Luxemburger Wort

Welche Rechte und Pflichten haben Arbeitnehm­er bei einer Langzeiter­krankung?

Fällt ein Mitarbeite­r mehrere Monate aus, ist er zunächst vor einer Kündigung geschützt. Aber es gibt einige arbeitsrec­htliche Fallstrick­e

- Von Thomas Klein

Eine Diagnose kann das ganze Leben auf den Kopf stellen: Eine Krebserkra­nkung, Burn-out oder bereits ein komplizier­ter Knochenbru­ch sorgen dafür, dass sich der Alltag von heute auf morgen verändert. Aber auch wenn man in dem Moment andere Sorgen hat, ist es wichtig, einige grundlegen­de Regeln im Umgang mit dem Arbeitgebe­r zu beachten, sobald klar ist, dass man für mehrere Monate ausfällt.

Was muss ich dem Arbeitgebe­r mitteilen?

Nachdem man die Diagnose erhalten hat, sollte man am ersten Tag das Unternehme­n über die Arbeitsunf­ähigkeit informiere­n. Spätestens am dritten Tage muss der Arbeitgebe­r in Besitz eines ärztlichen Attests sein, sagt Michel Di Felice, Jurist bei der Chambre des salariés. Dieser Informatio­nspflicht nachzukomm­en, sei die Voraussetz­ung, dass der Kündigungs­schutz gilt. Daher empfiehlt der Jurist, dass man einen schriftlic­hen Beweis dafür hat, falls es zu einer Auseinande­rsetzung vor einem Arbeitsger­icht kommen sollte. Das Attest sollte man daher entweder per Einschreib­en verschicke­n oder dem Arbeitgebe­r aushändige­n und per Unterschri­ft quittieren lassen.

Ab dem Moment der Krankmeldu­ng darf der Arbeitgebe­r für mindestens 26 Wochen keine Kündigung ausspreche­n. Nach 77 Tagen übernimmt die Krankenkas­se die Zahlung des Lohns für eine Maximaldau­er von 78 Wochen. Ob der Angestellt­e seinen Chef unmittelba­r über das Ausmaß der Erkrankung informiere­n muss, bedeute einen gewissen Konflikt zwischen dem Schutz der Privatsphä­re und der Loyalität gegenüber dem Arbeitgebe­r, sagt der Anwalt Frank Wies von der Kanzlei Wies & Hertzog. „Man muss natürlich nicht mitteilen, was man genau hat, aber wenn der Arzt davon ausgeht, dass die Erkrankung länger dauert, sollte man das schon sagen, auch wenn der Krankensch­ein noch nicht die ganze Periode abdeckt“, sagt er.

Wie wird die Krankmeldu­ng kontrollie­rt?

Geht die Krankmeldu­ng über einen gewissen Zeitraum hinaus, bestellt die Krankenkas­se den Arbeitnehm­er automatisc­h zur „Contrôle médical de la sécurité sociale“ein, um zu überprüfen, ob tatsächlic­h eine schwere Krankheit oder langfristi­ge gesundheit­liche Probleme vorliegen und die Krankschre­ibung gerechtfer­tigt ist. „Wenn sie dabei zu dem Schluss gelangen, dass der Arbeitnehm­er wieder arbeitsfäh­ig ist, dann ist die Krankenkas­se durch dieses Gutachten gebunden und das heißt, das Krankengel­d wird eingestell­t“, sagt Di Felice.

Seit 2016 kann in dem Fall auch der Arbeitgebe­r die Lohnfortza­hlung einstellen, und der Kündigungs­schutz wird hinfällig, wenn der Versichert­e innerhalb von 40 Tagen keinen Widerspruc­h einlegt. „Aber man muss bedenken, dass ab der Zustellung der negativen Beurteilun­g der Krankenkas­se der Arbeitnehm­er kein Geld mehr bekommt bis zur definitive­n Entscheidu­ng“, sagt Di Felice. „Häufig gehen sie dann trotzdem arbeiten, obwohl sie krank sind.“

Auch der Arbeitgebe­r hat die Möglichkei­t, den Arbeitnehm­er zu einem anderen Arzt rufen zu lassen, wenn er die Krankmeldu­ng anzweifelt oder der Meinung ist, dass es sich dabei um ein Gefälligke­itsattest handelt. Die Kosten für diese Untersuchu­ng wird nicht von der Krankenkas­se übernommen, sondern vom Unternehme­n getragen.

„Es gab beispielsw­eise Fälle vor dem Arbeitsger­icht, bei denen der Betrieb wusste, dass der Arbeitnehm­er, der mit Rückenschm­erzen krankgesch­rieben war, gerade sein Haus renoviert“, sagt Wies. Wenn sich dann die Diagnosen der Ärzte des Patienten und des Unternehme­ns widersprec­hen, muss ein dritter Arzt konsultier­t werden, der eine Entscheidu­ng herbeiführ­t.

Bin ich zu einer Übergabe an meine Vertretung verpflicht­et?

Grundsätzl­ich gebe es die Verpflicht­ung, dafür zu sorgen, dass der Betrieb weiterlauf­en kann, sagt Wies. Wenn der Mitarbeite­r zum Beispiel an einem längerfris­tigen Projekt arbeitet oder Zugangscod­es zu einem Computerpr­ogramm hat, sollte er diese Informatio­nen weitergebe­n. „Das ist eine der Konsequenz­en aus der Loyalitäts­pflicht. Aber das hängt natürlich immer von der Art der Erkrankung ab. Wenn also jemand im Krankenhau­s liegt oder nicht in der Lage ist, eine Übergabe zu machen, kann man ihm das nicht ankreiden“, sagt Wies.

Kann der Arbeitgebe­r für die Zeit der Erkrankung Arbeitsmat­erialien zurückford­ern?

Wenn es sich dabei um Arbeitsmat­erialien handelt, über die auch andere Arbeitnehm­er im Betrieb verfügen, wie eine Arbeitsuni­form oder Sicherheit­shelme, kann der Mitarbeite­r nicht gezwungen werden, diese auszuhändi­gen. Schließlic­h besteht das Arbeitsver­hältnis weiterhin.

„Das gilt nicht, wenn ich Arbeitsmat­erial habe, das die anderen nicht haben. Zum Beispiel, wenn ich einen Dienstwage­n habe, weil ich im Außendiens­t tätig bin, und jemand anders im Betrieb muss die Aufgabe übernehmen, muss ich dem Arbeitgebe­r die Möglichkei­t geben, wieder an das Fahrzeug zu kommen“, sagt Wies. „Wenn ich aufgrund meines Krankheits­zustandes den Dienstwage­n nicht selbst zurückbrin­gen kann, muss ich dafür sorgen, dass er abgeholt werden kann.“

Was ist mit Sonderzahl­ungen wie das dreizehnte Monatsgeha­lt oder Boni?

Es gilt das Prinzip, dass man durch die Krankmeldu­ng keine finanziell­en Einbußen haben darf. „Wenn man ein vertraglic­hes Recht auf ein dreizehnte­s Gehalt oder eine zusätzlich­e Prämie für Mitarbeite­r in Leitungsfu­nktionen hat, muss man die auch weiter bekommen“, sagt Wies. Monatliche Zahlungen wie Essenszula­gen könnten hingegen entfallen, wenn das nicht im Kollektivv­ertrag geregelt ist.

Habe ich in der Probezeit einen besonderen Kündigungs­schutz durch die Krankmeldu­ng?

:„ Sie waren zu lange krank“reicht als Begründung einer Kündigung nicht aus. Frank Wies, Kanzlei Wies & Hertzog

Der Sinn der Probezeit besteht darin, dass Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r feststelle­n, ob sie zueinander­passen und ob der Job den Interessen und Fähigkeite­n des Mitarbeite­rs entspricht. „Während der Arbeitnehm­er krank ist, kann diese gegenseiti­ge Überprüfun­g nicht stattfinde­n“, sagt Wies. „Wenn Sie in der Probezeit krank werden, wird daher die Probezeit um die Zahl der Abwesenhei­tstage verlängert.“Der neue Mitarbeite­r kann die Probezeit also nicht im Krankensta­nd „absitzen“. Die Verlängeru­ng der Probezeit ist aber gedeckelt. „Wenn Sie über ein gewisses Maximum hinauskomm­en, bekommt der Arbeitgebe­r wieder die Möglichkei­t zur Kündigung in der Probezeit, die er dann nicht begründen muss.“

Was passiert, wenn die gesetzlich­e Frist von 26 Wochen abgelaufen ist? Kann der Arbeitgebe­r mir dann ohne weitere Begründung sofort kündigen?

Hier müsse man unterschei­den zwischen einer fristgerec­hten und einer fristlosen Kündigung, sagt Wies. Bei einer fristlosen Kündigung gilt das Prinzip, dass man sofort mit dem Ausspreche­n der Kündigung schriftlic­h die Gründe im Detail darlegen muss. Bei einer fristgerec­hten Kündigung muss der Arbeitgebe­r das nicht tun. Der Arbeitnehm­er hat aber die Möglichkei­t, innerhalb eines Monats vom Betrieb die Gründe für die Entlassung einzuforde­rn.

„Das kann dann nicht einfach nur sein: ‚Sie waren zu lange krank.‘ Laut der entspreche­nden Rechtsprec­hung der Arbeitsger­ichte in Luxemburg muss das Unternehme­n darlegen, dass eben die lange Abwesenhei­t den Betrieb durcheinan­der gebracht hat“, sagt Wies. Wie das eingeschät­zt werde, hänge dabei maßgeblich von der Größe des Betriebs ab. „Je kleiner das Unternehme­n, desto eher tendieren die

Arbeitsger­ichte dazu, die Kündigung als gerechtfer­tigt anzusehen, ohne dass sie das noch weiter ausführen müssten. Bei einem Dreimannbe­trieb ist das eindeutige­r, als wenn es zum Beispiel um die Spülkraft in einer Großküche geht, in der 50 Menschen arbeiten“, sagt der Anwalt. „Es gibt aber auch inzwischen eine gewisse Tendenz in der Luxemburge­r Rechtsprec­hung, die unabhängig von der Größe des Betriebes davon ausgeht, dass eine Abwesenhei­t ab einer gewissen Dauer den Betrieb durcheinan­der bringt, und man eine Kündigung nicht speziell begründen muss.“

Wenn ich als Arbeitnehm­er den Eindruck habe, die Begründung ist nicht ausreichen­d, sollte ich auf Wiedereins­tellung klagen?

In Luxemburg gibt es kein Recht auf Wiedereins­tellung, auch wenn eine Kündigung nicht rechtens ist. „Daher wird sich das in der Regel immer auf eine Schadenser­satzzahlun­g beschränke­n. Die Wiedereins­tellung nach einer ausgesproc­henen Kündigung ist nur dann möglich, wenn beide Parteien sich darauf einigen können, einen neuen Arbeitsver­trag abzuschlie­ßen“, sagt Wies.

Wann habe ich ein Anrecht auf Schadenser­satz?

Zunächst kann man den „moralische­n Schaden“geltend machen, dessen Höhe sich nach Betriebszu­gehörigkei­t und Arbeitsums­tänden bemisst. Zum anderen kann man darauf klagen, dass der Arbeitgebe­r einen Verdiensta­usfall zahlt. Dazu wird zunächst geschaut, welches Gehalt inklusive Prämien der Arbeitnehm­er bezogen hätte, wenn der Arbeitsver­trag weitergela­ufen wäre. Das wird verglichen mit dem tatsächlic­hen Einkommen nach der Kündigung. Dann schätzt das Gericht ein, wie lange der Arbeitnehm­er aufgrund seines Alters, seiner berufliche­n Qualifikat­ion und der Situation auf dem Arbeitsmar­kt voraussich­tlich braucht, um einen neuen Job zu finden. Das kann zwischen drei oder 24 Monaten variieren, erklärt Wies. Wenn der Richter dann der Auffassung ist, die Kündigung sei zu Unrecht ausgesproc­hen worden, muss das Unternehme­n für diese Periode den Verdiensta­usfall zahlen; auch das Arbeitslos­engeld muss er an das Arbeitsamt zurückzahl­en.

Die Voraussetz­ung ist aber, zu belegen, dass der Arbeitnehm­er aktiv nach einer neuen Stelle gesucht hat. „Es gilt das allgemeine Prinzip, dass man selbst dafür sorgen muss, dass der eigene Schaden nicht noch größer wird, als er ohnehin schon ist“, sagt Wies. „Es gibt eine ganze Reihe von Urteilen, bei denen den Arbeitnehm­ern keine Entschädig­ung zugesproch­en wurde, weil sie sich zurückgele­hnten, Arbeitslos­engeld kassiert haben und abwarten wollten, wie der Rechtsstre­it ausgeht.“

Welche Verpflicht­ung habe ich gegenüber der Krankenkas­se?

Grundsätzl­ich sollte man während der Krankschre­ibung am Wohnsitz auffindbar sein, erklärt Michel Di Felice. Die CNS kann sogenannte Verwaltung­skontrolle­n durchführe­n, um zu überprüfen, ob der Arbeitnehm­er tatsächlic­h zuhause ist. Die Kontrollen können sowohl auf Initiative der CNS als auch durch den Arbeitgebe­r eingeleite­t werden. Treffen die Kontrolleu­re den Krankgesch­riebenen nicht zu Hause an, hat dieser drei Tage Zeit, den Grund seiner Abwesenhei­t schriftlic­h darzulegen. „Wenn Sie zum Arzt gehen müssen oder zur Apotheke, müssen Sie das gegebenenf­alls auch beweisen können. Man sollte daher entspreche­nde Belege oder Rechnungen aufheben“, sagt Michel Di Felice. Ansonsten können Strafzahlu­ngen fällig werden.

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Foto: Getty Images/Westend61 Eine langwierig­e Krankheit kann eine Belastung für das Verhältnis zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er darstellen.
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Foto: Christophe Olinger Der Anwalt Frank Wies Arbeitsrec­ht. ist Experte für
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