „Wenn ich aufgrund meines Krankheitszustandes den Dienstwagen nicht selbst zurückbringen kann, muss ich dafür sorgen, dass er abgeholt werden kann.“
Was ist mit Sonderzahlungen wie das dreizehnte Monatsgehalt oder Boni?
Es gilt das Prinzip, dass man durch die Krankmeldung keine finanziellen Einbußen haben darf. „Wenn man ein vertragliches Recht auf ein dreizehntes Gehalt oder eine zusätzliche Prämie für Mitarbeiter in Leitungsfunktionen hat, muss man die auch weiter bekommen“, sagt Wies. Monatliche Zahlungen wie Essenszulagen könnten hingegen entfallen, wenn das nicht im Kollektivvertrag geregelt ist.
Habe ich in der Probezeit einen besonderen Kündigungsschutz durch die Krankmeldung?
:„ Sie waren zu lange krank“reicht als Begründung einer Kündigung nicht aus. Frank Wies, Kanzlei Wies & Hertzog
Der Sinn der Probezeit besteht darin, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber feststellen, ob sie zueinanderpassen und ob der Job den Interessen und Fähigkeiten des Mitarbeiters entspricht. „Während der Arbeitnehmer krank ist, kann diese gegenseitige Überprüfung nicht stattfinden“, sagt Wies. „Wenn Sie in der Probezeit krank werden, wird daher die Probezeit um die Zahl der Abwesenheitstage verlängert.“Der neue Mitarbeiter kann die Probezeit also nicht im Krankenstand „absitzen“. Die Verlängerung der Probezeit ist aber gedeckelt. „Wenn Sie über ein gewisses Maximum hinauskommen, bekommt der Arbeitgeber wieder die Möglichkeit zur Kündigung in der Probezeit, die er dann nicht begründen muss.“
Was passiert, wenn die gesetzliche Frist von 26 Wochen abgelaufen ist? Kann der Arbeitgeber mir dann ohne weitere Begründung sofort kündigen?
Hier müsse man unterscheiden zwischen einer fristgerechten und einer fristlosen Kündigung, sagt Wies. Bei einer fristlosen Kündigung gilt das Prinzip, dass man sofort mit dem Aussprechen der Kündigung schriftlich die Gründe im Detail darlegen muss. Bei einer fristgerechten Kündigung muss der Arbeitgeber das nicht tun. Der Arbeitnehmer hat aber die Möglichkeit, innerhalb eines Monats vom Betrieb die Gründe für die Entlassung einzufordern.
„Das kann dann nicht einfach nur sein: ‚Sie waren zu lange krank.‘ Laut der entsprechenden Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in Luxemburg muss das Unternehmen darlegen, dass eben die lange Abwesenheit den Betrieb durcheinander gebracht hat“, sagt Wies. Wie das eingeschätzt werde, hänge dabei maßgeblich von der Größe des Betriebs ab. „Je kleiner das Unternehmen, desto eher tendieren die
Arbeitsgerichte dazu, die Kündigung als gerechtfertigt anzusehen, ohne dass sie das noch weiter ausführen müssten. Bei einem Dreimannbetrieb ist das eindeutiger, als wenn es zum Beispiel um die Spülkraft in einer Großküche geht, in der 50 Menschen arbeiten“, sagt der Anwalt. „Es gibt aber auch inzwischen eine gewisse Tendenz in der Luxemburger Rechtsprechung, die unabhängig von der Größe des Betriebes davon ausgeht, dass eine Abwesenheit ab einer gewissen Dauer den Betrieb durcheinander bringt, und man eine Kündigung nicht speziell begründen muss.“
Wenn ich als Arbeitnehmer den Eindruck habe, die Begründung ist nicht ausreichend, sollte ich auf Wiedereinstellung klagen?
In Luxemburg gibt es kein Recht auf Wiedereinstellung, auch wenn eine Kündigung nicht rechtens ist. „Daher wird sich das in der Regel immer auf eine Schadensersatzzahlung beschränken. Die Wiedereinstellung nach einer ausgesprochenen Kündigung ist nur dann möglich, wenn beide Parteien sich darauf einigen können, einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen“, sagt Wies.
Wann habe ich ein Anrecht auf Schadensersatz?
Zunächst kann man den „moralischen Schaden“geltend machen, dessen Höhe sich nach Betriebszugehörigkeit und Arbeitsumständen bemisst. Zum anderen kann man darauf klagen, dass der Arbeitgeber einen Verdienstausfall zahlt. Dazu wird zunächst geschaut, welches Gehalt inklusive Prämien der Arbeitnehmer bezogen hätte, wenn der Arbeitsvertrag weitergelaufen wäre. Das wird verglichen mit dem tatsächlichen Einkommen nach der Kündigung. Dann schätzt das Gericht ein, wie lange der Arbeitnehmer aufgrund seines Alters, seiner beruflichen Qualifikation und der Situation auf dem Arbeitsmarkt voraussichtlich braucht, um einen neuen Job zu finden. Das kann zwischen drei oder 24 Monaten variieren, erklärt Wies. Wenn der Richter dann der Auffassung ist, die Kündigung sei zu Unrecht ausgesprochen worden, muss das Unternehmen für diese Periode den Verdienstausfall zahlen; auch das Arbeitslosengeld muss er an das Arbeitsamt zurückzahlen.
Die Voraussetzung ist aber, zu belegen, dass der Arbeitnehmer aktiv nach einer neuen Stelle gesucht hat. „Es gilt das allgemeine Prinzip, dass man selbst dafür sorgen muss, dass der eigene Schaden nicht noch größer wird, als er ohnehin schon ist“, sagt Wies. „Es gibt eine ganze Reihe von Urteilen, bei denen den Arbeitnehmern keine Entschädigung zugesprochen wurde, weil sie sich zurückgelehnten, Arbeitslosengeld kassiert haben und abwarten wollten, wie der Rechtsstreit ausgeht.“
Welche Verpflichtung habe ich gegenüber der Krankenkasse?
Grundsätzlich sollte man während der Krankschreibung am Wohnsitz auffindbar sein, erklärt Michel Di Felice. Die CNS kann sogenannte Verwaltungskontrollen durchführen, um zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer tatsächlich zuhause ist. Die Kontrollen können sowohl auf Initiative der CNS als auch durch den Arbeitgeber eingeleitet werden. Treffen die Kontrolleure den Krankgeschriebenen nicht zu Hause an, hat dieser drei Tage Zeit, den Grund seiner Abwesenheit schriftlich darzulegen. „Wenn Sie zum Arzt gehen müssen oder zur Apotheke, müssen Sie das gegebenenfalls auch beweisen können. Man sollte daher entsprechende Belege oder Rechnungen aufheben“, sagt Michel Di Felice. Ansonsten können Strafzahlungen fällig werden.